informationsaustausch wettbewerber vertikal gvo 2022

Article

Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern

Entwurf der neuen Horizontal-Leitlinien/Vertikal-GVO 2022

Der Austausch von Informationen gewinnt (vor allem durch die Digitalisierung) an Bedeutung und wird durch die immer stärkere Vernetzung der Marktteilnehmer auch immer einfacher und effizienter. Sind Wettwerber an dem Informationsaustausch beteiligt, bedarf es besonderer Umsicht, da hier schnell ein Verstoß gegen das Kartellverbot im Raum stehen kann. Der Beitrag beleuchtet den Entwurf der neuen Horizontal-Leitlinien in Bezug auf die allgemeine kartellrechtliche Bewertung eines Informationsaustauschs sowie die Vertikal-GVO 2022 und die Vertikalleitlinien bezüglich eines Informationsaustauschs im dualen Vertrieb.

In diesem Beitrag wird der Informationsaustausch unter Berücksichtigung des Entwurfs der neuen Horizontal-Leitlinien¹ sowie der Vertikal-GVO 2022² und den dazugehörigen Vertikal-Leitlinien 2022³ näher beleuchtet.

1. Informationsaustausch im Lichte des Kartellrechts

Ein Informationsaustausch zwischen (potentiellen) Wettbewerbern ist grundsätzlich problematisch, wenn die ausgetauschten Informationen geeignet sind, die Ungewissheit über das künftige oder jüngste Verhalten eines Wettbewerbs auf dem Markt zu verringern. Dies ist bei wettbewerblich sensiblen Informationen wie beispielsweise Daten über aktuelle oder zukünftige Preise, Absatzmengen, Kapazitäten, Kunden und für Verbraucher relevante Produkteigenschaften regelmäßig der Fall.

Der Austausch von Informationen kann zu unterschiedlichen Zwecken und in verschiedenen Formen erfolgen. Typische Beispiele für einen Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern sind M&A-Prozesse, Verbandsarbeit, Marktinformationssysteme, Kooperationen und der sogenannte duale Vertrieb (Hersteller bzw. Großhändler vertreibt seine Waren auch direkt in Konkurrenz zu seinen Händlern).

Zu beachten ist, dass nicht nur der direkte gegenseitige Austausch zwischen Wettbewerbern erfasst wird, sondern auch die einseitige Offenlegung wettbewerbssensibler Daten sowie der Austausch über Dritte (z.B. Dienstleister, Plattform, Online-Tool, Algorithmus, Marktforschungsinstitut, Lieferanten) oder eine gemeinsame Stelle (z.B. Wirtschaftsverband).

Inwieweit ein Austausch wettbewerblich sensibler Daten zwischen Wettbewerbern kartellrechtlich zulässig ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, u.a. dem Aggregationsgrad und dem Alter der Daten sowie der Häufigkeit des Austauschs und der Marktstruktur. Die rechtliche Bewertung eines Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern bedarf daher immer einer detaillierten Einzelfallprüfung.

2. Entwurf der neuen Horizontal-Leitlinien

Im März 2022 hat die Europäische Kommission (“Kommission”) den Entwurf der überarbeiteten Horizontal-Leitlinien vorgelegt, der einige Neuerungen gegenüber den bisherigen Leitlinien enthält. Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte näher dargestellt.

 

2.1 Unterscheidung “bezweckte” und “bewirkte” Wettbewerbsbeschränkung

Der Entwurf behält die auch schon in den bisherigen Horizontal-Leitlinien enthaltene Differenzierung zwischen Informationen, deren Austausch eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt und solchen, deren Austausch wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen hat, bei.

Diese Unterscheidung ist wichtig, da im Falle einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung – im Gegensatz zu einem Sachverhalt, der wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen haben kann – die Auswirkungen der Beschränkung nicht nachgewiesen werden müssen.

Im Entwurf der neuen Horizontal-Leitlinien ist der Katalag der Informationen, deren Austausch als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft wird, deutlich erweitert worden. Bisher galten nur Informationen über das zukünftige Preis- oder Mengenverhalten als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Laut Entwurf sollen darüber hinaus auch Informationen über

  • gegenwärtige und zukünftige Produktionskapazitäten,
  • die beabsichtigte kommerzielle Strategie,
  • Regelungen bzgl. der gegenwärtigen oder zukünftigen Nachfrage,
  • die gegenwärtige Lage eines Unternehmens und seine Geschäftsstrategie und
  • zukünftige, für den Verbraucher relevante Produkteigenschaften

eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken.

