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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: Dezember 2023

Aktuelle Rechtsprechung im Arbeitsrecht

Unsere Monthly Dosis Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der Dezember-Ausgabe 2023 die Urteile (1) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 06.06.2023 zur (nachträglichen) Streichung der Dankesformel im Arbeitszeugnis als verbotene Maßregelung kann, (2) des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 03.05.2023 zur AGB-Unwirksamkeit der vertraglichen Beschränkung einer variablen Vergütung für einen Geschäftsführer auf die Dauer der Organbestellung, (3) des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln vom 04.07.2023 zum Anspruch auf eine umsatzunabhängige Sondervergütung aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Springer-Tätigkeiten, (4) des LAG Niedersachsen vom 24.07.2023 zur ordentlichen Kündigung einer Betriebsrätin in einer Matrixorganisation sowie (5) des LAG Hessen vom 28.08.2023 zur rechtlichen (Un-)Wirksamkeit eines Hausverbotes gegen den Betriebsratsvorsitzenden.

1. (Nachträgliche) Streichung der Dankesformel im Arbeitszeugnis als verbotene Maßregelung (BAG Urt. v. 06.06.2023, 9 AZR 272/22)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 06.06.2023 entschieden, dass ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vorliegt, wenn ein Arbeitgeber das Arbeitszeugnis zum Nachteil eines Arbeitnehmers abändert, nachdem der Arbeitnehmer berechtigterweise seinen Korrekturanspruch geltend gemacht hat.

Die klagende Arbeitnehmerin war von August 2017 bis Februar 2021 zuletzt als „Managerin of Administration and Central Services“ bei der Beklagten beschäftigt. Im März 2021 erteilte die beklagte Arbeitgeberin der Klägerin ein Arbeitszeugnis. Der letzte Absatz des Zeugnisses lautete:

„Frau D verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch. Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute und auch weiterhin viel Erfolg.“

Nach Erteilung des Arbeitszeugnisses forderte die Klägerin die Beklagte wiederholt, aber in berechtigter Weise dazu auf, inhaltliche Änderungen am Arbeitszeugnis ihr Arbeits- und Sozialverhalten sowie die Qualität ihrer Arbeitsleistung betreffend vorzunehmen.

Nach Abänderung des Arbeitszeugnisses lautete der letzte Absatz des finalen Arbeitszeugnisses - unter Auslassung der in den ersten zwei Fassungen des Arbeitszeugnisses aufgenommenen Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel - wie folgt:

„Frau D verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch.“

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Streichung der Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel seitens der Beklagten gegen das Maßregelungsverbot des § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verstoße. Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass das in § 612a BGB statuierte Maßregelungsverbot einen Arbeitgeber nur im laufenden Arbeitsverhältnis binde und nicht nach dessen Beendigung gelte. Darüber hinaus schließe der Grundsatz der Zeugniswahrheit die Aufnahme derartiger Schlusssätze aus, wenn sich das subjektive Empfinden des Arbeitgebers im Nachhinein geändert habe.

Das BAG gab der Klage statt. Auch wenn Arbeitnehmer keinen gesetzlichen Anspruch eine Dankes-, Bedauerns- und/oder Wunschformel haben, stellt jedoch die Entfernung einer ursprünglich vorhandenen Schlussformel, die die Chancen eines Arbeitnehmers innerhalb des Bewerbungsprozesses erhöhen kann, eine Abwertung des Arbeitszeugnisses und somit einen vom Maßregelungsverbot nach § 612a BGB umfassten Nachteil dar. Gemäß § 612a BGB darf ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Das Maßregelungsverbot soll die Willensfreiheit eines Arbeitnehmers schützen. Dieser soll ohne Angst vor einer Maßregelung durch seinen Arbeitgeber darüber entscheiden dürfen, ob er die ihm zustehenden Rechte in Anspruch nimmt oder davon absieht.

