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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: 06/2024

Ausgewählte aktuelle Rechtsprechung für die betriebliche Praxis

Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der sechsten Ausgabe 2024 die Entscheidungen

(1) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 05.12.2023 (9 AZR 230/22) zur Anrechnung von Urlaubs-ansprüchen in Doppelarbeitsverhältnissen,

(2) des BAG vom 13.12.2023 (1 ABR 28/22) zur Vorlage von digitalen Bewerbungsunterlagen ge-genüber dem Betriebsrat,

(3) des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg vom 28.07.2023 (9 Sa 73/21) zum An-spruch auf Löschung einer Abmahnung nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses,

(4) des LAG Sachsen vom 10.10.2023 (2 TaBVGa 2/23) zur Pflicht des Arbeitgebers zur Kostenüber-nahme einer Simultanübersetzung für eine Betriebsversammlung sowie

(5) des Arbeitsgerichts (ArbG) Aachen vom 31.08.2023 (8 Ca 2199/22) zum „JobRad-Modell“ und der Pflicht des Arbeitnehmers zur Zahlung der Leasingrate im Krankheitsfall.

1. Kein doppelter Urlaub bei Doppelarbeitsverhältnissen (BAG Urt. v. 05.12.2023, 9 AZR 230/22)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in seiner Entscheidung vom 05.12.2023 Gelegenheit, seine Urlaubsrechtsprechung in sog. unechten Doppelarbeitsverhältnissen fortzuentwickeln. Dem Streitfall lag die Rechtsfrage zugrunde, ob in einem unechten Doppelarbeitsverhältnis, d.h. in einem – unwirksam – gekündigten Arbeitsverhältnis und in einem parallel dazu bestehenden neuen Arbeitsverhältnis, der Erwerb doppelter Urlaubsansprüche besteht. Das BAG stellte klar, dass im Fall solcher unechter Doppelarbeitsverhältnisse eine einheitliche kalenderjahresbezogene Anrechnung der Urlaubsansprüche vorzunehmen ist.

Die klagende Arbeitnehmerin war seit 2014 beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt und hatte einen jährlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 30 Arbeitstagen. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 23.12.2019 fristlos. In dem zu der Kündigung geführten Rechtsstreit wurde mit rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts vom 09.09.2020 festgestellt, dass die Kündigung rechtsunwirksam war und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 23.12.2019 beendet hat. Das Arbeitsverhältnis endete erst in der Folgezeit aufgrund einer weiteren außerordentlichen Kündigung des Beklagten vom 07.05.2021. Noch während des Kündigungsrechtsstreites nahm die Klägerin ein paralleles Arbeitsverhältnis bei einer anderen Arbeitgeberin auf, in welchem der Klägerin nur ein jährlicher Urlaubsanspruch von 25 Arbeitstagen zustand. In der Zeit vom 01.01.2020 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten am 07.05.2021 hatte die Klägerin im parallelen Arbeitsverhältnis Urlaub in einem Umfang von 10 Arbeitstagen gewährt bekommen.

Im Arbeitsvertrag der Parteien war in Bezug auf die den Urlaub betreffenden Regelungen ein Verweis auf das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) enthalten. Nach Auffassung der Klägerin ergebe sich daraus bei einer 5 Tage-Woche ein gesetzlicher Urlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen sowie ein vertraglicher Urlaubsanspruch von 10 Arbeitstagen. Die Parteien stritten über die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung von insgesamt 7 Arbeitstagen aufgrund vertraglicher (Mehr-)Urlaubsansprüche für die Jahre 2020 (5 Tage) und 2021 (2 Tage) hat. Der Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin müsse sich den Urlaub, den ihr der neue Arbeitgeber in der Zwischenzeit gewährt hatte, vollständig anrechnen lassen.

