Perspektiven

«Ausserberufliche Erfahrungen machen unsere Mitarbeitenden interessant»

Anna Samanta, Managing Partner Talent, spricht über Unternehmenskultur und ergründet, was Millennials wollen

Die jungen Menschen in der Schweiz vermissen bei den Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung und Flexibilität. Zudem schmilzt ihr Vertrauen in die Wirtschaft gemäss dem Deloitte Millennial Survey 2018 dahin. Anna Samanta, Managing Partner Talent bei Deloitte Schweiz, ortet bei den Schweizer Unternehmen im Vergleich zum Ausland grossen Nachholbedarf. Junge Mitarbeitende mit breit gefächerten Interessen ausserhalb des Berufslebens wirkten zudem bereichernd auf Kollegen und Kunden.

Was bedeutet der Vertrauensverlust bei jungen Menschen für die Personalchefs der grossen Unternehmen?

Das ist ein Weckruf, den wir ernst nehmen müssen! Dass drei Viertel der Millennials glauben, Unternehmen würden nur ihre eigenen Ziele verfolgen, sollte aber nicht nur den Personalverantwortlichen zu denken geben, sondern der gesamten Geschäftsleitung. Es ist Zeit, dass die Unternehmen in der Schweiz aufwachen, vorangehen und ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Es sind in den letzten Jahren in vielen Unternehmen Fehler gemacht worden: Compliance-Vorschriften wurden missachtet, es wurden Menschen ausgegrenzt, die nicht dem Mainstream entsprechen und es wurde zu wenig gemacht für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber die Unternehmen wissen, dass grobe Fehltritte viel Ansehen und Geld kosten. Wenn zum Beispiel der CEO nach einem schwerwiegenden Fehler zurücktreten muss, nimmt das Image nicht nur bei den Millennials, sondern auch beim breiten Publikum und den Investoren Schaden. Man darf aber bei aller Kritik nicht vergessen, dass die Wirtschaft nach wie vor ein zentraler Motor des Fortschritts ist: Die Unternehmen müssen sich halt auch besser erklären, um wieder Vertrauen aufzubauen und ihr Tun verständlich zu machen. Die Digital Natives sind zwar sehr anspruchsvoll, aber auch schlau: Sie verstehen sehr wohl, dass Unternehmen auch Geld verdienen müssen und die individuelle Leistung ein zentraler Faktor des Erfolgs ist.

Wie schätzen Sie die Schweizer Wirtschaft ein? Sind die Unternehmen fortschrittlich eingestellt und bereit für die Millennials?

Leider nein. Es gibt noch sehr viel zu tun. Millennials erwarten zum Beispiel, dass in erster Linie die Unternehmen sie auf die Industrie 4.0 vorbereiten. Ein weiteres Beispiel ist der Anspruch auf Diversität. In anderen Ländern ist für die Führungsgremien klar, dass vielfältig zusammengesetzte Teams die besseren Resultate erbringen. In den Führungsetagen von Schweizer Unternehmen herrscht zu dieser Frage oft noch Erklärungsbedarf. Wir erleben das immer wieder, wenn wir Unternehmen in diesen Themen beraten. Millennials sind generell eher fortschrittlich eingestellt und reagieren daher sehr empfindlich, wenn abweichende Ansichten zu wenig berücksichtigt werden oder wenn keine offene Diskussionskultur herrscht. Sie wollen auch bei der Arbeit sich selbst sein und sich nicht verstellen müssen. Deloitte selbst ist meines Erachtens gut unterwegs: Wir sind im Schweizer Arbeitgeber Ranking von Universum nicht zuletzt darum weiter vorgerückt, da wir uns sehr für die Geschlechtervielfalt einsetzen. Zudem wurden wir mit dem Prix Balance des Kantons Zürich ausgezeichnet, weil wir beste Bedingungen für die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben bieten. Und wir sind für den Equality Award zur Gleichstellung von Frau und Mann nominiert, der Ende September 2018 verliehen wird.

Wie können sich Unternehmen den Bedürfnissen der Millennials anpassen und diese für sich gewinnen?

Millennials leben nicht für die Arbeit alleine. Sie engagieren sich zwar stark im Beruf, ihnen ist aber gleichzeitig auch ihre Freizeit wichtig, ihre Hobbies, ihre Freunde und die Familie. Bei uns arbeiten viele junge Menschen, die nebenher zum Beispiel als DJ auflegen, Leistungssport betreiben oder sich als Hobbyfilmer betätigen. Ausserberufliche Erfahrungen machen unsere Mitarbeitenden interessant und diese Diversität schafft ein spannendes Arbeitsumfeld. Unsere Mitarbeitenden können diese Erfahrungen auch in den beruflichen Alltag einbringen, denn die Arbeit bei uns erfordert Kreativität und immer wieder neue Herangehensweisen. Vielfältig interessierte Mitarbeitende kommen auch bei Kunden besser an. Wenn es um die Wahl eines Arbeitsgebers geht, vor allem in der Schweiz, ist gemäss unserer Umfrage Flexibilität etwa gleich wichtig wie eine gute Bezahlung. Ich habe schon in acht verschiedenen Ländern gearbeitet und glaube, dass die Menschen hier mehr auf materiellen Wohlstand achten als anderswo. Für die Millennials muss trotzdem das Gesamtpaket stimmen: Sie wollen spannende Aufgaben, eine positive Arbeitskultur, einen guten Lohn und eben auch Flexibilität.

Haben Sie als Personalchefin von Deloitte den Wandel der Unternehmenskultur vorangetrieben?