Auch wenn im Rahmen der Auslegung des § 612a BGB die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit des Arbeitgebers zu berücksichtigen sei, gebe ihm diese nicht das Recht, die berechtigte Remonstration des Arbeitnehmers zum Anlass zu nehmen, um das Arbeitszeugnis zu dessen Nachteil zu ändern.

Der Arbeitgeber sei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an den Inhalt eines erteilten Arbeitszeugnisses gebunden. Von den Wissenserklärungen zum Verhalten und der Leistung des Arbeitnehmers könne er nur dann abrücken, wenn ihm nachträglich Umstände bekannt würden, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigten.

Folgen für die Praxis

Das BAG verdeutlicht in seinen Entscheidungsgründen, dass das Interesse des Arbeitnehmers, ohne Angst vor einer Maßregelung seitens des Arbeitgebers die ihm zustehenden Rechte dem Arbeitgeber gegenüber in zulässiger Weise geltend zu machen, unter dem Gesichtspunkt des Maßregelungsverbots grundsätzlich höher zu bewerten sei als das Interesse des Arbeitgebers, den von ihm zuvor selbst gestalteten Zeugnisinhalt in Reaktion auf ein rechtmäßiges Verhalten des Arbeitnehmers grundlos nachträglich zu ändern. Zudem stellte der Senat heraus, dass die Anwendbarkeit des Maßregelungsverbots – wie auch das Rücksichtnahmegebot aus § 241 Abs. 2 BGB - nicht auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses beschränkt – sondern auch nach dessen Beendigung zu beachten sei. Das Maßregelungsverbot kann insofern auch nachvertragliche Wirkungen entfalten.

2. Unwirksamkeit der Beschränkung einer variablen Vergütung auf die Dauer der Bestellung zum Geschäftsführer in den AGB eines Geschäftsführerdienstvertrag und Schadensersatz bei zu später Zielvorgabe (OLG München Urt. v. 03.05.2023, 7 U 2865/21)

In seinem Urteil vom 03.05.2023 (7 U 2865/21) hatte das OLG München unter anderem Gelegenheit über die Wirksamkeit der Vereinbarung einer variablen Vergütung in einem Geschäftsführerdienstvertrag auf die Dauer der Organbestellung sowie über den Schadensersatzanspruch eines Geschäftsführers bei zu später Vorgabe der für die konkrete variable Vergütung maßgeblichen Performanceparameter zu entscheiden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, war die Klägerin zur Geschäftsführerin der beiden beklagten Gesellschaften bestellt, deren Alleingesellschafterin jeweils die U Holding GmbH war. Der Geschäftsführerdienstvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1. bestimmte, dass der Klägerin neben einem Jahresfestgehalt in Höhe von 190.000 EUR brutto auch ein variables Jahresgehalt während der Dauer der Bestellung als Geschäftsführerin erhalten könnte, dessen Höhe abhängig von der Erreichung der festgelegten Ziele ist und mit einem Zielbonus bei Erriechung von 100% der relevanten Ziele versehen wurde. Die Ziele für das jeweilige Geschäftsjahr hatte die Beklagte zu 1. der Klägerin gemäß der vertraglichen Bonusregelung vor Beginn des jeweiligen Geschäftsjahres in Abstimmung mit der Klägerin vorzugeben. Die Beklagte zu 1. übermittelte der Klägeirn am 19.07.2019 ihre Ziele für die variable Vergütung für das Geschäftsjahr 2019.

Die U Holding GmbH kündigte mit Schreiben vom 06.08.2019 den Geschäftsführeranstellungsvertrag zum 29.02.2020 und übermittelte der Klägerin ein weiteres auf den 14.08.2019 datierte Schreiben, das die Abberufung der Klägerin als Geschäftsführerin der beklagten Gesellschaften und ihre sofortige Freistellung von der Pflicht zur Dienstleistung enthielt. Die Klägerin wies beide Schreiben mangels ausreichender Vollmachtsvorlage zurück und erhob gegen die Beklagte zu 1. Klage unter anderem auf Zahlung der variablen Vergütiung für das Geschäftsjahr 2019, dies in Form eines Schadensersatzanspruchs in Höhe des Zielbonus, da die Beklagte zu 1. die Ziele nicht vor Beginn des Geschäftsjahres 2019 festgelegt habe. Die Beklagte erwiderte gegen den Schadensersatzanspruch, dass sie der Klägerin die Ziele für das Geschäftsjahr 2019 (auch noch) mit dem Schreiben vom 19.07.2019 wirksam festlegen konnte und überdies ein Anspruch auf die variable  Vergütung für das Geschäftsjahr 2019 allenfalls pro rata bis zum Zeitpunkt der Abberufung als Geschäftsführerin bestehen würde.

