Posted: 15 Jan. 2021 5 min Lesezeit

Economic Trend Briefing: Konjunkturausblick 2021 - Aufschwung unterbrochen, aber nicht abgesagt

Die Konjunktur im Corona-Jahr 2020 glich einer Achterbahn: Auf einen nie dagewesenen Einbruch im zweiten Quartal um fast 10 Prozent folgte eine überraschend steile Erholung im dritten Quartal (+8,5%). Endgültige Daten für das vierte Quartal liegen noch nicht vor, aber der im November eingeführte „Lockdown light“ und später verschärfte Lockdown haben die Aufwärtsbewegung gestoppt, das BIP dürfte stagniert haben. In dieser Hinsicht gleicht die bisherige Konjunktur weniger dem vieldiskutierten V oder U-förmigen Verlauf, sondern eher dem mathematischen Wurzelzeichen. Für 2021 stellen sich Fragen nach dem Anhalten der Stagnation, ob es nach dem Ende des Lockdowns mit dem Aufschwung weitergeht oder ob wir in eine double-dip Rezession abgleiten, die dann eher einem W-förmigen Verlauf ähneln würde. 

 

Aktuelle Stimmung: Moderater Abwärtstrend

 

Um in der Corona-Krise schnell die wirtschaftliche Stimmung erheben zu können, hat Deloitte Research den Economic News Index (ENI)  entwickelt. Der ENI ist ein textbasierter Indikator und misst die Stimmung, die sich aus der Analyse redaktioneller Inhalte in der Wirtschaftspresse ergibt. Er screent dabei täglich eine große Anzahl von Wirtschaftsnachrichten aus nationalen und regionalen Medien in Deutschland. Positive und negative Tendenzen werden in getrennten Indizes erfasst und später miteinander verrechnet. Die Null-Linie ist der langfristige Durchschnitt. Im historischen Verlauf zeigte sich, dass der ENI den Trend der BIP-Entwicklung gut antizipieren konnte.¹ 

Aktuell spiegelt sich der Lockdown in einer Abwärtsbewegung des ENI durchaus wider, allerdings ist diese relativ moderat. Mitte September 2020 lag der Index nach dem extrem tiefen Fall im Frühjahr und einer anschließend kontinuierlichen Aufwärtsbewegung das erste Mal wieder über dem langjährigen Durchschnitt. Seitdem hat sich der Index im positiven Bereich gehalten, wenn auch mit Schwankungen; aktuell ist er auf die Grenze zwischen positivem und negativem Bereich zurückgegangen. Der Rückgang ist damit sehr viel geringer als man angesichts des aktuellen Lockdowns erwarten könnte, und er ist mit dem Rückgang im Frühjahr nicht im Ansatz zu vergleichen, obwohl ja einige Wirtschaftsbereiche völlig stillgelegt wurden.

Dies dürfte daran liegen, dass der Dienstleistungssektor durch die Corona-Restriktionen zwar stark leidet, die Industrie vom Lockdown aber relativ wenig betroffen ist. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie ist im Dezember 2020 auf den höchsten Wert seit Februar 2018 geklettert. Dies ist auch insofern bemerkenswert, als sich die Industrie seit 2018 in der Rezession befand und bis zur Corona-Krise der Dienstleistungssektor der entscheidende Wachstumstreiber war. Eine wichtige Rolle hierbei spielt das rasche Comeback des Welthandels und die schnelle Erholung der chinesischen Wirtschaft.

 

Die konjunkturellen Knackpunkte 2021

 

Der Konjunkturausblick für 2021 hängt vor allem an zwei Faktoren: Zum einen wird entscheidend sein, wann und in welchem Maß die Corona-bedingten Beschränkungen wieder gelockert werden. Dies ist davon abhängig, ob der aktuelle Lockdown die gewünschte Wirkung zeigt, aber auch davon, wie schnell die Impfkampagne voranschreitet.

Der andere Faktor liegt im Verhalten von Konsumenten und Unternehmen nach dem Lockdown. Die wirtschaftspolitischen Stützungsmaßnahmen haben die verfügbaren Einkommen – gesamtwirtschaftlich gesehen – trotz der tiefen Rezession relativ stabil gehalten. Gleichzeitig waren die Konsummöglichkeiten beschränkt und die Konsumenten haben aus Vorsicht gespart, so dass die Ersparnisse und die Sparquote gestiegen sind. Zudem haben die Unternehmen Investitionen zurückgehalten bzw. zurückgestellt. Wenn es 2021 Nachholeffekte gibt, dann könnte das Wachstum einen enormen Schub erhalten. Sind aber die Zukunftserwartungen angeknackst und die Nachwirkungen der Krise schwerwiegend, beispielsweise durch steigende Insolvenzen, dann werden sich Konsum und Investitionen nur zögerlich erholen, sodass der Schub für das Wachstum ausbleibt oder erst später einsetzt.

