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Grenzüberschreitende Umwandlungen innerhalb der Europäischen Union
Gesteigerte Mobilität für Unternehmen?
Zusammen mit der bereits im Juli 2019 in Kraft getreten Digitalisierungsrichtlinie vollendet die MobilitätsRL vom 12. Dezember 2019 das Company Law Package. Die Richtlinie schafft die Grundlagen für eine gesteigerte Mobilität von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU sowie ein größeres Maß an Rechtssicherheit.
Hintergrund - Die Niederlassungsfreiheit als Grundfreiheit für Unternehmen
Mit einer Vielzahl wegweisender Urteile („Centros“, „Überseering“, „Inspire Art“, „VALE“) hat der EuGH deutlich gemacht, dass es europäischen Unternehmen auf Grundlage der Niederlassungsfreiheit möglich sein muss, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten im europäischen Binnenmarkt auszunutzen.
Dennoch fehlte es - mit Ausnahme der Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen aus 2007 - bislang an einem einheitlichen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahmen in der EU.
Solche Vorhaben richten sich bis dato nach dem jeweils geltenden Recht der Mitgliedstaaten. Die innerstaatlichen Vorschriften weisen jedoch von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erhebliche Unterschiede auf und führen daher zu Rechtsunsicherheit, Rechtszersplitterung und einem unzureichendem Schutz für Gesellschafter, Arbeitnehmer und Gläubiger der betreffenden Gesellschaften. Hierdurch wurde die Planung und Durchführung von grenzüberschreitenden Umwandlungen massiv erschwert, was viele Unternehmen davon abhielt, ihre wirtschaftliche Chancen zu nutzen, da der damit einhergehende bürokratische Aufwand zu hoch schien.
Der Weg zu einer gesteigerten Mobilität von Unternehmen wurde mit der Polbud-Entscheidung des EUGH aus dem Jahr 2017 weiter vorangetrieben. Im Kern stellte der EUGH fest, dass die Niederlassungsfreiheit für europäische Unternehmen auch das Recht umfasst, sich in eine Gesellschaftsform eines anderen EU-Staates umzuwandeln, ohne dabei die Gesellschaft im Herkunftsstaat auflösen zu müssen.
Trotz dieser Entscheidungen des EUGH stand die Praxis mangels einheitlicher gesetzlicher Vorgaben vor erheblichen Schwierigkeiten bei der Durchführung solcher Vorhaben.
Zur Beseitigung dieser Regelungslücke und zur Schaffung eines Plus an Rechtssicherheit, verfolgt der EU-Gesetzgeber mit der MobilitätsRL daher das Ziel, ein rechtliches Grundgerüst für grenzüberschreitende Vorhaben zu schaffen. Die neue Mobilitätsrichtlinie setzt dabei im Wesentlichen die bereits im Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance aus 2012 in Aussicht gestellten Maßnahmen zur Verbesserung grenzüberschreitender Maßnahmen um. Sie ergänzt und optimiert die bereits existierenden Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung und kodifiziert erstmalig den grenzüberschreitenden Formwechsel und die grenzüberschreitende Spaltung zur Neugründung.
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Anwendungsbereich
Die Richtlinie schafft für europäische Kapitalgesellschaften einen einheitlichen Rechtsrahmen für Umwandlungsmaßnahmen, die sich über die Grenze eines Mitgliedsstaates hinaus erstrecken, und damit zur Änderung des auf den betroffenen Rechtsträger anwendbaren Rechts führen.
Umwandlungsvorgänge unter Beteiligung von Personengesellschaften sind weiterhin nicht vom Regelungsumfang der Richtlinie umfasst. Den nationalen Gesetzgebern steht es jedoch bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht frei, den Anwendungsbereich entsprechend zu erweitern.
Grenzüberschreitende Vorhaben
Die Richtlinie passt die bereits 2007 eingeführten Vorschriften zur grenzüberschreitenden Verschmelzung sowie die Regelungen der Gesellschaftsrechts-RL von 2017 an und ergänzt diese um Regelungen zu den weiteren grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen, den sogenannten grenzüberschreitenden Vorhaben.
Neben der Verschmelzung werden nun auch erstmalig Regelungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel und zur grenzüberschreitenden Spaltung eingeführt. Die Durchführung von Spaltungsmaßnahmen, also Auf- und Abspaltungen sowie Ausgliederungen, ist allerdings nur zur Neugründung vorgesehen. Grenzüberschreitende Spaltungen zur Aufnahme durch einen bereits bestehenden Rechtsträger sind nicht Gegenstand der Richtlinie.