Das BAG gab der Klage teilweise statt. Die Beklagte sei bezogen auf das Jahr 2020 nicht verpflichtet, den vertraglichen (Mehr-)Urlaubsanspruch abzugelten; die Klägerin habe sich die aus dem parallelen Arbeitsverhältnis gewährten Urlaubstage vollumfänglich anrechnen zu lassen. Das BAG bestätigte, dass Arbeitnehmer in einem Doppelarbeitsverhältnis in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen zwar grundsätzlich volle Urlaubsansprüche erwerben, selbst wenn die arbeitsvertraglichen Pflichten nicht simultan erfüllt werden können, da der gesetzliche Urlaubsanspruch lediglich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt und nicht an die Erbringung einer Arbeitsleistung geknüpft ist. Mit Verweis auf § 11 Nr. 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) und § 615 S. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sei unter analoger Anwendung dieser Anrechnungsvorschriften die Verdopplung von Urlaubsansprüchen zu vermeiden, wenn und da der Arbeitnehmer die Arbeitspflichten nicht kumulativ erfüllen kann. Dem Rechtsgedanken der Normen sei zu entnehmen, dass der Annahmeverzug dem Dienstverpflichteten keine Vor- oder Nachteile bringen soll.

Eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen setze allerdings voraus, dass zwischen dem kündigungsbedingten - rein tatsächlichen - Freiwerden des Arbeitnehmers von der Verpflichtung, seine Arbeitspflicht in dem ehemaligen Arbeitsverhältnis zu erfüllen, und dem Erwerb von Urlaubsansprüchen in dem neuen Arbeitsverhältnis ein kausaler Zusammenhang besteht. Vorliegend habe die Klägerin ihre Arbeit bei dem aktuellen Arbeitgeber nur erfüllen können, weil sie von der Erbringung der Arbeitsleistung bei dem alten Arbeitgeber entbunden war.

Das LAG hatte im zweitinstanzlichen Urteil die Anrechnung kalenderjahresübergreifend vorgenommen. Dies beanstandete das BAG und stellte klar, dass die Anrechnung periodenbezogen (nur) für das einzelne Kalenderjahr vorgenommen werden müsse. Dies folge insbesondere zur Sicherstellung des Erholungszwecks.

Wollen die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, dass der vertragliche Mehrurlaub von einer Anrechnung der Ansprüche aus einem später begründeten Arbeitsverhältnis entzogen werden soll, müssten dafür deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen diese, sei zugunsten des Arbeitgebers davon auszugehen, dass nicht nur der gesetzliche Mindesturlaub, sondern auch der vertragliche Mehrurlaub anzurechnen ist.

Die Regelung des § 6 BUrlG zum Ausschluss von Doppelansprüchen, wonach Arbeitnehmer die bereits von ihrem ehemaligen Arbeitgeber gewährten Urlaubsansprüche nicht noch einmal von ihrem aktuellen Arbeitgeber verlangen können, findet keine Anwendung auf die vorliegende Konstellation des Doppelarbeitsverhältnisses. Die Regelung beziehe sich auf zwei getrennt aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse.

Eine direkte Anwendung der Anrechnungsvorschriften in § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB sei nicht unmittelbar auf Doppelarbeitsverhältnisse anwendbar. Diese würden einen Anspruch aus Annahmeverzug gemäß § 615 Satz 1 BGB voraussetzen. Der auf die bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht gerichtete Urlaubsanspruch gegen einen Arbeitgeber, der eine unwirksame Kündigung erklärt hat, beruhe aber nicht auf § 615 Satz 1 BGB, sondern folge unmittelbar aus dem Bundesurlaubsgesetz. Für die hiesige Situation enthalte das Gesetz insofern keine explizite Regelung.

Bezüglich der Urlaubsansprüche für das Jahr 2021 hat das BAG das Verfahren an das LAG Niedersachsen zurückverwiesen. Dieses muss nun zunächst prüfen, in welchem Umfang der derzeitige Arbeitgeber, den bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses an die Klägerin gewährten Urlaub, zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs aus 2021 geleistet hat.

Folgen für die Praxis

Arbeitnehmer müssen sich die im Rahmen eines Doppelarbeitsverhältnisses von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaubstage anrechnen lassen - sowohl den gesetzlichen Mindesturlaub als auch den vertraglich vereinbarten Mehrurlaub. Nur wenn eine Anrechnung arbeitsvertraglich ausgeschlossen wurde, können Urlaubsabgeltungsansprüche über die vom neuen Arbeitgeber hinaus gewährten Urlaubstage bestehen.

