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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: August 2023

Aktuelle Rechtsprechung im Arbeitsrecht

Unsere "Monthly Dose" Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der August-Ausgabe 2023 die Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom (1) 30.11.2022 (5 AZR 336/21) zur Wirksamkeit einer arbeitgeberseitig angewiesenen Versetzung ins Ausland, (2) vom 28.02.2023 (2 AZR 227/22) zur Rechtmäßigkeit einer betriebsbedingten Kündigung wegen Aufgabenübertragung an ein Konzernschwesterunternehmen, (3) vom 31.05.2023 (5 AZR 143/19) zur Wirksamkeit tariflich niedriger Vergütungen von Leiharbeitnehmern, (4) vom 20.06.2023 (1 AZR 265/22) zur Erstattung einer Personalvermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer sowie (5) des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.05.2023 (5 P 16.21) zur Mitbestimmungspflichtigkeit sozialer Medien mit Kommentarfunktion.

1. Versetzung ins Ausland kann von Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO umfasst sein (BAG Urt. v. 30.11.2022, 5 AZR 336/21)

In seinem Urteil vom 30.11.2022 (5 AZR 336/21) hatte das BAG die Gelegenheit die Grenzen des Weisungsrechts des Arbeitgebers gem. § 106 S. 1 GewO hinsichtlich seiner örtlichen Reichweite weiter zu konkretisieren.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war der Kläger als Pilot bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin (jeweils international tätige Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland) beschäftigt. Arbeitsvertraglich war ein Jahresgehalt von 75.325 EUR brutto vereinbart. Aufgrund eines von der Beklagten geschlossenen Vergütungstarifvertrags (für alle bundesrepublikanischen Basen) erzielte der Kläger zuletzt eine monatliche Vergütung von 11.726,22 EUR brutto. Stationierungsflughafen des Klägers war der Flughafen Nürnberg. Der Arbeitsvertrag enthielt eine Versetzungsklausel, die die Beklagte berechtigte, den Kläger auch an anderen Flugstandorten zu stationieren. Die Beklagte traf Ende November 2019 die unternehmerische Entscheidung den Standort Nürnberg als Homebase aufzugeben und den Kläger ab Mai 2020 an den Flughafen Bologna zu versetzen. Hilfsweise sprach die Beklagte eine Änderungskündigung aus.

Ein Tarifsozialplan sah vor, dass die Piloten, die an einen ausländischen Standort versetzt werden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen (einschließlich der Tarifgehälter) weiterbeschäftigt werden. Die Versetzung des Klägers hatte daher neben dem Ortswechsel auch die deutliche Reduzierung der Bezüge zur Folge. Der Kläger erhob Klage und wandte sich gegen die Wirksamkeit der arbeitgeberseitigen Versetzung, da er der Überzeugung war, dass die Beklagte ihr Weisungsrecht überschreite. Zumindest würde die Versetzung unbillig sein, da ihm der tarifliche Vergütungsanspruch entzogen würde.

Das BAG bestätigte die klageabweisenden Entscheidungen der Instanzengerichte und stellte die Wirksamkeit der Versetzung und auch der damit verbundenen Gehaltsminderung fest. Das BAG betonte insbesondere, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers nicht auf Arbeitsorte in Deutschland beschränkt ist, sondern auch die Versetzung an ausländische Standorte umfasst.

Eine Beschränkung des Weisungsrechts auf Arbeitsorte in der Bundesrepublik Deutschland ist dem Arbeitsvertrag als solchem nicht immanent. Etwas anderes gilt nur, wenn eine arbeitsvertragliche Regelung eine örtliche Beschränkung vorsieht oder zumindest den Umständen nach konkludent verabredet worden ist. Die Ausübung des Weisungsrechts unterliegt lediglich einer Billigkeitskontrolle im Einzelfall.

