Perspektiven

Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten für die Schweizer Uhrenindustrie

Zürich, 23. März 2017

Bei der heutigen Eröffnung der Baselworld richten sich alle Augen auf die neuesten Modelle und Designs der Uhrenmarken. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um über die aktuellen Trends zu reflektieren, die sich in der Schweizer Uhren- und Schmuckbranche nach einem turbulenten Jahr abzeichnen. Während in den Vorjahren Smartwatches in aller Munde waren, steht jetzt die Frage im Mittelpunkt, wie die Uhrenmarken der neuen Ära des «digitalen Konsumenten» begegnen.

Die Schweizer Uhrenhersteller standen in den letzten beiden Jahren schwierigen Wirtschaftsbedingungen gegenüber, und die Exporte scheinen weiterhin zu schwanken. Branchenexperten gehen jedoch davon aus, dass sich dieser Trend in naher Zukunft etwas stabilisieren wird. Das Fundament, auf dem die Schweizer Uhrenindustrie steht, wie die Attraktivität des Gütesiegels «Swiss Made», die unangefochtene Führungsposition der Schweiz im Luxusuhrensegment sowie die Innovationsfähigkeit der Branche, ist nach wie vor stark (mehr dazu in unserem Artikel «Gelingt der Schweizer Uhrenindustrie 2017 der Turnaround?» vom Januar 2017).

Der Smartwatch-Trend zieht weiterhin das Interesse einiger Schweizer Uhrenhersteller auf sich, darunter TAG Heuer mit dem neuen Modell «Connected Modular 45» oder zuletzt Montblanc mit der Vorstellung der «Summit Smartwatch». Das Hauptaugenmerk ist derzeit jedoch auf eine andere Entwicklung gerichtet: die Digitalisierung der Vertriebs- und Marketingkanäle.

Der digitale Konsument...

Die Schweizer Uhrenindustrie setzt die Massstäbe für Eleganz und Raffinesse, die im Luxussektor weltweit weiterhin den Ton angeben. Dank der historischen Wurzeln der Branche und ihrer Erfolgsgeschichte blieb das Modell der Markentradition lange Zeit unangefochten.

Die Zeiten ändern sich jedoch: Die Rolle des Luxuskonsumenten hat sich vom passiven Beobachter zum dominanten Marktakteur gewandelt. Dank der exponentiell wachsenden Verbreitung digitaler Technologien verfügen die Konsumenten über Marktmacht. Sie finden sich nicht länger damit ab, lediglich exklusive Waren zu erwerben, sondern – wollen interagieren und selbst Bestandteil der Marken werden, deren Produkte sie erwerben. Als gut informierte, wählerische und verantwortungsbewusste Verbraucher legen sie Wert darauf, wie sie und die von ihnen erworbenen Produkte in der Öffentlichkeit und den sozialen Medien wahrgenommen werden.

...und die Schweizer Uhrenindustrie

Laut der Deloitte Swiss Watch Industry Study 2016 sind die sozialen Medien eines der wichtigsten Elemente in der Marketingstrategie von Uhrenherstellern. Die Uhrenmarken haben ihre Marketingstrategien optimiert, um ihre Kosten zu senken und ihre Wirkung zu steigern und insbesondere die Kontrolle über ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft zurückzugewinnen.

Blogger und soziale Medien haben inzwischen enormen Einfluss auf die Kaufentscheidungen junger Erwachsenen: In fünf von sechs Ländern bilden sie den wichtigsten Marketingkanal in der Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren. Die grosse Mehrheit der Luxuskonsumenten ist bereit, Uhren über digitale Kanäle zu kaufen. Der prozentuale Anteil der über digitale Kanäle beeinflussten oder generierten Umsätze dürfte bis 2025 erheblich steigen.1

Der Siegeszug digitaler Technologien hat die Interaktion der Konsumenten mit den Luxusmarken massgeblich beeinflusst. Die Schweizer Uhrenhersteller müssen das Kundenengagement über alle Kanäle hinweg mit kategorieübergreifenden Angeboten und geeigneten Technologien zur Kundenbindung kombinieren. Das Verbraucherverhalten kann so im gesamten Spektrum der Marketing-, Kommunikations-, Vertriebs- und Servicekanäle gesteuert werden und dadurch engere sowie tiefgreifendere Beziehungen zwischen den Luxuskonsumenten und den Uhrenmarken ermöglichen. Dieser Wandel muss schnell erfolgen, da fortlaufend sowohl neue Wettbewerber als auch disruptive Kanäle entstehen und die Ansprüche der Luxuskonsumenten an die Reaktionsfähigkeit der Anbieter rapide steigen.

Was ist zu tun?

Den Schweizer Uhrenmarken eröffnet dies enorme Chancen. Die Anbieter von Luxusuhren haben bereits begonnen, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen: Beispiele hierfür sind unerwartete Partnerschaften zwischen Herstellern von Luxusuhren und Technologiekonzernen (etwa zwischen Samsung und de Grisogono sowie Apple und Hermès), Partnerschaften zwischen Luxus-Uhrenmarken und Blogs für limitierte Serien (beispielsweise zwischen Vacheron Constantin und Hodinkee sowie Omega und Fratello Watches), die Schaffung virtueller Welten (z.B. «Dare to be Rare» von Roger Dubuis) sowie stärker individualisierte Produkte (z.B. «Bespoke» von HYT oder «Atelier Reverso» von Jaeger LeCoultre) — nur um einige zu nennen.

All diese Beispiele zeigen hervorragend, welches Potenzial in Veränderungen steckt – und welche Wirkungen sich damit erreichen lassen. Die Fähigkeit, innovative Ideen zu entwickeln und umzusetzen, könnte interessante Anlagechancen schaffen, und viele Unternehmen haben sich durch die möglichen Gewinne bereits zu solchen Investitionen bewegen lassen. Doch die Entfaltung echter Wachstumsambitionen erfordert eine umfassende Planung, die alle Aspekte eines Unternehmens betrifft. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Erarbeitung einer ganzheitlichen Strategie, die festlegt, wo die Änderungen erfolgen müssen und wie die Gewinne erzielt werden sollen. Auf diese Weise gewinnen die Unternehmen ein optimales Verständnis für das richtige Gleichgewicht zwischen der Umsetzung grundlegender Veränderungen und der Entwicklung innovativer Ansätze. Die Fähigkeit zur Neudefinition von Geschäftsmodellen mit einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie, erlaubt es der Schweizer Uhrenindustrie, die Marktreife im digitalen Zeitalter schneller zu erreichen und auch künftig Massstäbe zu setzen, die weit über die Uhrenindustrie hinaus Geltung haben.

1 Quelle: Deloitte Swiss Watch Industry Study 2016

Fanden Sie diese Seite hilfreich?