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Die Verbandsklage

Damoklesschwert für die Energiebranche?

Durch die Richtlinie (EU) 2020/1828 vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher wurde Deutschland zur Einführung eines Verfahrensmechanismus verpflichtet, der Verbraucherinnen und Verbrauchern die Geltendmachung von behaupteten Ansprüchen durch kollektiven Rechtsbehelf ermöglicht. Die innerstaatliche Umsetzung in Deutschland erfolgte im Oktober 2023 unter anderem durch die Einführung des neuen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG). Wie die bisherige Praxis gezeigt hat, geraten besonders Energieversorger ins „Fadenkreuz“ der Kläger des VDuG. Warum ist das so? Und was können betroffene Energieversorger tun?

Die innerstaatliche Umsetzung in Deutschland erfolgte im Oktober 2023 unter anderem durch die Einführung des neuen Verbraucherrechtedurch-setzungsgesetz (VDuG). Wie die bisherige Praxis gezeigt hat, geraten besonders Energieversorger ins „Fadenkreuz“ der Kläger des VDuG.

Warum ist das so? Das VDuG unterstützt die Klage mehrerer Einzelpersonen, die Ansprüche geltend machen, die im Wesentlichen gleichartig sind. Das ist die typische Konstellation im Verhältnis zwischen Verbrauchern und Energieversorgern. Energieversorger sind kraft gesetzlicher Vorgaben verpflichtet, ihre Leistungen zu transparenten und nichtdiskriminierenden (sprich: denselben) Bedingungen gegenüber ihren Kunden zu erbringen. Das aber führt dazu, dass Rechtsverletzungen der Energieversorger in der Regel eine Vielzahl von Verbrauchern betreffen. Und das prädestiniert das Verfahren des VDuG für Klagen gegen die Energieversorger.

Hinzu kommt, dass Energie aktuell ein „hot topic“ ist. Die Energiekosten sind sowohl für private als auch gewerbliche Verbraucher von enormer Bedeutung.

Wie sollten Energieversorger mit Klagen auf der Grundlage des VDuG umgehen? In erster Linie sollte der Schwerpunkt auf die Meidung von Klageanlässen gelegt werden. Wenn es aber zum Rechtsstreit kommt, bedarf es einer eingespielten, effektiven und vor allem mit „Masseklageverfahren“ vertrauten Rechtsvertretung. Ziel muss es sein, den Rechtsstreit schnell und effizient zu erledigen.

Im Einzelnen zum VDuG:

Das VDuG ersetzt die bisherigen Regelungen zum kollektiven Rechtsschutz in den §§ 606 ff. ZPO und erweitert und vereint die bisherige Rechtslage rund um die Musterfeststellungsklage in einem neuen Gesetz. Eingeführt wurde auch ein neuer Rechtsbehelf: Die Abhilfeklage. Sowohl die Abhilfeklage als auch die Musterfeststellungsklage sind Verbandsklagen, die es Verbraucherverbänden ermöglichen, für die Verbraucher unter anderem gegen Energieversorger vorzugehen.

Allgemein ist eine Verbandsklage nur dann zulässig, wenn die klageberechtigte Stelle, ein qualifizierter Verbraucherverband oder eine qualifizierte Einrichtung, nachvollziehbar darlegt, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbraucherinnen oder Verbrauchern betroffen sein können oder von den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens 50 Verbraucherinnen und Verbrauchern abhängen können. Auch kleine Unternehmen werden unter den Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 VDuG Verbraucherinnen und Verbrauchern gleichgestellt und können sich somit einer Verbandsklage anschließen, was im Energiesektor von besonderer Relevanz sein könnte.

Die neu eingeführte Abhilfeklage verlangt zusätzlich, dass die von der Klage betroffenen Ansprüche von Verbrauchern im Wesentlichen gleichartig sind. Das ist dann der Fall, wenn die Ansprüche auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalte beruhen und für die Ansprüche vergleichbare Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Der Gesetzgeber verlangt hier, dass sich die jeweilige Forderungshöhe anhand derselben Formel berechnen lässt. Letzteres ist für die Energiewirtschaft typischerweise gegeben, da insbesondere Preisänderungsformeln für die Energiekunden weitgehend einheitlich ausgestaltet sind.

Die neue gerichtliche Abhilfeklage nach § 14 VDuG hat dabei einige Vorteile gegenüber der Musterfeststellungsklage:

Die gerichtlich erfolgreiche Musterfeststellungsklage stellt wesentliche Voraussetzungen des Anspruchs verbindlich fest. Bei einer Erfüllungsverweigerung des Unternehmens müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher aber trotz des Zwischenerfolgs nochmal selbst auf Erfüllung klagen. Mit der Abhilfeklage können Verbraucherverbände nun direkt auf Erfüllung der Ansprüche klagen. Das zuständige Oberlandesgericht stellt dann eine Gesamtsumme für alle geltend gemachten Ansprüche fest. Die Verteilung erfolgt durch einen gerichtlich bestellten Sachwalter. Die Abhilfeklage ermöglicht damit erstmals eine auf Zahlung gerichtete Klage für eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Vor der Entscheidung des Gerichts besteht auch die Möglichkeit einer gütlichen Einigung über die Abwicklung des Rechtsstreits.

Die Bündelung der Ressourcen soll zu einer vereinfachten Prozessführung für die Klägerinnen und Kläger führen und Rechtssicherheit durch eine einheitliche Rechtsprechung gewährleisten. Dies geht mit geringeren Kosten für die einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher einher.

Die Richtlinie schafft außerdem den Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Verbandsklagen. Da den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung ein gewisser Spielraum bleibt, wird man auf die besonderen Verfahrensregeln in den jeweiligen Jurisdiktionen achten müssen. So bestehen beispielsweise innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unterschiedliche Regelungen zur Möglichkeit der Prozessfinanzierung von Verbandsklagen. In manchen Mitgliedsstaaten ist eine Prozessfinanzierung, also die Finanzierung einer Verbandsklage durch einen Dritten, unproblematisch möglich, sofern die Gerichte die Befugnis haben, eine Finanzierungsübersicht einzufordern, in der die für die Verbandsklage in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen aufgelistet sind, und durch die Finanzierung keine Interessenkonflikte entstehen. Sehr viel strenger ist demgegenüber die Rechtslage in Deutschland, wonach die Verbandsklage bereits dann unzulässig ist, wenn sie von einem Dritten finanziert wird, dem ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von mehr als 10 Prozent versprochen ist.

Die neue Abhilfeklage ist effektiver als die in Deutschland bisher gesetzlich vorgesehenen kollektiven Rechtsschutzinstrumente. Die klageberechtigten Stellen sind verpflichtet, auf ihrer Internetseite über die laufenden und zukünftigen Verbandsklagen sowie den Verfahrensstand zu informieren. Das Bundesamt für Justiz führt ein Verbandsklageregister. In diesem sind alle zurzeit öffentlich bekanntgemachten Verbandsklagen zu finden, die sich gegenwärtig vor allem gegen Energieversorger richten. Wir halten Sie zu diesem Thema weiter auf dem Laufenden.

 

Autor:innen: Francis Bellen, Dr. Torsten Wielsch und Monja Zeyn

 

Stand: Februar 2025

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