Unter Berücksichtigung des durch das BAG aufgezeigten Prüfungsmaßstabes entschied das BAG, dass die Versetzung – vor dem Hintergrund der Aufgabe der Homebase am Flughafen Nürnberg sowie mangels freier Stellen an anderweitigen Standorten in Deutschland – billigem Ermessen entsprach. Das BAG führte dazu aus, dass sofern die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht, dieser ein besonderes Gewicht zukommt, ohne dass das unternehmerische Konzept auf seine Zweckmäßigkeit zu überprüfen ist. Maßgebend ist, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Durchsetzung seiner Organisationsentscheidung im konkreten Einzelfall die Weisung, trotz der dem Arbeitnehmer entstehenden Nachteile, rechtfertigt. Da im vorliegenden Fall die Versetzung bereits aufgrund des Weisungsrechts des Arbeitgebers wirksam ist, kam es auf die vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung nicht mehr an.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG konkretisiert die bereits bestehende räumliche Reichweite des arbeitgeberseitigen Versetzungsrechts gemäß § 106 S. 1 GewO weiter. Arbeitgeber können ihr (arbeitsvertragliches) Weisungsrecht grundsätzlich nutzen, um Mitarbeiter an einen Arbeitsplatz im Ausland zu versetzen, ohne eine Änderungskündigung aussprechen zu müssen, sofern die möglichen Arbeitsorte nicht durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften auf das Inland begrenzt sind.

Besonders relevant ist die Entscheidung für global tätige Unternehmen, die ihre Mitarbeiter grenzüberschreitend einsetzen wollen. Zu beachten ist jedoch, dass durch eine weite Versetzungsklausel auch eine erweiterte Beurteilung der Weiterbeschäftigung bei (betriebsbedingten) Kündigungen durchzuführen ist. Zudem sind vor Versetzungen ins Ausland - insbesondere, wenn diese nicht aufgrund einer Betriebsschließung oder Standortaufgabe erfolgt - die berechtigten Interessen des betroffenen Arbeitnehmers gegenüber den Interessen des Arbeitgebers an der Versetzung abzuwägen, die vor allem aus dem familiären privaten Lebensumfeld (vor allem schulpflichtige Kinder) resultieren können.

2. Eine betriebsbedingte Kündigung wegen Aufgabenübertragung an eine Konzernschwester ist wirksam (BAG Urt. v. 28.02.2023, 2 AZR 227/22)

In seinem Urteil vom 28.02.2023 (2 AZR 227/22) hatte das BAG abermals Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu dringenden betrieblichen Erfordernissen zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 KSchG zu konkretisieren und fortzuschreiben.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die Parteien um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Der Kläger war als "Vice President & Country Manager Germany" im Vertriebsbereich bei der Beklagten, der deutschen Tochtergesellschaft einer ausländischen Konzernmutter, angestellt. Er leitete ein Vertriebsteam von sechs Mitarbeitern, die jeweils in der Funktion als „Sales Directors“ tätig waren und ebenfalls in einem Arbeitsverhältnis mit der deutschen Tochtergesellschaft standen. Der Kläger war in seiner Funktion gegenüber einer Mitarbeiterin einer in London ansässigen Konzernschwester der Beklagten berichtspflichtig. Der neklagte Arbeitgeber traf im Mai 2020 die unternehmerische Entscheidung Berichtlinien zu verkürzen und die Sales Directors zur direkten Berichterstattung an die Vertriebsleiterin der Konzernschwester anzuweisen. Diese übernahm die Aufgaben des Klägers, sodass die Position eines „Vice President & Country Manager Germany“ ersatzlos zum 01.07.2020 entfiel. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers daher im Mai 2020 aus betriebsbedingten Gründen.