Das OLG München gab der Klage auf die variable Vergütung für das Geschäftsjahr 2019 in der Form des Schadensersatzanspruchs statt. Der Anspruch sei im Ausgangspunkt auf das gesamte Geschäftsjahr 2019 bezogen, da die Einschränkung der Zahlung einer variablen Vergütung nur auf die Dauer der Organbestellung nach § 307 Abs. 1, 2 BGB unwirksam sei. Diese Beschränkung verstoße gegen den in § 38 Abs. 1 GmbHG verkörperten Grundgedanken des GmbH-Rechts, wonach ein Geschäftsführer zwar jederzeit abberufen werden kann, die Abberufung als solche aber keinen Einfluss auf seinen Vergütungsanspruch habe. Dem spreche auch nicht die Abberufung der Kläge-rin als Geschäftsführerin, die hier mit der Freistellung verbunden war, entgegen, da die fragliche Klausel es ermögliche, den Geschäftsführer zwar als Organ abzuberufen, ihn aber nicht von seinen dienstvertraglichen Pflichten freizustellen, ihn also unter Verzicht auf die zugesagte variable Vergütung weiterarbeiten zu lassen. Dies begründe eine unangemessene Benachteiligung des Geschäftsführers nach § 307 Abs. 1, 2 BGB, die vor dem Hintergrund des Verbots geltungserhaltender Reduktion nach § 306 Abs. 1, 2 BGB auch nicht durch die tatsächliche Freistellung der Klägerin ausgeschlossen werden kann. Zudem sei die variable Vergütung als Schadensersatz in Höhe des Zielbonus nach Maßgabe der §§ 280, 283 BGB zu gewähren, da die Beklagte zu 1. der Klägerin keine vertragsgemäße Zielvorgaben bis zum Beginn des Geschäftsjahres 2019 gemacht habe und die am 19.07.2019 erfolgte Zielvorgabe insoweit zu spät erfolgt sei.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung zeigt anschaulich die bei der Durchführung von Geschäftsführerdienstverhältnissen regelmäßig vorzunehemnde Differenzierung und Sensibilisierung zwischen der gesellschaftsrechtlichen Organstellung und dem arbeitsvertraglichen Geschäftsführerdienstvertrag auf. Gesellschaften sollten vor diesem Hintergrund von der Gewährung von variablen Vergütungen nur für den Zeitraum der Organbestellung absehen und den mit einer solchen Regelung beabsichtigte Gleichlauf der variablen Vergütung mit der Organtätigkeit entweder durch eine Kopplungsklausel bereits im Geschäftsführerdienstvertrag oder durch eine einvernehmliche Beendigung des Geschäftsführerdienstvertrags im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Abberufung herbeiführen. Rechtlich nachvollziehbar ist auch vom OLG München durchgeführte Heranziehung der Rechtssätze des BAG zum Schadensersatzanspruch des bonusberechtigten Arbeitnehmers bei einem unterlassenen Abschluss einer Zielvereinbarung für eine variable Vergütung (s. nur BAG Urt. v. 12.12.2007, 10 AZR 97/07) auf performancebasierte variable Vergütungen eines Geschäftsführeres. Gesellschaften haben den Abschluss bzw. die Festlegung der relevanten Ziele im Rahmen der Jahresplanung der Durchführung des Geschäftsführerdienstverhältnisses zu beachten.

