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Krise erreicht Finanzdienstleister bisher kaum – Kreditausfallsrisiko darf aber nicht ignoriert werden

Die Corona-Krise ist keine Finanzkrise – Finanzdienstleister sind daher weniger betroffen als andere Branchen. Sie sind im Durschnitt gut vorbereitet und gut kapitalisiert. Doch die Krise ist leider noch nicht vorbei, die zweite Pandemiewelle ist eingetroffen, der Ausgang ungewiss und ein Impfstoff, wenn auch in Aussicht, noch nicht grossflächig einsatzbereit. Je länger die Krise andauert, desto höher wird das Kreditausfallrisiko. Banken sollten jetzt noch stärker das Monitoring ihrer Kapitalausstattung fortführen, Instrumente für Stresstests erweitern, kurz-, mittel- und langfristige Schritte zur Verbesserung der Kapitalausstattung unternehmen und ihr Kreditportfoliomonitoring optimieren.

Finanzdienstleister bisher weniger betroffen

Finanzdienstleister sind im Vergleich mit anderen Branchen gut vorbereitet in die Krise gegangen, wenig direkt betroffen und mussten bisher nur wenige Krisenmassnahmen einführen; dies zeigen Detailauswertungen des aktuellen swissVR Monitors.

Wie Abbildung 1 zeigt, waren Krisenmanagementmassnahmen vor der Corona-Krise bei Finanzdienstleistern stärker verbreitet als bei den meisten anderen Branchen. So gaben 92% beispielsweise an, eine Geschäftskontinuitätsstrategie festgelegt zu haben, und 56% gaben an, eine Pandemieplanung gemacht zu haben, fast doppelt so viele wie im Schnitt.

Abbildung 1. Massnahmen vor Ausbruch der Corona-Krise nach Branche

Die Corona-Krise ist keine Finanzkrise und das zeigt sich deutlich an den Massnahmen, die nach Krisenausbruch umgesetzt wurden: Finanzdienstleister mussten deutlich weniger oft darauf zurückgreifen als andere Branchen (siehe Abbildung 2). Der Finanzsektor ist in diesem Sinne bisher von der Krise grösstenteils verschont worden; er hat eine «gute Krise» gehabt.

Abbildung 2. Finanzielle Massnahmen in der Corona-Krise nach Branche

Von grossem Nutzen waren in dieser Situation die regulatorischen Massnahmen zur Stärkung der Kapitalbasis im Nachgang zur Finanzkrise von 2008. So stieg die harte Kernkapitalquote (CET1) laut Zahlen der Schweizerischen Nationalbank von 2013 bis 2019 von 16% auf 18.35%. Thomas Jordan bescheinigte daher jüngst auch in einer Rede sowohl auslands- als auch inlandsorientierten Banken, dass sie insgesamt gut kapitalisiert seien.

Banken sind damit im Durchschnitt gut vorbereitet, durch organisatorische Massnahmen ebenso wie durch Kapitalmassnahmen. Eine gute Vorbereitung darf aber nicht zu Nachlässigkeiten führen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass Banken ihre guten Vorbereitungen brauchen werden, nimmt leider zu.

Je länger die Krise, desto höher die Risiken, nicht zuletzt das Kreditausfallrisiko

Ein guter Anfang garantiert kein gutes Ende. Der Finanzsektor ist eng mit anderen Branchen verbunden. Hält die Wirtschaftskrise an, steigen auch die Risiken für Finanzdienstleister, nicht zuletzt im Kreditgeschäft. Bisher haben staatliche Massnahmen den Krisenfolgen entgegengewirkt – einerseits durch automatische Stabilisatoren wie Arbeitslosengeld, über die negative Konsumfolgen mindestens temporär reduziert werden, andererseits durch besondere Massnahmen in der Corona-Krise, wie die Ausweitung der Kurzarbeit, über die Arbeitslosigkeit vermieden werden soll. Die Stabilisierung des Konsums hilft der Nachfrage nach Finanzprodukten, speziell im Retailgeschäft, ebenso wie der Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen von anderen Branchen und damit dem Firmenkundengeschäft von Finanzdienstleistern. Die Corona-Kredite haben ebenfalls stabilisierend gewirkt, und über deren schnelle Vergabe haben sich Banken aktiv an der Krisenbekämpfung beteiligt.

Die staatlichen Massnahmen waren also erfolgreich, sollen und können aber nur temporär sein. Je länger die Wirtschaftskrise anhält, desto mehr Unternehmen werden mangels Erfolgsaussichten aus dem Markt ausscheiden, und die Wirksamkeit der Stützung lässt nach. Umgekehrt steigen die Nebenwirkungen, oft unbemerkt, unter der Oberfläche: Eigentlich unproduktive Unternehmen werden künstlich am Leben gehalten. Je länger die Stützungsmassnahmen andauern, desto grösser wird die Gefahr einer «Zombifizierung» dieser Unternehmen. Dies wiederum ist nicht nur teuer, sondern verhindert den notwendigen Strukturwandel und «Zombieunternehmen» konkurrenzieren produktive Unternehmen, senken deren Unternehmenserfolg und drohen damit die Zombifizierung auszudehnen. Wie weit dieser Effekt in der Schweiz bereits vorangeschritten ist, ist bislang unbekannt.