Der Kläger wandte sich gegen die Kündigung mit der Begründung, dass kein betriebsbedingter Grund vorliege, da die unternehmerische Entscheidung der Beklagten lediglich das Ziel verfolge, ihn zu entlassen. Eine konzerninterne Positionsverlagerung führe nach Überzeugung des Klägers zu einem Wechsel des Arbeitgebers, sodass der Beschäftigungsbedarf nicht entfiele. Die Beklagte führte an, dass sich die Muttergesellschaft einer Matrixorganisation bediene und die Abteilungen der Beklagten von Matrixmanagern außerhalb Deutschlands geleitet werden. Die unternehmerische Entscheidung der Berichtslinienänderung führe zum ersatzlosen Fortfall der Stelle des Klägers bei der Beklagten.

Das BAG bestätigte die abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision des Klägers zurück. Die Kündigung sei unter Berücksichtigung des eingeschränkter Prüfungsmaßstabs der unternehmerischen Entscheidung durch die Gerichte aufgrund der hier getroffenen unternehmerischen Entscheidung der Beklagten die Stelle des „Country Manager Germany“ zu streichen und die Aufgaben an eine konzerninterne Schwestergesellschaft zu vergeben rechtswirksam, da die unternehmerische Entscheidung weder unsachlich noch unvernünftig oder willkürlich gewesen sei. Ein für eine betriebsbedingte Kündigung dringendes betriebliches Erfordernis nach § 1 Abs. 2 KSchG. liege vor, wenn die Umsetzung der Entscheidung spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs der Beschäftigung des Arbeitnehmers führt und die Prognose im Zeitpunkt der Kündigung objektiv berechtigt ist. Ein Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze oder Arbeitskräfte beizubehalten; vor diesem Hintergrund könne die – dem grundrechtlichen Schutz der Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 GG unterfallende – unternehmerische Entscheidung nicht auf deren Wirtschaftlichkeit überprüft werden kann, sofern die Grenze der Willkür nicht überschritten wird. Die Gerichte sind daher nur eingeschränkt berechtigt die betriebliche Organisationsentscheidungen oder -konzepte zu überprüfen.

Die durch Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Freiheit umfasse u.a. auch das Recht festzulegen, ob bestimmte Tätigkeiten ausgelagert werden. Auf tatsächliche Kostenersparnisse kann es aufgrund der eingeschränkten Überprüfbarkeit einer unternehmerischen Entscheidung nicht ankommen. Da § 1 Abs. 2 KSchG nur die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb bzw. Unternehmen umfasst und nicht auf den gesamten Konzern durchschlägt, komme der konzerninternen Verlagerung einer Tätigkeit keine rechtliche Bedeutung zu. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz werde durch die § 613a BGB und §§ 322 ff. UmwG gewährleistet.

Das BAG stellte zudem erneut klar, dass in einem solchen Prozess den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast über die Umstände, aus denen sich ergibt, dass die Organisationsmaßnahme unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, treffe. Aus derartigen Indizien ist in der Tatsacheninstanz zu prüfen, ob diese den Schluss zulassen, dass die der Kündigung zugrunde liegende Organisationsentscheidung die Grenzen der Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG überschritten hat. Tatsachen, die belegen, dass die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand dient, um den Kläger aus dem Unternehmen zu drängen, wurden nicht vorgetragen, zumal auch andere Mitarbeiter der Beklagten ihren Arbeitsplatz verloren haben. Nach den Feststellungen des LAG wurde die Position des Klägers bei der Beklagten nicht wieder besetzt. Nach Überzeugung des BAG ist es auch nicht streiterheblich, welche Person bei der Konzernschwester die Aufgabe des Klägers übernommen hat.

Folgen für die Praxis

Das BAG hat mit seinem Rechtsspruch die unternehmerische (Entscheidungs-)Freiheit der Unternehmer gestärkt und bekräftigt, dass Unternehmen – bis zur Grenze der Willkür – nicht die wirtschaftliche Notwendigkeit von Organisationsentscheidungen begründen müssen, um die Rechtswirksamkeit einer Kündigung zu beweisen. Die Darlegungs- und Beweislast trifft in einem Prozess stets den Arbeitnehmer hinsichtlich unsachlicher, unvernünftiger und/oder willkürlicher Erwägungen. Um etwaige Risiken bei betriebsbedingten Kündigungen jedoch trotz der unternehmerfreundlichen Rechtsprechung zu reduzieren, sollten Arbeitgeber bei ihrer Entscheidungsfindung unverändert keine sachfremden Erwägungen einbeziehen.