3. Kein Anspruch auf umsatzabhängige Sondervergütung aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Springer-Tätigkeit (LAG Köln Urt. v. 04.07.2023, 4 Sa 638/22)

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hatte in seiner Entscheidung vom 04.07.2023 (4 Sa 638/22) die Gelegenheit über den Anspruch eines als Springer in einer Fitnesstudio-Kette beschäftigten Arbeitnehmers auf eine umsatzabhängige Sondervergütung aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu entscheiden.

Die Beklagte gehörte zur K-Gruppe, die europaweit in mehr als 150 Trainingsstudios gesundheitsorientiertes Krafttraining anbietet. In Deutschland betreibt sie 19 Stammstudios und beschäftigte zum Entscheidungszeitpunkt 101 Arbeitnehmer als sog. Instruktoren. Mit 96 der 101 Instruktoren hatte die Beklagte gesonderte Vereinbarungen über die Zahlung einer monatlichen Sondervergütung abgeschlossen, die vom Umsatz des Trainingsstudios, in dem der jeweilige Arbeitnehmer beschäftigt wurde, abhängig war. Mit dem Kläger, der in der Funktion „Instruktor/Springer“ beschäftigt war, wurde eine solche Vereinbarung nicht getroffen. Er erhielt eine Grundvergütung, die deutlich über den bei der Beklagten vergleichbaren Gehältern lag. Zudem war im Arbeitsvertrag vereinbart: „Arbeitsort ist das Studio des Arbeitgebers in F N. Einsatzort kann deutschlandweit in den Stammstudios des Arbeitgebers erfolgen“. Der Kläger wurde in ver-schiedenen Stammstudios der Beklagten bundesweit mit einer zeitlichen Dauer von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen eingesetzt. Er wurde im streitgegenständlichen Zeitraum auch im Studio F N eingesetzt, leistete aber im fraglichen Zeitraum mehr als die Hälfte seiner Arbeitseinsätze an anderen Standorten. Mit seiner Klage begehrte der Kläger eine Beteiligung an dem von der Beklagten eingerichteten Sondervergütungssystem und stützte diese auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Da er erstinstanzlich beim Arbeitsgericht Köln unterlegen war, verfolgte er sein Begehr sodann in der Berufungsinstanz vor dem LAG Köln.

Das LAG Köln verneinte den geltend gemachten Anspruch und wies die Berufung des Klägers zurück. Der geltend gemachte Anspruch ließe sich insbesondere nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ableiten. Zwar erkannte das LAG Köln im vor-liegenden Fall eine Ungleichbehandlung, sah diese jedoch als sachlich gerechtfertigt an. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegt dann nicht vor, wenn ein sachlicher Differenzierungsgrund für die Ungleichbehandlung vorliegt. Maßgeblich für die sachliche Rechtfertigung ist vor allem der Regelungszweck. Im konkreten Fall hatte die umsatzabhängige Sondervergütung die Belohnung für geleistete Arbeit zum Zweck. Zugleich sollte sie ein Anreiz für künftige Arbeit sein, insbesondere um die Kundenbindung an ein konkretes Studio zu erhöhen. Dieser Zweck konnte nach der Auffassung des LAG Köln durch die Tätigkeit des Klägers als „Springer“ nicht erreicht werden. Die Beklagte profitiere im Hinblick auf die Kundenbindung von einem Springer, der mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit an wechselnden Arbeitsorten tätig werde, potenziell nicht in gleichem Maße wie von einer Stammkraft, die dauerhaft in einem bestimmten Studio arbeitet. Durch den wechselnden Arbeitsstandort des Klägers lasse sich die Anreizfunktion, sich um eine dauerhafte Kundenbindung an ein bestimmtes Studio zu bemühen, nicht realisieren. Anstelle der Umsatzbeteiligung habe der Kläger überdies eine finanzielle Kompensation in Form einer pauschalierten Sondervergütung erhalten, da er eine deutlich erhöhte Grundvergütung im Vergleich zu anderen, bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmern bezogen hatte. Im Ergebnis sei die Ungleichbehandlung in Bezug auf die umsatzabhängige Sondervergütung gerechtfertigt.