 

2. Die Vorlage von Bewerbungsunterlagen zur Unterrichtung des Betriebsrats bei Einstellungen genügt in digitaler Form (BAG Beschl. v. 13.12.2023, 1 ABR 28/22)

In seinem Beschluss vom 13.12.2023 (1 ABR 28/22) hatte das BAG die Gelegenheit, sich mit der Frage zu befassen, ob Arbeitgeber der Unterrichtungspflicht nach § 99 BetrVG ordnungsgemäß nachkommen, wenn dem Betriebsrat die Bewerberunterlagen in digitalisierter Form und nicht in Papierform vorgelegt werden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt betreibt der antragstellende Arbeitgeber einen Getränkemarkt, in dem ein Betriebsrat gebildet ist. Der Arbeitgeber verwendet für das Bewerbungsverfahren eine Software („Recruiting“), in der sämtliche Bewerberunterlagen – auch postalisch eingereichte – digital erfasst sind. Die Betriebsratsmitglieder haben ein Einsichtsrecht auf alle Bewerberdaten und deren eingereichte Dokumente über die vom Arbeitgeber für die Betriebsratstätigkeit zur Verfügung gestellten Laptops.

Im Frühjahr 2021 schrieb der Arbeitgeber eine Stelle aus, auf die 33 Bewerbungen eingingen, die im „Recruiting“ Programm hinterlegt wurden. Die Arbeitgeberin bat den Betriebsrat am 08.06.2021 um Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers mit Beginn zum 01.10.2021. Der Betriebsrat lehnte die Zustimmung mit der Begründung ab, er sei nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden, da ihm die Unterlagen in Papierform hätten zur Verfügung gestellt werden müssen.

Der Arbeitgeber begehrt die Ersetzung der nach § 99 Abs. 1 S. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung eines Arbeitnehmers.

Das BAG ersetzte die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Der Betriebsrat habe seine Zustimmung zur Einstellung zu Unrecht verweigert. Der Arbeitgeber habe den Betriebsrat ordnungsgemäß i.S.v. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG unterrichtet, so dass dieser anhand der digital zur Verfügung gestellten Unterlagen habe prüfen können, ob ein Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 BetrVG gegeben sei. Der Arbeitgeber habe dem Betriebsrat am 08.06.2021 die notwendigen Informationen mitgeteilt und sei auch seiner Verpflichtung nachgekommen, dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen zur Verfügung zu stellen, indem ein Zugang zur „Recruiting“ Software gewährt wurde.

Auch wenn der Wortlaut in § 99 Abs. 1 BetrVG mit „Vorlage der erforderlichen Unterlagen“ der zum Zeitpunkt des Erlasses der Norm im Jahr 1972 bestehenden Lebenswirklichkeit des physischen Überlassens entsprochen habe, sei Sinn und Zweck der Regelung, dem Betriebsrat alle für seine Entscheidung notwendigen Informationen zu übermitteln. Mit der digitalisierten Zurverfügungstellung des Einsichts- und Leserechts aller Bewerbungsunterlagen sei dieses Erfordernis erfüllt. Die Betriebsratsmitglieder hätten mithilfe der ihnen vom Arbeitgeber zur Betriebsratstätigkeit überlassenen Laptops die Anschreiben, Lebensläufe, Zeugnisse und Zertifikate der Bewerber abrufen können. Ein Anspruch des Betriebsrats, die Unterlagen in Papierform zu erhalten, bestünde nicht. Auch bei einem digitalen Zurverfügungstellen der Unterlagen sei gewährleistet, dass sich der Betriebsrat ein Bild von den Bewerbern machen kann. Der Betriebsrat könne sich Notizen machen oder auch Screenshots. Er habe insofern den gleichen Informationsstand wie der Arbeitgeber.