Die Personalabteilung kann den Wandel mit Massnahmen und Programmen stark beeinflussen und die nötigen Instrumente zur Verfügung stellen. Es war sicherlich wichtig, dass ich als Personalchefin diesen Wandel für Deloitte Schweiz als Priorität gesetzt habe. Entscheidender ist aber die Unterstützung der gesamten Unternehmensführung, damit der Kulturwandel gelingt. Unser CEO Simon Owen und die jeweiligen Leitenden unserer Business Lines sind die treibenden Kräfte dafür, dass die vielen Massnahmen erfolgreich implementiert werden.

Können Sie diese Massnahmen etwas genauer beschreiben?

Wir bieten sehr gute Konditionen für berufstätige Eltern und schreiben unter anderem alle Stellen grundsätzlich als 80 bis 100 Prozent aus – da gibt es keine Ausnahme. Stelleninserate werden so formuliert, dass sie unterschiedliche Menschen gleichermassen ansprechen. Der Prozess sieht vor, dass immer eine Frau in die engere Auswahl kommen muss. Alle Kader haben Zugang zu erstklassigen Führungsausbildungen und lernen, wie man eine inkludierende Kultur schafft. Wir haben spezielle Entwicklungsprogramme für Frauen und führen einen aktiven Dialog darüber, wie wir unsere Kultur weiter verbessern können. Bei uns gibt es weiter die Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen oder das Arbeitspensum anzupassen. Ich selbst konnte auch von der Flexibilität bei Deloitte profitieren: Als meine Kinder noch kleiner waren, habe ich während einiger Zeit eine interne Rolle übernommen, bei der ich weniger reisen musste. Wir kommunizieren zudem intern laufend Geschichten über Mitarbeitende, die Flexibilität leben und schätzen. Da wir unseren jungen Talenten genau dies bieten können, bleiben viele von ihnen gerne bei uns. Sie wissen, dass sie ihre Karriere nicht wegen des Nachwuchses unterbrechen müssen.

Was sind denn die Grundlagen einer modernen Unternehmenskultur, wie sie die Millennials schätzen?

Ein zentrales Element ist der Unternehmenszweck, der so genannte «Purpose». Ein Unternehmen muss sich heutzutage eine klare Mission geben und definieren, was es für die Gesellschaft leistet. Der «Purpose» ist eine Art Daseinsberechtigung, die über das Materielle und die Wertschöpfung hinausgeht. Das kann bedeuten, dass ein Unternehmen sich für die Umwelt engagiert. Oder es erfüllt einen gesellschaftlichen Zweck, wie zum Beispiel das Leben von kranken Menschen zu verbessern. Auf diesen Unternehmenszweck kann man sich immer wieder berufen, er wirkt motivierend auf die Mitarbeitenden. Wichtig sind aber auch klare Regelungen und die Unterstützung des Managements, damit der «Purpose» verstanden und gelebt wird.

Braucht es den Staat, um die Gleichstellung in der Wirtschaft voranzutreiben?

Wir sind auf dem richtigen Weg – hin zu einem wirtschaftlichen Umfeld, in dem Inklusion und Gleichberechtigung gelebt wird. Weil viele junge Menschen aber nicht so lange warten wollen, braucht es meiner Ansicht nach politische Unterstützung. Schauen wir zum Beispiel die Kinderbetreuung in der Schweiz an: Viele Millennials haben bereits Kinder oder wollen bald eine Familie gründen. Ohne Tagesschulen wird es extrem schwierig, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, in dem junge Familien einen so hohen Anteil ihres Einkommens für die Kinderbetreuung ausgeben wie in der Schweiz. Ich stamme aus Schweden und habe gute Erfahrungen gemacht mit meinen berufstätigen Eltern und der Tagesschule. Das ist für mich die Norm. Ich habe aber rasch gemerkt, dass dies in der Schweiz leider nicht so ist. Um die Gleichstellung weiter voranzutreiben braucht es mehr Tagesschulen, und der Vaterschaftsurlaub muss stark ausgebaut werden. Bei Deloitte sind wir hier schon viel grosszügiger als vorgeschrieben – aber gesellschaftliche und politische Unterstützung ist gefragt, um auf breiter Front eine nachhaltige Veränderung zu bewirken.

Mehr Flexibilität bedeutet aber auch, dass die Millennials dem Arbeitgeber nicht treu bleiben!

Unsere Studie hat gezeigt, dass Millennials flexiblen Unternehmen länger treu bleiben. Die aktuell vielen offenen Stellen in der Schweiz und der Kampf um die Talente führen aber dazu, dass junge Menschen häufiger den Job wechseln als früher. Zudem sind die Millennials eher einer Person oder einem Team gegenüber loyal als dem Unternehmen. Vielfalt und Flexibilität sind der Schlüssel zur Loyalität, aber klar: auch dadurch lassen sich Millennials nicht immer lange halten. Sie haben verstanden, dass es im Leben und bei der Arbeit viele Möglichkeiten gibt. Was sich ihre Eltern noch erkämpfen mussten, können sie nun einfach tun.

Was macht Deloitte für die jüngere Generation Z?

Menschen unter 25 haben ganz ähnliche Bedürfnisse wie die Millennials. Sie suchen Interessante Aufgaben, wollen für und mit Menschen arbeiten, die sie inspirieren und bei der Arbeit auch mal Spass haben. Der Lohn ist ihnen nicht so wichtig, weil sie privat noch weniger Verantwortung tragen. Wir prüfen zurzeit ein Programm, bei dem wir junge Talente direkt nach der Matura anstellen – wir haben dies in anderen Ländern sehr erfolgreich eingeführt. Diese erhalten dann ein spezielles Training «on the Job» und können rasch Verantwortung übernehmen. Zudem haben wir unser Lehrlingsprogramm für die Schweiz überarbeitet.

Umfrageergebnisse zum Verhalten der Unternehmen

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