3. Equal-pay-Grundsatz im Recht der Arbeitnehmerüberlassung kann weiterhin durch Tarifvertrag außer Kraft gesetzt werden (BAG Urt. v. 31.05.2023, 5 AZR 143/19)

Das BAG hatte in seiner Entscheidung vom 31.05.2023 (5 AZR 143/19), welche bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, die Gelegenheit sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob durch einen Tarifvertrag vom Equal Pay Grundsatz nach unten abgewichen werden kann und Leiharbeitnehmer in der Folge für die Dauer ihrer Überlassung keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer haben. Der EuGH beantwortete im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens bereits im Urteil vom 15.12.2022 (C-311/21) die unionsrechtlich gestellten Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung von der in Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeits-Richtlinie) geforderten „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ und stellte fest, dass Tarifverträge, die für Leiharbeitnehmer ein geringeres Arbeitsentgelt als das der unmittelbar eingestellten Arbeitnehmer festlegen, Ausgleichsvorteile vorsehen müssen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt machte eine sachgrundlos befristete, in Teilzeit beschäftigte Leiharbeitnehmerin einen Anspruch auf Differenzvergütung für die Monate Januar bis April 2017 geltend. Vergleichbare Stammarbeitnehmer hätten beim Entleihbetrieb einen höheren Stundenlohn als sie erhalten. Die Klägerin berief sich zur Begründung ihrer Klageforderung auf den Gleichstellungsgrundsatz gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 AÜG/§ 10 Abs. 4 AÜG aF. Nach ihrer Auffassung sei das auf ihr Leiharbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung findende Tarifvertragswerk von iGZ und ver.di mit Art. 5 III RL 2008/104/EG und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar.

Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen. Nach Auffassung des BAG kann von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben („Equal Pay“), nach § 8 Abs. 2 AÜG durch einen Tarifvertrag „nach unten“ abgewichen werden. Auf Grund des wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrages sei die Beklagte nach § 8 Abs. 2 S. 2 AÜG/§ 10 Abs. 4 AÜG aF nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen. Dies bedeutet, dass der Verleiher nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen müsse.

Das in diesem Fall relevante Tarifwerk (vom Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen („iGZ“) und der Gewerkschaft ver.di) genüge jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer den Anforderungen des Art. 5 Abs 3 Leiharbeits-RL. Zwar habe die Klägerin dahingehend einen Nachteil erlitten, da sie eine geringere Vergütung habe, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre.

Eine solche Schlechterstellung sei aber – insbesondere unter Berücksichtigung der Vorabentscheidung des EuGH – gem. Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL ausdrücklich zulässig, sofern diese unter „Achtung des Gesamtschutzes der Arbeitnehmer“ erfolge. Der EuGH gab diesbezüglich vor, dass insofern eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung durch Ausgleichsvorteile erfolgen muss. Diese könne beispielsweise die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeitensein.

Eine solche Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten ist im Tarifwerk von iGZ und ver.di enthalten. Diese Regelung ist u.a. im Zusammenspiel mit den Regelungen des § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG und der grundsätzlichen zeitlichen Begrenzung der Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelt nach § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses zu betrachten. Außerdem hat der deutsche Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmern staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen (vgl. § 3a AÜG) und den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten darf. Das BAG sieht vor diesem Hintergrund einen Ausgleich als gegeben an, sodass auch der gem. Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL geforderte Gesamtschutz der Arbeitnehmerin anzunehmen sei.