Ablauf und Verfahren
Übergeordnetes Ziel ist die Vereinheitlichung der Verfahren zur Durchführung der Umwandlungen sowie ein angemessener Interessensausgleich der Beteiligten bei grenzüberschreitenden Vorhaben.
Die Bestimmungen der Richtlinie orientieren sich weitgehend an den bereits bekannten Verfahren für die europäische Aktiengesellschaft und der grenzüberschreitenden Verschmelzung. Sie sieht für die jeweiligen Vorhaben Verfahrensvorschriften vor, die sich zum großen Teil gleichen. Bedauerlicherweise weist sie jedoch bei den Verfahrensregelungen für unterschiedliche Umwandlungsformen diverse Inkonsistenzen auf. So ist zum Beispiel die Aufstellung eines detaillierten Zeitplans für die einzelnen Bestandteile der Umwandlung nur bei Formwechsel und Spaltungen vorgesehen, nicht aber in Bezug auf Verschmelzungen.
Nach den Regelungen der Richtlinie ist bei allen grenzüberschreitenden Vorhaben zunächst ein Umwandlungsplan zu erstellen, der die wichtigsten Informationen, Erläuterungen zur neuen Gesellschaftsform und den wirtschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen der Umwandlung enthält. Der Umwandlungsplan ist durch einen unabhängigen Sachverständigen zu prüfen.
Für die Gesellschafter und Arbeitnehmer der an der Umwandlungsmaßnahme beteiligten Gesellschaften ist durch die Geschäftsleitungsorgane ein Verschmelzungs-, Formwechsel- bzw. Spaltungsbericht (bzw. sofern sich die Gesellschaft dafür entscheidet, ein Bericht mit zwei separaten Abschnitten) anzufertigen, der die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte und Auswirkungen erläutert und begründet. Dieser ist den Gesellschaftern bzw. Arbeitnehmern grundsätzlich sechs Wochen vor der Beschlussfassung über die Umwandlungsmaßnahme zugänglich zu machen.
Spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung, die über das grenzüberschreitende Vorhaben beschließt, sind der Umwandlungsplan und der Sachverständigenbericht öffentlich zugänglich zu machen.
Nachdem die Gesellschafterversammlungen der beteiligten Gesellschaften dem Vorhaben durch Beschluss zugestimmt haben, erfolgt eine zweistufige Rechtsmäßigkeitskontrolle:
Zunächst überprüft die Behörde des Wegzugsstaates, ob die Voraussetzungen für die Durchführung des Vorhabens vorliegen und stellt bei positiver Prüfung eine Vorabbescheinigung aus. Die Vorabbescheinigung wird anschließend über das seit 2017 existierende System zur Verknüpfung nationaler Unternehmensregister (Business Register Interconnection System – BRIS) an die Behörde des Zuzugsstaats übermittelt, die die Wirksamkeit der Umwandlungsmaßnahme ausschließlich nach nationalem Recht prüft. Liegen alle Voraussetzungen vor, wird das grenzüberschreitende Vorhaben mit Eintragung in den Handelsregistern der beteiligten Staaten wirksam.
Fazit
Mit der EU-Richtlinie werden die Grundlagen für eine Angleichung des europäischen Gesellschaftsrechts geschaffen. Diese sind bis zum 31.01.2023 von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umzusetzen. Hierfür wurde in Deutschland vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eine Expertenkommission eingesetzt.
Indem eine Normierung der bislang gesetzlich nicht geregelten Institute des grenzüberschreitenden Formwechsels bzw. der grenzüberschreitenden Spaltung erfolgt ist, eröffnen die Neuregelungen den Unternehmen mehr Flexibilität, sich innerhalb der EU niederzulassen. Die Einführung gesetzlicher Höchstfristen, die die Behörden der beteiligten Mitgliedsstaaten im Rahmen der Durchführung der Maßnahmen beachten müssen, dürfte die Gefahr von Verfahrensverzögerungen verringern. Kritisch zu sehen sind allerdings die in der Richtlinie angelegten Inkonsistenzen bei den Verfahrensregelungen. Abzuwarten bleibt auch, wie sich die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht im Einzelnen gestalten wird. Wenn es den nationalen Gesetzgebern gelingt, die Vorgaben der Richtlinie handwerklich sauber und harmonisch umzusetzen, wird den Unternehmen ein erstmals kodifiziertes, neues Instrumentarium zur effizienten Gestaltung und Umsetzung von Strukturmaßnahmen in der EU an die Hand gegeben.
Stand: Juli 2020
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