Folgen für die Praxis

Das Urteil des LAG Köln zeigt aus Arbeitgebersicht anschaulich, dass auf einen bestimmten Personenkreis bezogene Sonderzahlungen abgrenzbar gegenüber weiteren im Ausgangspunkt mit Blick auf die konkrete Arbeitstätigkeit vergleichbaren Personen gewährt werden können und eine Abgrenzung dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz standhält, wenn der Arbeitgeber die maßgeblichen Abgrenzungskriterien transparent und als sachliche Rechfertigung für die Ungleichbehandlung darlegen kann. Sorgfältige Vorüberlegungen insbesondere zum konkreten Zweck der relevanten Sonderzahlung und den damit verbundenen Personenkreis lassen für den Arbeitgeber bedarfsgerechte Lösungen in der Praxis finden.

4. Sonderkündigungsschutz gemäß § 15 KSchG für ein Betriebsratsmitgleid bei Abteilungsschließung in einer Matrixorganisation (LAG Niedersachsen Urt. v. 24.07.2023, 15 Sa 906/22)

Mitglieder des Betriebsrats und andere Arbeitnehmervertreter unterliegen gemäß § 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) einem besonderen Kündigungsschutz, der ordentliche Kündigungen für die in der Vorschrift genannten Vertretungsmitglieder grundsätzlich ausschließt. Eine Ausnahme besteht lediglich im Fall einer Betriebsstilllegung oder der Stilllegung einer Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat das LAG Niedersachsen in seinem Urteil vom 24.07.2023 (Az.: 15 Sa 906/22) entschieden, dass eine Matrixstruktur, die eine vom Vertragsarbeitgeber unabhängig gestaltete Arbeitsorganisation darstellt, keine Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG ist. Das Gericht hat die ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Betriebsrätin, die der Arbeitgeber durch den Verweis auf eine Abteilungsstilllegung zu rechtfertigen versuchte, daher für unwirksam erklärt.

In dem streitgegenständlichen Sachverhalt beschäftigte die Beklagte, ein weltweit tätiges Arzneimittelunternehmen, die Klägerin als einzige Mitarbeitende im Bereich „IT ERP - Finance und Controlling“. Zu den Aufgaben der Klägerin gehörten die Entwicklung und Implementierung von SAP-Finanzlösungen und die Analyse von Geschäftsprozessen. Dabei war sie aufgrund der Matrixstruktur der Beklagten fachlich einem Direktor unterstellt, der in Indien angesiedelt ist. Die Klägerin bekleidete zudem das Amt als Betriebsratsvorsitzende und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Unternehmen.

Im Mai 2022 entschied die Beklagte, den Standort in Niedersachsen zu verkleinern und dabei die Aufgaben der Klägerin gänzlich ins Ausland auszulagern. Im Zuge dessen kündigte die Beklagte der Klägerin ordentlich betriebsbedingt und begründete die Kündigung mit einer Stilllegung der gesamten Betriebsabteilung.

Bereits das Arbeitsgericht Hannover gab der Kündigungsschutzklage statt und stellte fest, dass der ehemalige Bereich „IT ERP -Finance und Controlling“ keine Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG darstellt und die Kündigung aus diesem Grund unwirksam sei.

Dieser Begründung schloss sich auch das LAG Niedersachen an und wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift lagen auch nach Auffassung des LAG Niedersachsen aufgrund der nicht bestehenden Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG vor.

Eine Betriebsabteilung sei ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebs, der eine personelle Einheit erfordere, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stünden und der einen eigenen Betriebszweck verfolge, auch wenn dieser in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs bestehe. Eine solche Abteilung könne aber nicht in dem Bereich „IT ERP – Finance & Controlling“ erkannt werden.