Folgen für die Praxis

Das BAG hat durch seine Entscheidung eine äußerst praxisrelevante Frage beantwortet und klargestellt, dass vom Equal-Pay-Grundsatz im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung (weiterhin) durch Tarifvertrag der iGZ und ver.di abgewichen werden kann, da ein entsprechender Ausgleich für die Schlechterstellung existiert. D.h. für die Praxis im Allgemeinen, dass ein Tarifvertrag, der eine niedrigere Vergütung zum Nachteil von Leiharbeitnehmern zulässt, dieser – nach Auffassung des EuGH und nun auch des BAG – den Leiharbeitnehmern, um den Gesamtschutz zu achten, Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren muss, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen, um in rechtmäßiger Weise vom Equal-Pay-Grundsatz abzuweichen.

Wie Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen aussehen können, verblieb nach Entscheidung des EuGH unklar. Das BAG bietet mit seinem Urteil eine erste Orientierung für weitere Tarifwerke in der Leiharbeitsbranche. Danach reicht es im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzbestimmungen für Leiharbeitnehmer aus, wenn der Tarifvertrag eine Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten gewährleistet.

4. Keine Erstattung einer Personalvermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer (BAG Urt. v. 20.06.2023, 1 AZR 265/22)

In der bislang nur als Pressemitteilung veröffentlichten Entscheidung vom 20.06.2023 (1 AZR 265/22) hat das BAG klargestellt, dass eine arbeitsvertraglich vereinbarte Verpflichtung des Arbeitnehmers, bei vorzeitiger, vor Ablauf einer bestimmten Frist wirksam werdender Eigenkündigung eine arbeitgeberseitig an einen Personaldienstleister gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, unwirksam ist.

Die Parteien schlossen im März 2021 einen Arbeitsvertrag, der durch Vermittlung über einen Personaldienstleister zustande kam. Der Arbeitgeber musste diesem einen Teil der Provision zu Beginn des Arbeitsverhältnisses und einen weiteren Teil nach dem erfolgreichen Ende der Probezeit von 6 Monaten zahlen. Der Arbeitnehmer nahm seine Arbeit zum 01.05.2021 auf und kündigte das Arbeitsverhältnis zeitnah nach der Arbeitsaufnahme ordentlich (fristgerecht) mit Wirkung zum 30. Juni 2021. Sein Arbeitsvertrag enthielt eine Klausel, die ihn dazu verpflichtete, dem Arbeitgeber die Vermittlungsprovision für den Personaldienstleister zu erstatten, sofern das Arbeitsverhältnis nicht über den 30.06.2022 hinaus fortbesteht und – unter anderem – aus vom Kläger zu vertretenden Gründen selbst von ihm beendet werden würde. Die Beklagte behielt daraufhin – zwecks Kompensation der an den Personaldienstleister gezahlten Provision – einen Teilbetrag der Vergütung des Klägers für Juni 2021 ein.

Der Kläger verfolgte mit seiner Klage die Auszahlung des einbehaltenden Vergütungsbetrags. Die ihn zur Erstattung verpflichtende Klausel in seinem Arbeitsvertrag benachteilige ihn unangemessen und sei daher unwirksam. Die Beklagte verfolgte im Wege der Widerklage die Erstattung des trotz des erfolgten Einbehalts noch ausstehenden Restbetrages der Vermittlungsprovision. Sie war der Ansicht, die arbeitsvertragliche Klausel sei wirksam und sie sei somit berechtigt, die Provision vom Kläger erstattet zu bekommen. Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Das BAG entschied, es handele sich bei der Klausel aus dem Arbeitsvertrag um eine kontrollfähige Einmalbedingung i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Diese benachteilige den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und sei somit gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Dem Arbeitnehmer stehe gem. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG ein Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes zu. Auf Seiten des Arbeitgebers hingegen fänden sich keine gewichtigen schutzwürdigen Interessen, die die Wirksamkeit der Klausel rechtfertigen würden. Die Tatsache, dass der Arbeitgeber einen Personaldienstleister beauftragt und dadurch zusätzliche Kosten für die Einstellung des Arbeitgebers aufgewendet habe, gingen mit dem Risiko einher, dass die Aufwendungen nicht zum Erfolg, also einem dauerhaft bestehenden Arbeitsverhältnis, führten. Dieses unternehmerische Risiko müsse der Arbeitgeber jedoch selbst tragen. Zudem erhalte der Kläger auch keinen Vorteil, der seine eingeschränkte Arbeitsplatzwahlfreiheit ausgleichen könne. Der Kläger werde durch die Klausel in seinem Recht beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründete Interessen der Beklagten gerechtfertigt sei. Somit sei die Klausel unwirksam.