Folgen für die Praxis

Die – klarstellende – Entscheidung des BAG ist für die Praxis erfreulich. Sie entspricht der mittlerweile generellen Praxis und schafft Rechtssicherheit für die digitale Administration der Durchführung des Recruitingprozesses. Arbeitgeber können dem Betriebsrat in Einstellungen die maßgeblichen Bewerbungsunterlagen in digitaler Form zur Verfügung stellen und den Betriebsrat damit in die Lage versetzen, die Bewerbungsunterlagen abzurufen. Entscheidend ist weiterhin, dass die Unterlagen vollständig sind, so dass sich der Betriebsrat ein umfassendes Bild von den Bewerbern machen kann.

 

3. Anspruch auf Löschung einer Abmahnung nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses und Schadensersatzanspruch wegen nicht erfülltem Auskunftsanspruch (LAG Baden-Württemberg Urt. v. 28.07.2023, 9 Sa 73/21)

Das LAG Baden-Württemberg hatte in seinem Urteil vom 28.07.2023 (9 Sa 73/21) Gelegenheit zur Beantwortung der Rechtsfrage, ob der klagende Auszubildende einen Anspruch auf Löschung einer Abmahnung in seiner Personalakte nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses hat.

Der Kläger absolvierte bei der Beklagten, die mehrere Fitnessstudios betrieb, in der Zeit vom 01.09.20216 bis 30.03.2020 eine Ausbildung zum Sport- und Gesundheitstrainer sowie zum Sport- und Fitnesskaufmann bei der beklagten Arbeitgeberin. Die Beklagte erteilte ihm am 05.03.2020 eine Abmahnung im Ausbildungsverhältnis, die sie auf die unberechtigte Speicherung von Mitgliedsdaten einzelner Mitglieder ihrer Fitnessstudios durch den Kläger auf einen privaten USB-Stick stützte. Den privaten USB-Stick des Klägers, der sich zuletzt in einem Fitnessstudio der Beklagten befand, hatte der Geschäftsführer der Beklagten an sich genommen. Der Kläger verlangte am 25.03.2020 von der Beklagten u.a. Auskunft über seine personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie die Übermittlung seiner Personalakte, wobei er für die Auskunftserteilung eine Frist bis zum 03.04.2020 setzte. Die Beklagte erteilte die Auskunft nicht, obwohl sie zuvor bereits den USB-Stick des Klägers ausgelesen hatte

Der Kläger erhob daraufhin Klage, die damit begründete, dass die fehlende Auskunft zu einer erheblichen Unsicherheit über den Verbleib seiner Daten bei der Beklagten führe und eine Beeinträchtigung für ihn darstelle. Daher forderte er neben der Löschung der Abmahnung auch eine Entschädigung gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO.

Das Arbeitsgericht (ArbG) Villingen-Schwenningen wies die Klage ab. Es bestehe angesichts des beendeten Ausbildungsverhältnisses kein Bedarf für die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Zudem seien der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO als auch der Schadensersatzanspruch aufgrund unterlassener Auskunftserteilung unbegründet. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Kläger den Beklagten eine zu kurze Frist (von neun Tagen) für die Auskunftserteilung gesetzt habe. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein.

Das LAG Baden-Württemberg gab der Klage statt. Dem Kläger stünde das Recht auf Auskunft über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 DSGVO zu. Die Beklagte habe diese Pflicht verletzt, indem sie dem Kläger die Informationen nicht rechtzeitig und vollständig zur Verfügung gestellt habe. Die Beeinträchtigungen des Klägers seien nachvollziehbar, indem er nicht wissen könne, welche Daten noch bei den Beklagten vorhanden seien. Der Umstand, dass der Kläger möglicherweise selbst Daten unerlaubt kopiert habe, ändere nichts an der Auskunftspflicht der Beklagten.

Eine „zu kurze“ Fristsetzung sei irrelevant, da die Fristen für die Auskunftserteilung gesetzlich geregelt sind. Setze der Auskunftsberechtigte eine zu kurze Frist, gelte die einmonatige Frist nach Art. 12 Abs. 3 DSGVO.

Den Anspruch des Klägers auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte stützte die Kammer auf Art. 17 DSGVO. Auch Abmahnungen würden personenbezogene Daten enthalten. Eine Abmahnung verfolge den Zweck, den Arbeitnehmer vor einer potenziellen Kündigung zu warnen. Dieser Zweck erledige sich grundsätzlich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (hier des Ausbildungsverhältnisses) und somit sei die Abmahnung nach Art. 17 DSGVO nicht mehr notwendig und auf Antrag zu löschen.