Die Klägerin war die einzige Arbeitnehmerin in diesem Bereich und habe damit weder einen räumlich abgegrenzten Teil des Betriebs gebildet noch eine personelle Einheit erfordert. Auch die der Klägerin zur Verfügung gestellte Büroausstattung, wie Arbeitszimmer, Schreibtisch und Laptop, lasse nicht auf eigene technische Betriebsmittel schließen. Nach Auffassung des Gerichts gilt eine solche Büroaussattung als selbstverständlich und begründe als übliche Ausstattung für Büroangestellte nicht das Vorliegen einer Betriebsabteilung.

Die von der Beklagten angeführte Eingliederung der Klägerin in eine Matrixstruktur lasse darüber hinaus nicht auf eine organisatorisch abgrenzbare Betriebsabteilung schließen. Die Klägerin sei durch ihre Zuordnung in den Bereich „IT ERP – Finance & Controlling“ und der Weisungsgebundenheit mittels fachlicher Unterstellung in eine Matrixorganisation eingegliedert und damit gerade nicht organisatorisch eigenständig tätig. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass innerhalb einer Matrixorganisation eigenständige Betriebsabteilungen bestehen können. Die Existenz einer Matrixstruktur allein genüge aber nicht, um eine Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG festzustellen.

Ohne Hinzutreten weiterer Umstände könne das Gericht auch nicht bewerten, ob die Umsetzung und Anpassung der SAP-Anwendungen auf den Betrieb als eigener Betriebszweck für die Annahme einer Betriebsabteilung ausreicht.

Folgen für die Praxis

Von der Umgehung des Sonderkündigungsschutz durch die Bildung von (kleinteiligen) Matrixstrukturen ist für Mitglieder des Betriebsrates, der Jugend und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrates, von Mitgliedern der Personalvertretung, eines Wahlvorstands oder Wahlbewerbers sowie weiterer in § 15 Abs. 3a BetrVG genannten Personen abzuraten.

Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass die Einbindung von Arbeitnehmern in eine überbetriebliche Matrixstruktur unabhängig von der Frage zu beurteilen ist, wie ein in Deutschland unterhaltener Betrieb organisiert ist. In jedem Fall muss eine Matrixstruktur nicht unmittlebar Auswirkungen auf den Betriebsbegriff (des Kündigungsschutzgesetzes) haben. Eine Auflösung einer Abteilung innerhalb der Matrix (wie hier die aus einer Einzelperson bestehende Finanzabteilung in Deutschland) führt jedenfalls nicht zwingend zu einer Auflösung der rechtlichen Betriebsstrukturen. Nach den Argumentationslinien der Kammer wäre eine auf die Vorschrift gestützte Kündigung hier wohl nur gerechtfertigt gewesen, wenn die Arbeitgeberin die gesamte Matrixebene (weltweit) stillgelegt hätte.

5. Wirksamkeit eines Hausverbots gegenüber einem Betriebsratsmitglied bei Verdacht auf eine Straftat ohne rechtskräftigen Abschluss des Amtsenthebungsverfahrens (LAG Hessen Beschl. v. 28.08.2023, 16 TaBVGa 97/23)

In seinem Beschluss vom 28.08.2023 (16 TaBVGa 97/23) hatte das LAG Hessen Gelegenheit zur Entscheidung über die Frage, ob dem Voristzenden eines Betriebsrats der Zutritt zum Betrieb durch ein Hausverbot bei Verdacht auf Begehung einer Straftat verwehrt werden kann.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sprach die Arbeitgeberin gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden ein Hausverbot, aus nachdem der Betriebsratsvorsitzende nach einer Betriebsratssitzung einige Dokumente bei der Personalabteilung abgegeben wollte und aufgrund der Abwesenheit sämtlicher Mitarbeiter in der Personalabteilung den Eingang der Dokumente selbst abstempelte, um sie danach unter der Tür durchzuschieben. Die Arbeitgeberin erstattete daraufhin Strafanzeige wegen Urkundenfälschung und leitete beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main ein Verfahren auf Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat gem. § 23 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein. Zudem sprach sie ein Hausverbot aus und führte als Begründung die Urkundenfälschung und somit die Begehung einer Straftat an.

