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Back-Branching

Die Rolle der Niederlassungen im Vereinigten Königreich beim Zugang zum EWR-Markt

Institute for Law and Finance (ILF) Working Paper von Dr. Mathias Hanten und Dr. Moritz Maier

Der Austritt Großbritanniens ("UK") aus der Europäischen Union ("EU") am 31. Januar 2020 war die erste Anwendung von Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union ("EUV") und damit ein politisches und europarechtliches Novum und auch ein Lehrstück für den Umgang mit dem Austritt eines Mitgliedstaats aus dem Europäischen Wirtschaftsraum ("EWR"). Während es bei den politischen Verhandlungen über die Austrittsmodalitäten vor allem um die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, die Beibehaltung des Aufenthaltsrechts und die künftigen Modalitäten des Warenverkehrs ging, spielte der Finanzsektor eine untergeordnete Rolle. Dies zeigt sich besonders deutlich im Brexit-Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Das Abkommen enthält keine einzige ausdrückliche Aussage über die Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich im Bereich der Finanzdienstleistungen in einem Post-Brexit-Umfeld. Aus aufsichtsrechtlicher Sicht ist der Brexit eine Zuspitzung für alle Fragen des Zugangs von Drittländern in den EWR. Wie soll einem Kreditinstitut aus dem Vereinigten Königreich - jetzt ein Drittland - der Zugang zum EWR gewährt werden und umgekehrt? Wie kann sichergestellt werden, dass beim Marktzugang vom Vereinigten Königreich zum EWR jeder Mitgliedstaat konvergent handelt und keine Arbitrageeffekte entstehen? Wie können die Regulierungsbehörden die Konvergenz im EWR angesichts der unterschiedlichen Aufsicht in den teilnehmenden Mitgliedstaaten gemäß Artikel 17 des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus ("SSM") und in den nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten verbessern? Inwieweit können Aufgaben in das Vereinigte Königreich verlagert werden? Kann das Konzept der "Reverse Solicitation", d.h. die Nutzung des (passiven) freien Dienstleistungsverkehrs nach Artikel 57 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ("AEUV") die grenzüberschreitende Tätigkeit verbessern? Wie können Kundenbeziehungen, d.h. Verträge sowie Aktiva und Passiva, übertragen werden, wenn der Sitz vom Vereinigten Königreich in den EWR verlegt wird? All diese Fragen des Zugangs zu Drittländern wurden im Zusammenhang mit dem Brexit besonders relevant, da als Folge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus dem EWR die Vorteile des Europäischen Passes nicht mehr galten. Das Regime des Europäischen Passes ist europarechtlich durch die Artikel 33 ff. der Capital Requirements Directive IV/V ("CRD IV/V") und Artikel 34 ff. der Markets in Financial Instruments Directive II ("MiFID II") vorgeschrieben und konkretisiert. Der Europäische Pass ermöglicht es Kreditinstituten, beaufsichtigte Bank- und Finanzdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten auf der Grundlage der von ihrem Heimatstaat erteilten Zulassung zu erbringen, ohne dass eine zusätzliche Zulassung durch die Behörde des Aufnahmestaats erforderlich wäre. In dieser Hinsicht kann der Europäische Pass als ein gesetzlich vorgeschriebenes Gleichwertigkeitsregime angesehen werden, das allen für die Finanzaufsicht relevanten Beziehungen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt. Bisher beschränkte der EU-Rechtsrahmen jedoch die Bestimmungen über Zweigniederlassungen in Drittländern (TCB) auf einen einzigen allgemeinen Grundsatz, vgl. Artikel 47 Absatz 1 CRD: Die Mitgliedstaaten dürfen keinen TCB-Bestimmungen unterliegen, die zu einer günstigeren Behandlung führen als die von Zweigniederlassungen mit Europäischem Pass. Der im Oktober 2021 im Rahmen des Bankenpakets 2021 zur Umsetzung der Basel III-Standards veröffentlichte Entwurf der CRD VI zeigt jedoch, dass auch die Regulierung von TCBs in naher Zukunft einer wesentlich strengeren Kontrolle und Harmonisierung unterworfen sein wird.

Das hier vorgelegte Working Paper befasst sich mit einem sehr spezifischen Szenario des Drittlandzugangs, das sich im Spannungsfeld zwischen den Regelungen des Europäischen Passes und den individuellen nationalen Regelungen des Drittlandzugangs bewegt: „Back-Branching“.

Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die praxisrelevanten Aktivitäten der Kreditinstitute, die durch die Capital Requirements Directive ("CRD") und die Capital Requirements Regulation ("CRR") bestimmt werden. Dagegen werden der Europäische Pass und die Drittstaatenzugangsmodalitäten nach den Bestimmungen der MiFID II, der Richtlinie über Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren ("OGAW"), der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds ("AIFMD"), der Solvabilitätsrichtlinie II oder der Richtlinie über Zahlungsdienste II ("PSD II") nicht näher betrachtet. Diese Einschränkung war notwendig, da alle Richtlinien unterschiedlichen Ansatz für die Zugangsmodalitäten zu Drittländern verfolgen. Dies reicht von einem eindeutigen und vollständig harmonisierten Konzept, z.B. der AIFMD, bis hin zu Konzepten, die den Zugang von Drittländern völlig ausklammern, z.B. PSD II. Darüber hinaus kann die derzeitige aufsichtsrechtliche Situation im Vereinigten Königreich aufgrund des europäischen Rechtserbes des Vereinigten Königreichs immer noch als weitgehend gleichwertig mit der Rechtslage im EWR angesehen werden. Die folgenden Ausführungen gehen jedoch davon aus, dass es in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird, spezielle Gleichwertigkeitsvereinbarungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU oder einzelnen Mitgliedstaaten zu treffen, die den Betrieb von Bankgeschäften und die Erbringung von Finanzdienstleistungen gesondert regeln. Nichts deutet darauf hin, dass solche Abkommen in naher Zukunft zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU oder einzelnen Mitgliedstaaten geschlossen werden. Dass der Abschluss solcher Abkommen komplex ist, zeigt beispielsweise die Tatsache, dass weder das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) noch das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union Regelungen zu "Finanzdienstleistungen" enthalten. Darüber hinaus legt die Erfahrung nahe, dass die britische Aufsichtsbehörde zu einem "Light Touch"-Ansatz zurückkehren könnte, um den Marktzugang zu optimieren, für den die Financial Conduct Authority vor der Finanzkrise bekannt und geschätzt war. Immerhin haben sich die EU und das Vereinigte Königreich in einer gemeinsamen Erklärung darauf geeinigt, einen Rahmen für die Zusammenarbeit in Aufsichtsfragen zu entwickeln. Dieser soll Transparenz und einen gemeinsamen Dialog im Verfahren zum Erlass, zur Aussetzung oder zum Widerruf von Gleichwertigkeitsbeschlüssen sowie einen ständigen Austausch über Aufsichtsinitiativen ermöglichen. Mit der gemeinsamen Erklärung zur aufsichtlichen Zusammenarbeit soll zwar der Grundstein für einen stabileren Gleichwertigkeitsprozess gelegt werden, die Festlegung des Rahmens erfordert jedoch noch weitere Verhandlungen. Das Ergebnis ist daher zum jetzigen Zeitpunkt ungewiss, und der gegenwärtig erreichte Stand kann nicht als solide Grundlage für die Erbringung von Bankdienstleistungen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem EWR dienen.

Das Working Paper sowie weitere Informationen zum ILF finden Sie auch auf der ILF-Homepage.

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