Folgen für die Praxis

Die von der Beklagten gegen das Urteil eingelegte Revision ist beim BAG rechtshängig (8 AZR 215/23). Aus formalrechtlicher Sicht sollten Arbeitgeber im Einzelfall Auskunftsbegehren – unabhängig von der vom Arbeitnehmer gesetzten Frist – innerhalb der einmonatigen gesetzlichen Frist erfüllen, um Schadensersatzanspruchsbegehren zu vermeiden. Zudem ist generell zu empfehlen, Abmahnungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus der Personalakte zu löschen.

 

4. (Keine) Pflicht des Arbeitgebers zur Kostenübernahme einer Simultanübersetzung für eine Betriebsversammlung (LAG Sachsen, Beschl. v. 10.10.2023, 2 TaBVGa 2/23)

Das LAG Sachsen hatte in seinem Beschluss vom 10.10.2023 (2 TaBVGa 2/23) die Gelegenheit zu der Rechtsfrage Stellung zu nehmen, ob ein Arbeitgeber die Kosten für eine Simultanübersetzung einer Betriebsversammlung übernehmen muss. Das LAG Sachsen entschied, dass zwar grundsätzlich die Kosten für Dolmetscher- und damit verbundene Sachmittelkosten vom Arbeitgeber zu erstatten seien - die Kosten von rund 31.000 Euro für Simultanübersetzungen in fünf Sprachen samt technischer Ausrüstung bei der verfahrensgegenständlichen Betriebsversammlung von der Arbeitgeberin aber nicht zu übernehmen seien.

In dem Logistikbetrieb der beteiligten Arbeitgeberin arbeiten ca. 1220 Arbeitnehmer unterschiedlicher Nationalitäten, davon 640 Beschäftigte, deren Muttersprache nicht die deutsche Sprache war. Sowohl der Bewerbungsprozess als auch Anweisungen erfolgten grundsätzlich auf Deutsch. Aushänge mit Informationen zur Arbeitssicherheit etc. werden teilweise mehrsprachig ausgehängt.

Der Betriebsrat beschloss im Mai 2023 zukünftig die Betriebsratsversammlungen simultan in die fünf häufigsten Fremdsprachen übersetzen zu lassen, um diese für jeden verständlich zu machen. Hierfür war ein Kostenaufwand von 31.000 EUR je Betriebsversammlung erforderlich. Der Betriebsrat begehrte von der Arbeitgeberin die Übernahme dieser Kosten, was diese ablehnte.

Der Betriebsrat machte daraufhin arbeitsgerichtlich die Übernahme dieser Kosten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend.

Das LAG Sachsen gab dieser Begehr des Betriebsrats nicht statt. Es bestehe keine Pflicht der Arbeitgeberin zur Kostentragung, da der Betriebsrat nicht hinreichend dargelegt habe, weshalb die Maßnahme erforderlich und auch verhältnismäßig sein soll. Die Arbeitgeberin habe die Kosten für die Betriebsratsarbeit gem. § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen, dies gelte gem. § 40 Abs. 2 BetrVG für sachliche Mittel, Informations- und Kommunikationstechnik. Hiervon könnten grundsätzlich auch Dolmetscher-Kosten umfasst sein. Der Betriebsrat habe in Bezug auf die Erforderlichkeit einen weiten Beurteilungsspielraum. Aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergebe sich aber, dass der Arbeitgeber nur die Kosten zu tragen hat, die für eine sachgerechte Interessenwahrnehmung erforderlich sind. Hierfür komme es nicht allein auf die subjektiven Bedürfnisse des Betriebsrats an; es sei zwischen dem Interesse der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamts und dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers abzuwägen.