Folgen für die Praxis

Arbeitgeber sind angesichts dieses Urteils gut beraten, differenziert abzuwägen, ob sie eine Vereinbarung mit einem Arbeitnehmer treffen sollten, die diesen dazu verpflichten soll, unter gewissen Voraussetzungen die Kosten an den Arbeitgeber zu erstatten, die diesem im Zusammenhang mit der Rekrutierung des Arbeitnehmers gegenüber einem vermittelnden Personaldienstleister entstanden sind. Es bleibt abzuwarten, ob sich das BAG im Rahmen der noch ausstehenden detaillierten Urteilsbegründung dazu einlassen wird, welche Beweggründe auf Seiten des Arbeitgebers ein schutzwürdiges Interesse begründen können, das die Verwendung einer derartigen Klausel rechtfertigt. Angesichts der grundgesetzlich geschützten Position des Arbeitnehmers im Hinblick auf sein Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes dürften die Anforderungen an ein rechtfertigendes Interesse jedoch sehr hoch sein.

5. Mitbestimmung des Personalrats bei der Nutzung sozialer Medien mit Kommentarfunktion (BVerwG Beschluss vom 04.05.2023, 5 P 16.21)

Soziale Medien stellen für Behörden und private Unternehmen wichtige Kommunikations- und Informationsmedien dar, da sich mit vergleichbar geringem Aufwand eine breite Öffentlichkeit erreichen lässt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat Anfang Mai 2023 entschieden, dass die von einer Stelle der öffentlichen Verwaltung betriebenen Seiten oder Kanäle in den sozialen Medien mit Kommentarfunktion der Mitbestimmung des Personalrats unterliegen können.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV Bund) unterhält (teilweise zusammen mit anderen Rentenversicherungsträgern) im Rahmen ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und zur Personalgewinnung bei Facebook, Instagram und Twitter eigene Seiten und Kanäle. Nutzer haben die Möglichkeit, die dort eingestellten Beiträge zu kommentieren und dabei auch Verhalten oder Leistung einzelner Beschäftigter zu thematisieren. Beiträge und Kommentare werden von den sozialen Medien gespeichert, aber dort nicht für die Dienststelle ausgewertet.

Der antragstellende Hauptpersonalrat forderte die DRV Bund zunächst wegen des Facebook-Auftritts zur Einleitung eines Mitbestimmungsverfahrens nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) auf. Die Beteiligte verneinte die Mitbestimmungspflicht mit der Begründung, dass die nicht abstellbare Kommentarfunktion keine Überwachung der Leistung oder des Verhaltens der Beschäftigten aus technischen Gründen ermöglichen könne. Es würden seitens der sozialen Medien auch keine statistischen Auswertungen der Kommentierungen angeboten. Vielmehr würden die Kommentare täglich durch Administratoren auf ihre Angemessenheit hin geprüft. Während das Verwaltungsgericht erstinstanzlich ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats bejaht hatte, verneinte das Oberverwaltungsgericht dessen Bestehen.

