Smart Sanctions und Compliance-Anforderungen in der Praxis – ein Fass ohne Boden?

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Smart Sanctions und Compliance-Anforderungen in der Praxis – ein Fass ohne Boden?

In den letzten Jahren haben sich auf der geo- und sicherheitspolitischen Bühne sogenannte «Smart Sanctions» – das heisst das gezielte Verhängen von restriktiven Massnahmen gegen einzelne Personen, Organisationen und Einrichtungen – als bedeutendes Instrument der Aussenpolitik durchgesetzt. Die Schweiz unterstützt dabei international breit abgestützte Sanktionen, die sich an der Einhaltung des Völkerrechts und an humanitären Werten orientieren. Massgeblicher Taktgeber für die national formulierten Sanktionsverordnungen sind dabei vor allem Resolutionen der Vereinten Nationen sowie teilweise Sanktionsbeschlüsse der EU.

Von besonderer Bedeutung sind dabei Finanzierungsverbote, die unter anderem die unmittelbare oder mittelbare Bereitstellung jeglicher wirtschaftlichen Ressourcen an Personen oder Einrichtungen verbieten, die in den Sanktionslisten aufgeführt sind.[i] Für Unternehmen bedeutet dies, dass es unvermeidbar geworden ist, potentielle und bereits bestehende Geschäftsbeziehungen regelmässig gegen aktuelle Sanktionslisten zu prüfen, denn ein Verstoss gegen dieses Bereitstellungsverbot hat ernste Konsequenzen, von empfindlichen Geldbussen bis hin zu Gefängnisstrafen oder der empfindlichen Einschränkung der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens.

Praktische Herausforderung

Die praktische Herausforderung für Unternehmen besteht darin, die Grenzen der Sanktionsvorschriften zu verstehen und zu verwalten. Zwar macht etwa der Europäische Gerichtshof deutlich, dass das Bereitstellungsverbot als besonders weit gefasst verstanden werden muss – was dies jedoch konkret in Bezug auf das mittelbare Bereitstellungsverbot bedeutet, lässt Luxembourg dahingestellt. Während das unmittelbare Bereitstellungsverbot – das heisst die direkte Zurverfügungstellung von geldwerten Zuwendungen an gelistete Personen oder Einrichtungen – zwar einleuchtend ist, erweist sich die mittelbare Bereitstellung von wirtschaftlichen Ressourcen als problematisch. Was ist mit dem Tochterunternehmen des «bösen» Mutterkonzerns? Wie weit ist «sehr weit» auszulegen?

Dass die offene Definition des mittelbaren Bereitstellungsverbotes eine bewusste Entscheidung des Gerichtshofs ist, zeigt bereits der Sinn und Zweck des Sanktionsrechts, das möglichst flexibel, dynamisch und effektiv eingesetzt werden können muss, um der Schnelllebigkeit aussenpolitischer Entscheidungen Folge leisten zu können. Somit bewegt sich das aussenwirtschaftliche Instrument der Finanzierungsverbote in einer stetigen Gratwanderung zwischen höchstmöglicher Effektivität und dem Bedürfnis der Wirtschaftsteilnehmer nach Rechtssicherheit und Bestimmtheit.

Eine Stellungnahme der EU-Kommission bietet hier Orientierungshilfe: Sie besagt, dass eine Bereitstellung jeglicher wirtschaftlichen Ressourcen an Personen oder Einrichtungen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer gelisteten Person oder Einrichtung stehen, eine indirekte Zurverfügungstellung im Sinne des Bereitstellungsverbotes darstellen. Das mittelbare Bereitstellungsverbot gilt somit, wenn ein gelistetes Unternehmen im Besitz von mehr als 50% der Eigentumsrechte ist oder eine sonstige Mehrheitsbeteiligung vorliegt. Dies gilt auch, wenn Gesellschafter auf anderem Wege einen beherrschenden Einfluss nach den Kriterien der Anti-Terror-Verordnung ausüben können.[ii]

Allerdings hat diese Stellungnahme keinen verpflichtenden Gesetzescharakter und ist somit lediglich Ausdruck des gesetzgeberischen Willens. Eine ähnliche Präzisierung durch Schweizer Stellen steht noch aus. Schweizer Sanktionsmassnahmen sehen aber bereits rechtsverbindlich vor, dass sich die Bereitstellungsverbote auch auf im Eigentum und unter Kontrolle der gelisteten (juristischen) Personen erstrecken können.[iii] Demnach ist das Tochterunternehmen des gelisteten Mutterkonzerns unter Umständen tabu, jedenfalls soweit im Einzelfall nicht nachgewiesen werden kann, dass die Gelder ausschliesslich bei der Tochtergesellschaft verbleiben.