 

Die Fortsetzung des Aufschwungs

 

Vor diesem Hintergrund erwarten wir in unserem Baseline-Szenario für die deutsche Konjunktur, dass das erste Quartal 2021 durch den fortgesetzten Lockdown geprägt und das BIP-Wachstum im Quartalsvergleich leicht negativ sein wird. Im zweiten Quartal dürfte der Aufschwung durch die bis dahin erfolgten Corona-Schutzimpfungen und das –  wahrscheinlich schrittweise – Herunterfahren der Beschränkungen an Fahrt aufnehmen. Dadurch sollten vor allem die Konsumlaune und die Konsumausgaben steigen.

Dieser Trend dürfte sich im dritten Quartal beschleunigen; die privaten Haushalte haben im ersten Lockdown ihre Sparquote enorm gesteigert und sie danach deutlich über dem Vorkrisen-Niveau gehalten, nicht zuletzt auch deswegen, weil viele Ausgaben nicht möglich waren und sind. Die Sparquote in Deutschland, also die Ersparnisse als Anteil des verfügbaren Einkommens, ist nach Daten des statistischen Bundesamtes und Schätzungen von Oxford Economics von 11 Prozent 2019 auf geschätzt 17 Prozent gestiegen. Dies bedeutet in absoluten Werten, dass die deutschen Haushalte im Jahr 2020 rund 130 Milliarden Euro mehr gespart haben als 2019. Diese Ersparnisse dürften 2021 zumindest in Teilen in nachholenden Konsum fließen. Der Export wiederum wird spätestens im zweiten Halbjahr voraussichtlich von der Erholung in wichtigen Märkten profitieren, die die dortigen Impfkampagnen ermöglichen.

Alles in allem wächst die deutsche Wirtschaft in unserem Baseline-Szenario um 4,0 Prozent, nachdem sie 2020 um 5,3 Prozent geschrumpft ist. Wenn dies eintrifft, dann würde Deutschland im letzten Quartal 2021 wieder das Vorkrisen-Niveau erreichen.

Die anderen großen Länder der Eurozone dürften 2021 stärker wachsen als Deutschland, zwischen 4,5 und 6,3 Prozent. Dies spiegelt allerdings nur wider, dass der Einbruch in Italien, Frankreich und Spanien sehr viel tiefer war als in Deutschland – im Falle Spaniens mit minus 11 Prozent gleich doppelt so stark. Aus diesem Grund wird es in diesen Ländern auch länger dauern, bis sie das Ausgangsniveau von vor der Krise wieder erreichen. 

 

Bandbreite der möglichen Konjunkturentwicklungen hoch

 

Natürlich sind auch positivere und negativere Szenarien denkbar, abhängig von den Annahmen. Ein negativeres Szenario würde beispielsweise eintreten, wenn die Impfungen langsamer vorankommen als geplant oder durch Mutationen des Virus nicht so effektiv sind wie gedacht. Sehr wahrscheinlich wäre in diesem Fall die Aufrechterhaltung oder Wiedereinführung der Beschränkungen und damit eine fortgesetzte Stagnation oder Rezession. Allerdings sind auch durchaus optimistischere Entwicklungen denkbar. In einem sehr positiven Szenario würde die Pandemie schnell und effektiv unter Kontrolle gebracht, während gleichzeitig ausgeprägte Nachholeffekte einen Konsumboom anheizen. Dann könnte das Wachstum noch einmal deutlich über dem des Baseline-Szenarios liegen.

In diesem Sinne ist die konjunkturelle Entwicklung sehr viel mehr als sonst von externen Faktoren wie der Impfgeschwindigkeit und der Verfassung der Konsumenten nach der Pandemie abhängig. Diese Entwicklungen frühzeitig zu erfassen und die Rückkopplungen auf die Konjunktur, die eigene Branche und das eigene Unternehmen zu analysieren, wird eine der strategischen Herausforderungen für Unternehmen im laufenden Jahr. 

 

 

¹ Zur Methodik des ENI und der Prognosequalität siehe COVID-19-Briefing vom 19.5.2020: https://www2.deloitte.com/de/de/blog/covid-19-briefings/2020/covid-19-briefing-economic-news-index.html

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Dr. Alexander Börsch ist Chefökonom und Leiter Research Deloitte Deutschland. Sein Fokus liegt auf der Analyse ökonomischer Trends und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Unternehmensumfeld. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wachstum und Konjunktur, Brexit, digitale Ökonomie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Städten und Ländern.