Auf den Eilantrag des Betriebsrats und des Betriebsratsvorsitzenden wurde der Arbeitgeberin vom Arbeitsgericht Frankfurt erstinstanzlich aufgegeben, dem Betriebsratsvorsitzenden ungehinderten Zutritt zum Betrieb zum Zwecke der Ausübung seiner Betriebsratstätigkeit zu gewähren. Das LAG Hessen wies die von der Arbeitgeberin gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde zurück.

Zur Begründung der Beschwerdeabweisung führte das LAG Hessen an, dass das gegen den Betriebsratsvorsitzenden ausgesprochene Hausverbot eine Behinderung der Betriebsratsarbeit darstelle. Gemäß § 78 Satz 1 BetrVG dürften Betriebsratsmitglieder in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Das Betriebsratsmitglied bleibe bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gem. § 23 Abs. 1 BetrVG im Amt und müsse ungehinderten Zugang zum Betrieb gewährt werden. Die Arbeitgeberin sei nicht befugt, Fakten zu schaffen, indem sie dem Betriebsratsmitglied den Zutritt zum Betrieb verweigere.

Eine Ausnahme bestehe hiervon allenfalls, sofern eine gravierende Pflichtverletzung vorliege. In diesem Fall müsse der Arbeitgeber selbst einen Antrag auf vorläufige Untersagung der Ausübung des Betriebsratsamts beim Arbeitsgericht stellen. Es komme dabei nicht auf die strafrechtliche Betrachtung an, sondern auf die Frage, ob die vertrauensvolle Zusammenarbeit i.S.v. § 2 Abs. 1 BetrVG zwischen den Betriebspartnern unzumutbar beeinträchtigt sei.

Im vorliegenden Fall sei eine derart gravierende Störung der Zusammenarbeit, die eine Behinderung des Zugangs des Betriebsratsvorsitzenden bis zum rechtskräftigen Abschluss des Amtsenthebungsverfahrens durch ein Hausverbot rechtfertigen könnte, nicht festzustellen. Selbst wenn ein entsprechender Antrag auf eine vorläufige Untersagung der Ausübung des Betriebsratsamts vorgelegen hätte, wäre das Hausverbot als unzulässige Behinderung einzustufen.

Folgen für die Praxis

Die Erteilung von Hausverboten gegenüber Betriebsratsmitgliedern aufgrund des Verdachts einer Straftat bleibt für Arbeitgeber – insbesondere bei parallel eingeleiteten Amtsenthebungsverfahren nach Maßgabe des § 23 Abs. 3 BetrVG – ein risikobehaftetes Feld. Die Entscheidung des LAG Hessen fügt sich insoweit in die heterogene Rechtsprechung zwischen den einzelnen Instanzgerichten ein. Das BAG hat in der Regel keine Gelegenheit, über den konkreten Sachverhalt zu entscheiden, da Betriebsrats- bzw. Personalratsmitgleider Rechtssxchutz gegen Hausverbote in der Regel im einstweiligen Rechtsschutz suchen und einstweilige Verfügungsverfahren nach der Beschwerdeinstanz rechtskräftig werden. Als Leitsatz für ein wirksames Hausverbot können Arbeitgeber für sich verbuchen, dass die dem Hausverbot zugrunde liegende Straftat den Betriebsfrieden in erheblichen Maß stört oder diese (vermögensbezogene) Rechtsgüter des Arbeitgebers betrifft. So hat beispielsweise in der jüngeren Vergangenheit das Oberverwaltungsgericht Greifswald in seiner Entscheidung vom 23.07.20219 (8 M 26/19 OVG) den einstweiligen Verfügungsantrag eines Personalratsmitglieds gegen ein Hausverbot abgelehnt, das die dortige Dienststelle wegen des Verdachts der Beihilfe des Personalratsmitglieds zum Betrug und zur Untreue zulasten der Dienststelle erklärt hatte.

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