Dabei sei insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. Es sei stets im Einzelfall zu prüfen, ob die Kosten unter Berücksichtigung des Inhalts und Umfangs der Betriebsversammlung mit Bezug auf die Größe und Leistungsfähigkeit des Betriebs vereinbar seien. Es komme daher auf die Bedeutung der beabsichtigten Informationen und Diskussionen an. Zudem sei zu berücksichtigen, ob es kostengünstigere Alternativen gäbe. Der Betriebsrat habe im vorliegenden Verfahren nicht hinreichend dargelegt, dass die Tagesordnungspunkte von so erheblicher Wichtigkeit seien, dass Kosten in Höhe von 31.000 EUR gerechtfertigt seien. 

Die dazu vom Betriebsrat pauschal vorgetragene Behauptung, die in der Vergangenheit ausschließlich auf Deutsch durchgeführten Betriebsratsversammlungen hätte bei den ausländischen Beschäftigten zu Ungewissheit und Unruhe geführt, sei nicht ausreichend. Zudem sei die Beschränkung der Übersetzung auf die fünf häufigsten Fremdsprachen ohnehin kein geeignetes Mittel, um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme herbeizuführen, da nach § 75 BetrVG auch der Betriebsrat zur Gleichbehandlung der Mitarbeiter verpflichtet ist. Demnach sei es benachteiligend, für diejenigen Mitarbeiter nicht übersetzen zu lassen, die eine Muttersprache sprechen, die im Betrieb nicht weit verbreitet ist. Darüber hinaus sei die Übersetzung auch nicht erforderlich, um die Integration der ausländischen Mitarbeiter im Betrieb, nach § 80 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu fördern. 

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung sensibilisiert die Betriebsparteien für eine sorgfältige Abwägung der maßgeblichen Begründung für die Übernahme von relevanten Kosten der Betriebsratsarbeit durch den Arbeitgeber unter Berücksichtigung des betriebsverfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

 

5. „JobRad-Modell“– Zahlungspflicht der Leasingrate des Arbeitnehmers im Krankheitsfall (ArbG Aachen Urt. v. 31.08.2023, 8 Ca 2199/22)

Das ArbG Aachen hatte sich in seinem Urteil vom 31.08.2023 (8 Ca 2199/22) mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Arbeitgeber im Krankheitsfall des Arbeitnehmers verpflichtet ist, die Leasingrate für ein JobRad zu zahlen, die im Wege der Entgeltumwandlung vom Arbeitnehmer getragen werden.

Die Parteien stritten um die Zahlungspflicht von Leasingraten von zwei JobRädern, die dem klagenden Arbeitnehmer von der beklagten Arbeitgeberin zur Nutzung überlassen wurden. Die Beklagte war Leasingnehmerin in den hierzu mit der JobRad SE abgeschlossenen Leasingverträgen.

Gemäß der Nutzungsüberlassungsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten war der Kläger verpflichtet, die monatliche Leasingrate für die ihm überlassenen JobRäder auch während entgeltfreier Beschäftigungszeiten zu entrichten. Die Leasingraten wurden durch Entgeltumwandlung vom monatlichen Bruttoarbeitsentgelt abgezogen. 

In der Vereinbarung hieß es konkret: „Der/die Mitarbeiter/in beauftragt hiermit den Arbeitgeber, dieses Fahrzeug zum Zweck der Überlassung bei folgendem Fachhändler zu bestellen: (…)“ und „Der Mitarbeiter wandelt, in entsprechender Abänderung des bestehenden Arbeitsvertrags, aus seinem Anspruch auf Brutto-Arbeitsentgelt monatlich einen Teilbetrag […] um. Die Entgeltumwandlung beginnt mit dem auf die Übernahme des Fahrzeugs folgenden Monatsersten und endet mit dem Ende der Nutzungsüberlassung. Entfällt während der Dauer der Vertragslaufzeit die Möglichkeit zur Entgeltumwandlung, besteht die Pflicht des Mitarbeiters zur Zahlung der auf S. 1 genannten Umwandlungsrate vorbehaltlich der Regelungen in Nr. 3.2 ff. fort.“

Der Kläger war ab November 2021 arbeitsunfähig erkrankt und bezog in dem Zeitraum von Januar bis Mai 2022 Krankengeld. Mit Schreiben vom 06.12.2021 wies die Beklagte ihn darauf hin, dass die Leasingrate während des Krankengeldbezugs selbst zu entrichten sei. Eine Zahlung des Klägers an die Beklagte erfolgte nicht. Daraufhin zog die Beklagte – nach der Rückkehr des Klägers und nach entsprechender Ankündigung – die angefallenen Raten für den Zeitraum von Januar bis Mai 2022 von der Vergütung des Klägers im August 2022 ab.