Das BVerwG hat entschieden, dass eine mitbestimmungspflichtige technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen kann, wenn eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle mit Kommentarfunktion unterhält. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG habe der Personalrat ein Mitbestimmungsrecht, über die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Das gesetzliche Mitbestimmungsrecht des Personalrats soll sicherstellen, dass die Beeinträchtigungen und Gefahren für den Schutz der Persönlichkeit des Beschäftigten am Arbeitsplatz, die von der Technisierung der Verhaltens- und Leistungskontrolle ausgehen, auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben. Ob die Einrichtung oder Anwendung von Seiten oder Kanälen mit Kommentarfunktion einer Mitbestimmung durch den Personalrat unterliegt, kann nach Auffassung des BVerwG dabei nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beantwortet werden. Das BVerwG hat entschieden, dass es der Schutzzweck des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG gebietet, dass bereits das Speichern von Nutzerkommentaren mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben als selbstständige (Überwachungs-)Leistung einer technischen Einrichtung anzusehen ist. Bereits die Datenspeicherung birgt grundsätzlich die Gefahr in sich, dass die Dienststelle diese Daten auch auswertet. Dadurch kann ein Überwachungsdruck auf den Beschäftigten erzeugt werden.

Die Überwachung durch die technische Einrichtung kann zudem zur Überwachung der Beschäftigten „bestimmt“ sein, wobei es nach der Rechtsprechung entgegen des Wortlauts ausreicht, dass die Datenspeicherung objektiv zur Überwachung geeignet ist. Ob das der Fall ist, hängt wegen der ungewissen, nur möglichen Eingabe entsprechender Verhaltens- oder Leistungsdaten durch Dritte davon ab, ob bei objektiver Betrachtung im konkreten Fall eine nach Maßgabe des Schutzzwecks des Mitbestimmungstatbestandes hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Einstellen entsprechender Nutzerkommentare gegeben ist. Von Bedeutung ist insofern insbesondere die Konzeption des Auftritts in den sozialen Medien. Berichtet die Dienststellenleitung selbst über konkrete Beschäftigte und ihr Tätigkeitsfeld und lenkt damit den Blick des Publikums auf das dienstliche Verhalten und die Leistung von Beschäftigten, können hierauf bezogene Nutzerkommentare erwartet werden. Wird hingegen sachbezogen in allgemeiner Form und ohne Bezüge zu bestimmten Beschäftigten in Form von Pressemitteilungen über die Aufgaben und Tätigkeiten der Dienststelle informiert, besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Anbringung entsprechender Kommentare. Kommt es erst im Verlaufe des Betriebs zu einer nennenswerten Zahl verhaltens- oder leistungsbezogener Nutzerkommentare, kann die Überwachungseignung auch zu einem späteren Zeitpunkt, entgegen einer etwaigen ursprünglichen Prognose, zu bejahen sein. Ein Überwachungsdruck kann dagegen in der Regel nicht angenommen werden, wenn die Dienststellenleitung verhaltens- oder leistungsbezogene Kommentare ohne vorherige Auswertung schnellstmöglich löscht.

Folgen für die Praxis

Der Beschluss des BVerwG hat nicht nur Bedeutung für die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Arbeitgebern und Personalräten. Da die streitgegenständliche Vorschrift des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG inhaltsgleich mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist, liegt eine Übertragung der Rechtsprechung auf das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte nahe (vgl. hierzu auch den Beschluss des BAG vom 13. Dezember 2016, 1 ABR 7/15). Aufgrund der vergleichbaren Interessenlage in privaten Betrieben und Behörden ist es daher empfehlenswert, den gesetzlich verankerten digitalen Persönlichkeitsschutz der Beschäftigten und den Schutz vor Dauerüberwachung bei der Nutzung sozialer Medien einmal mehr ins Auge zu fassen. Die Entscheidung über die vorherige Einbindung der Arbeitnehmervertretungen wird im Einzelfall maßgeblich davon abhängen, ob verhaltens- oder leistungsbezogene Nutzerkommentare unter Beiträgen in den Sozialen Medien zu erwarten sind. Auch bei einer sachbezogenen Konzeption des Auftritts ohne Bezüge zu bestimmten Beschäftigten, sollten Arbeitgeber das tatsächliche Verhalten der Nutzer beobachten.

 

Stand: August 2023

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