 

2.2 Digitalisierung

Neuerungen enthält der Abschnitt über den Informationsaustausch insbesondere auch im Hinblick auf Fragegestellungen, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung stehen.

Die Digitalisierung bringt neue kartellrechtliche Herausforderungen mit sich, da der Austausch von Daten durch die Digitalisierung an Bedeutung gewonnen hat bzw. wesentlicher Bestand von digitalen Angeboten ist. Hier kann es zu Kollusionen bzw. Marktabschottung kommen, aber auch die Erzielung von Effizienzgewinnen ist denkbar.

Beim Betrieb einer B2B-Online-Plattform bzw. eines „Market Place“, über die auch mit dem Betreiber im Wettbewerb stehende Drittunternehmen Produkte an Endkunden anbieten können, kann es auf verschiedenen Ebenen zu einem kartellrechtlich problematischen Informationsaustausch kommen:

  • zwischen Plattform und Betreiber
  • von Usern untereinander
  • Austausch zwischen Plattform und Usern

Mögliche Kollusionen sieht die Kommission hier vor allem bei der Sicherung von Gewinnspannen oder des Preisniveaus.

Bei der Verwendung eines Algorithmus kann nach Auffassung der Kommission ein (indirekter) Informationsaustausch darin bestehen, dass sich (potenzielle) Wettbewerber auf einen gemeinsamen Optimierungsalgorithmus stützen, der Geschäftsentscheidungen auf der Grundlage sensibler Geschäftsinformationen von verschiedenen Wettbewerbern trifft, oder dass in den einschlägigen automatisierten Werkzeugen abgestimmte/koordinierte Optimierungsfunktionen oder -mechanismen implementiert sind.

Die Kommission weist darauf hin, dass die Verwendung öffentlich zugänglicher Daten zur Einspeisung in algorithmische Software legal ist, die Zusammenführung sensibler Informationen in einem Preisbildungsinstrument, das von einem einzigen IT-Unternehmen angeboten wird und zu dem mehrere Wettbewerber Zugang haben, jedoch einer horizontalen Kollusion gleichkommen kann.

 

2.3 Öffentliche Daten

Wichtig im Zusammenhang mit öffentlichen Daten ist Folgendes: Informationen sind nur dann echte öffentliche Informationen, wenn ihre Beschaffung für Kunden und Unternehmen, die sich nicht am Austausch beteiligen, nicht teurer ist als für die Unternehmen, die die Informationen austauschen. Das bedeutet, selbst wenn die zwischen Wettbewerbern ausgetauschten Informationen als „öffentlich“ angesehen werden, sind sie dagegen nicht echt öffentlich,
wenn die mit der Erhebung der Informationen verbundenen Kosten andere Unternehmen und Kunden von der Erhebung abhalten.

Dies soll am Beispiel Tankstellenpreise veranschaulicht werden: Wenn sich die Tankstellenbetreiber über ihre aktuellen Preise informieren, handelt es sich nicht um echte öffentliche Informationen, weil beträchtliche Zeit- und Transportkosten aufgebracht werden müssten, um dieselben Informationen auf andere Weise zu erhalten. Man müsste man ständig unterwegs sein, um die auf den Anzeigetafeln der anderen Tankstellen ausgewiesenen Preise zu ermitteln. Die Kosten hierfür können so hoch sein, sodass die Information im Grunde nur durch den Informationsaustausch beschafft werden kann (Hinweis: Seit Einführung der Markttranzparenzstelle für Kraftstoffe handelt es sich bei den Tankstellenpreisen um echte öffentliche Informationen. Das Beispiel lässt sich jedoch auf andere Bereiche übertragen).

3. Informationsaustausch im dualen Vertrieb

Im dualen Vertrieb, d.h. wenn der Lieferant seine Waren sowohl direkt als auch über Händler vertreibt, begegnen sich die beiden Parteien auf dem Vertriebsmarkt als Wettbewerber. Ein Vertriebsverhältnis erfordert regelmäßig den Austausch wettbewerblich sensibler Informationen. Hier stellt sich die Frage, wie ein ensprechener Informationsaustausch kartellrechtlich zu bewerten ist.