Grenzen des mittelbaren Bereitstellungsverbotes

Es kann jedoch nicht im Interesse des Europäischen Gerichtshofes, der Schweiz und der internationalen Staatengemeinschaft sein, das mittelbare Bereitstellungsverbot grenzenlos auszulegen, da die Rechtsunsicherheit aufgrund der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffes eine wirtschaftliche Lähmung zur Folge haben kann. Andererseits muss jedem Wirtschaftsteilnehmer bewusst sein, dass es keine konkreten Kriterien zur Einhaltung des mittelbaren Bereitstellungsverbotes geben kann, denn für das Sanktionsrecht kommt es nicht auf die Art und Weise der Bereitstellung, sondern lediglich auf das Ziel der Sanktion an: Wirtschaftliche Ressourcen dürfen nicht in die Hände der gelisteten Personen oder Einrichtungen gelangen, andernfalls wären jegliche restriktiven Massnahmen praktisch unwirksam. Für die Wirtschaft bedeutet dies, dass sie einen risikobasierten Ansatzpunkt wählen muss, der das Risiko eines Verstosses einerseits durch interne Due-Diligence-Prozesse und andererseits durch gutes Risiko- und Compliance-Management minimiert.

Bedeutung für Unternehmen

Das Schweizer Sanktionsrecht sieht zwar keine expliziten Schuldbefreiungsklauseln vor, allerdings greifen die allgemeinen Grundsätze der straf- und bussgeldrechtlichen Vorwerfbarkeit, sodass es zu einer Beschränkung der Verantwortlichkeit kommt. Unternehmen müssen dementsprechend zeigen, dass sie durch risikobasierte Compliance- und Kontrollstrukturen die Möglichkeit eines Verstosses ausschliessen können. Dies kann bestmöglich im Verbund durch folgende drei Massnahmen gewährleistet werden:

1. Modifizierter Sanktionslistenabgleich: 

Unternehmen sind angehalten – abhängig vom jeweiligen Industriesektor sowie der Handelsstruktur – einen modifizierten Sanktionslistenabgleich einzuführen, der neben einem direkten Listenabgleich zwischen Geschäftspartnern und Einträgen auf Sanktionslisten auch Eigentums- und Kontrollstrukturen berücksichtigt. Dies wird ohne Rückgriff auf automatisierte Lösungen spezialisierter Anbieter nicht zu bewältigen sein. Zudem muss die komplexe Logik im System und in den Prozessen entsprechend konfiguriert und ausgearbeitet werden. «One size fits all» wird nicht funktionieren, ausser Unternehmen richten sich nach den jeweils strengsten Vorschriften und nehmen dabei in Kauf, auf anderenfalls rechtmässige Geschäfte zu verzichten. Aber auch dieses Vorgehen sollte Ergebnis einer bewussten unternehmerischen Entscheidung sein und sich nicht «zufällig» aus der jeweiligen IT-Lösung ergeben.

2. Risikobasierte Know-your-Customer-Prozesse:

Unternehmen sollten Prozesse sicherstellen, die eine bestmögliche Kenntnis über ihre Geschäftspartner ermöglichen, um fahrlässige Verstösse gegen das Aussenwirtschaftsrecht möglichst auszuschliessen. Hierbei kommt es auf die abgestimmte Integration der sogenannten «First Line of Defence» (operative Geschäftseinheiten mit ihrem gesteigerten Wissen über Kunden, Markt und Branche) in die «Second Line of Defence» (Trade-Compliance-Funktionen) an. Risikoindizien können durch entsprechende Schulungen und Checklisten vermittelt und abgerufen werden.

3. Flankierende Vertragsgestaltung:

Das dritte Element zur Risikomitigierung besteht darin, vertragliche Vorkehrungen zu treffen, um Verstösse gegen das (indirekte) Bereitstellungsverbot so weit wie möglich auszuschliessen. Hierbei bewährt sich ein vielschichtiges Vorgehen, dass neben aussenwirtschaftsrechtlichen Compliance- sowie Endverbleibs-Klauseln auch grundsätzliche Bestimmungen etwa zur Unterbeauftragung und zu Vertriebswegen adressiert.

Hausaufgaben für alle

Während die internationale Staatengemeinschaft idealerweise rechtsverbindlich und präzise definieren sollte, was unter mittelbarer Bereitstellung sowie dahinterstehenden Eigentums- und Kontrollstrukturen zu verstehen ist, wäre es an der Wirtschaft, die Thematik proaktiv in den jeweiligen Compliance-Organisationen der Unternehmen aufzugreifen. Warum etwa nicht in einem ersten Schritt das Schweizer Embargogesetz[iv] um eine Legaldefinition zu Eigentum- und Kontrollstrukturen im Zusammenhang mit Finanzierungsverboten erweitern?

 

[i] Art. 4a Abs. 2 der VERORDNUNG (EU) Nr. 401/2013 DES RATES vom 2. Mai 2013; in der Schweiz formuliert als «indirekt zur Verfügung stellen» und normiert in Verordnung über Massnahmen gegenüber Myanmar (946.231.157.5) vom 17. Oktober 2018 (Stand am 25. August 2020).

[ii] Art. 1 Nr 5/6 der COUNCIL REGULATION (EC) No 2580/2001 of 27 December 2001.

[iii] Beispielhaft wird auf Artikel 2 Buchstabe c der Verordnung (946.231.157.5) über Massnahmen gegenüber Myanmar vom 17. Oktober 2018 (Stand am 25. August 2020) verwiesen.

[iv] Bundesgesetz (946.231) über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen (Embargogesetz, EmbG).

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