Der Kläger erhob daraufhin Klage und vertrat die Auffassung, dass kein Gegenanspruch der Beklagten auf Zahlung der monatlichen Leasingraten bestehe und die Klausel in der Nutzungsüberlassungsvereinbarung intransparent sei und den Kläger unangemessen benachteiligen würde. 

Das ArbG Aachen stellte fest, dass der Kläger dem Arbeitgeber die monatlichen Leasingraten der JobRäder aufgrund der Verpflichtung im Rahmen der Nutzungsüberlassungsvereinbarung erstatten müsse und die Aufrechnung der Beklagten mit dem Entgeltanspruch des Klägers aus August 2022 rechtswirksam war. Eine Verpflichtung zur Zahlung der Leasingraten bestehe auch für entgeltfreie Beschäftigungszeiten. 

Es sei keine uneingeschränkte Inhaltskontrolle der hier vorliegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vorzunehmen (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB). In dem Nutzungsüberlassungsvertrag werde lediglich klargestellt, dass die Gegenleistung für die Nutzung während der gesamten Vertragslaufzeit zu erbringen sei. Dies ist eine unmittelbar die Gegenleistung betreffende Regelung, die daher nicht i.S.v. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB von gesetzlichen Vorschriften abweiche, sondern vielmehr das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung betreffe. 

Das Arbeitsgericht Aachen führte zudem aus, dass auch bei Behandlung der Klausel als kontrollfähige Preisnebenabrede, der Arbeitnehmer nicht gem. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen benachteiligt sei und damit auch der uneingeschränkten Inhaltskontrolle standhalten würde. Es sei nicht unbillig, dem Kläger die wirtschaftliche Last aufzuerlegen, wenn der Kläger weiterhin den Nutzungsvorteil hat. Eine Unvereinbarkeit mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung liege daher nicht vor, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. 

Ferner werde durch die Formulierung in der Nutzungsüberlassungsvereinbarung deutlich, dass die Initiative vom Arbeitnehmer ausgehe und dieser seinen Arbeitgeber als Zwischenhändler für die Lieferung eines Fahrrades einsetze. Er sei dahingehend zu verstehen, dass auch während einer längeren Krankheit die Nutzungsmöglichkeit und damit auch die Verpflichtung zur Gegenleistung erhalten bleiben solle. Insofern weiche die Ausgestaltung der Vereinbarung von einer üblichen Dienstwagenvereinbarung ab, die unmittelbar als Gegenleistung für geleistete Dienste gewährt werde. Abgesehen von den steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen des JobRad-Modells bestehe kein Unterschied, ob der Arbeitnehmer sich das Fahrrad selbst kauft, selbst least oder – wie vorliegend – den Arbeitgeber als Zwischenhändler einsetzt. Die Vereinbarung sei somit auch nicht überraschend i.S.d. § 305c BGB.

Die gegen die Entscheidung beim LAG Köln eingelegte Berufung ist rechtshängig (6 Sa 552/23).

Folgen für die Praxis

Die aus Praxissicht erfreuliche Entscheidung schafft Rechtssicherheit für die Durchführung von JobRad-Modellen in der Praxis. Arbeitgeber sollten in der Nutzungsvereinbarung mit dem Arbeitnehmer klarstellen, dass sie für den weitergehenden Gebrauch des JobRads im Ergebnis als Zwischenhändler auftreten und im Übrigen durch eine hinreichend verständliche Formulierung sichergestellt wird, dass der Arbeitnehmer auch formalrechtlich zur fortlaufenden Entrichtung der monatlichen Nutzungsentgelte auch für Zeiträume verpflichtet wird, in denen der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltzahlung aus dem Arbeitsverhältnis hat. 

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