Die Vertriebsvereinbarung zwischen Lieferant und Händler fällt grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Vertikal-GVO (trotz der Wettbewerbereigenschaft der Vertragsparteien). Die Vertikal-GVO 2010 sowie die dazugehörigen Vertikal-Leitlinien äußerten sich nicht zum Umgang mit einem Informationsaustausch. Es war unklar, welchen Bezug der Informationsaustausch zur konkreten vertikalen Vereinbarung haben musste, um freigestellt zu sein. Nach überwiegender Meinung sollte der Informationsaustausch auf need-to-know Basis zulässig sein, d.h. solche Informationen beschränkt sein, die für die Ausgestaltung und Aufrechterhaltung des Vertriebssystems notwendig sind.

Die neue Vertikal-GVO 2022, die am 1. Juni 2022 in Kraft getreten ist, sieht in Art. 2 Abs. 5 einen zweigliedrigen Test vor, der an den direkten Bezug zur Umsetzung der vertikalen Vereinbarung und die Erforderlichkeit zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen anknüpft (die Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen). Wann ein direkter Bezug zur Umsetzung der Vertikalvereinbarung und die Erforderlichkeit zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragsprodukte besteht, hängt nach den neuen Vertikal- Leitlinien auch vom konkreten Vertriebsmodell ab.

Die Vertikal-Leitlinien enthalten Beispielslisten für Informationen, deren Austausch “eher zulässig” bzw. “eher unzulässig” sein sollen.
Allerdings enthalten die Leitlinien auch einen Disclaimer, dass die in den beiden Listen genannten Beispiele eine Prüfung des konkreten Sachverhalts nicht ersetzen. Die Kategorisierung ein und derselben Information kann im Einzelfall auch anders ausfallen.

Im Konsultationsprozess zur neuen Vertikal-GVO 2022 wurde von vielen Seiten zu Recht darauf hingewiesen, dass beim dualen Vertrieb ausgetauschte Informationen nicht anhand der Kategorisierung der Horizontal-Leitlinien bei reinen Horizontalverhältnissen bewertet werden können. Die entsprechenden Verweise auf die Anwendung der (künftigen) Horizontal-Leitlinien im Entwurf der Vertikal-GVO 2022 und im Abschnittsentwurf der Vertikal-Leitlinien wurden deutlich kritisiert. Dies hat die Kommission zur Kenntnis genommen und in den Neuregelungen keinen solchen Verweis mehr aufgenommen. Dies ist zu begrüßen.

4. Fazit

Die Kommission erweitert den Katalag der Informationen, deren Austausch als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft wird, deutlich und verschärft damit die Bewertung des Informationsaustausches, da für die Feststellung eines Kartellverstoßes beim Austausch entsprechender Daten kein (in der Praxis teilweise schwierig zu führender) Nachweis mehr über die wettbewerblichen Auswirkungen erforderlich ist.

Mit der Aufnahme von Digitalisierungsaspekten adressiert die Kommission im Entwurf der neuen Horizontal-Leitlinien einen aus Praxissicht wichtigen Themenbereich im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch. Die Ausführungen bleiben jedoch – wie auch in anderen Bereichen – recht allgemein. Hier bleibt abzuwarten wie diese durch die Entscheidungspraxis der Kommission konkretisiert werden.

Beim dualen Vertrieb stellt die neue Vertikal-GVO 2022 jetzt klar, dass der Informationsaustausch zwischen Lieferant und Abnehmer unter bestimmten Voraussetzungen freigestellt ist. Die Vertikalleitlinien enthalten zudem einen umfangreichen Katalog, welche Informationen als eher zulässig bzw. unzulässig für einen Austausch zwischen Lieferant und Abnehmer eingestuft werden. Die Kommission weist allerdings ausdrücklich darauf hin, dass die vorgenommene Klassifizierung eine Einzelfallprüfung nicht ersetzt. Insofern bleibt es dabei, dass in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob der Austausch von bestimmten Daten den Anforderungen an einen zulässigen Informationsaustausch genügt.

1 Mitteilung der Kommission - Genehmigung des Inhalts des Entwurfs einer Mitteilung der Kommission — Leitlinien zur Anwendbarkeit des Artikels 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (Abl. 2022/C 164/01)
2 Verordnung (EU) 2022/720 DER KOMMISSION vom 10. Mai 2022 über die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen.
3 Mitteilung der Kommission - Bekanntmachung der Kommission - Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Abl. 2022/C 248/01)
 

Fanden Sie diese Information hilfreich?