Seit dem Sommer hat die Intensität der staatlichen Massnahmen nachgelassen bzw. wurde mit dem COVID-19-Gesetz neu geregelt. Neue Corona-Kredite werden nicht mehr vergeben, viele Ausnahmeregelungen bei der Kurzarbeit sind ausgelaufen, ebenso weitergehende Insolvenzregelungen. Andere Massnahmen sollen noch bis Sommer 2021 weiterlaufen, so etwa Entschädigungen für Erwerbsausfälle. Weitere Massnahmen sind in Vorbereitung.

Einfache Antworten auf das Dilemma der Stützungsmassnahmen gibt es nicht und mit der zweiten Pandemiewelle akzentuiert sich das Problem noch weiter. Es muss geholfen werden, aber nicht zu lange, sonst steigen die Nebenwirkungen, wie gesagt oft unbemerkt. Schon jetzt nehmen die Warnsignale unter der Oberfläche zu.

Kurzarbeit hat seit dem Höhepunkt im Frühjahr abgenommen, aber noch im Sommer waren laut letztverfügbaren Zahlen des SECO etwa 300'000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Insgesamt sind im Juli etwa 16 Millionen Arbeitsstunden ausgefallen, das sind etwa dreimal mehr als auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008. Noch immer liegt die eigentliche Arbeitslosigkeit damit höher als die offiziellen Zahlen ausweisen. Diese wiederum sind ebenfalls gestiegen: Die Arbeitslosenquote im Oktober lag bei 3.2%, ein Anstieg um einen Prozentpunkt zum Vorjahr.

Unternehmen setzen weiterhin auf Kurzarbeit, da der Geschäftsgang und die Auftragslage sich ungleichmässig und unvollständig erholt haben. In der aktuellen CFO-Umfrage rechnet eine Mehrheit der Unternehmen erst im dritten Quartal 2021 damit, dass Umsatz-Vorkrisenniveau wieder erreicht zu haben. Einzelne Branchen wie der Tourismus, das Gastgewerbe, Retail oder Automobilzulieferer sind besonders betroffen. So warnt beispielsweise der Creditreform-Chef Raoul Egeli vor einer Konkurswelle ab November.

Die Gefahr einer Überhitzung des Immobilienmarktes nimmt ebenfalls zu – und damit auch die Gefahr eines Rückschlages, der die Tragbarkeit von Hypotheken in Frage stellen könnte, insbesondere wenn die Arbeitslosigkeit weiter zunehmen sollte. Im aktuellen UBS Global Real Estate Bubble Index wird Zürich erstmals zu den sieben internationalen Metropolen mit einer Immobilienblase gezählt. Auch in Genf sind die Preise überhöht. Während das Angebot bei Mietimmobilien zunimmt, ist der Markt für Eigentum in den Boomregionen weitgehend ausgetrocknet.

Aus Bankensicht erhöhen sich damit die Risiken bei Privatkrediten, Unternehmenskrediten sowie Hypothekarkrediten. Diese Risiken sind miteinander verbunden und können sich gegenseitig verstärken. So kann etwa eine Zunahme von Unternehmenskonkursen zu höherer Arbeitslosigkeit führen, was wiederum die Tragfähigkeit von Hypothekarkrediten für die Betroffenen reduziert. Die FINMA zählt in ihrem Risikomonitor 2020 sowohl eine Immobilienmarktkorrektur als auch erstmals Ausfälle bei Unternehmenskrediten (im Ausland) zu den Hauptrisiken. Beide Risiken sind gemäss der FINMA aufgrund der Corona-Krise angestiegen.

Erste Schätzungen zu den Auswirkungen gibt es beispielsweise für die EU. So könnten höhere Kreditausfälle zu einer Verschlechterung der Kernkapitalquote (CET1) der 50 grössten europäischen Banken von 14.4% auf 12.6% in 2021 führen, im Eintreten eines Negativszenarios auf 11.4%. Die aggregierten Kreditverluste könnten sich bis 2022 mehr als verdoppeln, bei einem zweiten harten Lockdown mehr als vervierfachen; die Ausfallquote von unter vier auf bis zu 10% steigen.

Erste Reaktionen der Banken

Betrachtet man die jüngste Entwicklung der getätigten Rückstellungen für Kreditausfälle, so spiegelt diese sowohl Erkenntnis als auch Besorgnis der Banken über die durch die Pandemie erhöhten Kreditausfallrisiken wider.

So haben beispielsweise die beiden Schweizer Grossbanken ihre Rückstellungen im ersten Quartal 2020 um 600%, respektive 775% im Vergleich zum Vorjahresquartal erhöht. Diese Zahlen deuten klar darauf hin, dass Schweizer Banken die Möglichkeit drohender Kreditausfälle erkannt haben und auch ernst zu nehmen scheinen.

Die gesonderte Betrachtung der nominalen Rückstellungserhöhungen allein jedoch liefert nur ein unvollständiges Bild. In Hinblick auf die Krisenfestigkeit der Banken ist mitunter entscheidend, in welchem Verhältnis die getätigten Rückstellungen zu den ausstehenden Kreditforderungssummen stehen. Während sich hier für die Schweiz zwar ein deutlicher Aufwärtstrend abgezeichnet hat, zeigt sich aber auch, dass die getätigten Rückstellungen der beiden Schweizer Grossbanken über das erste Halbjahr 2020 hinweg im Schnitt bei lediglich 0.11% der ausstehenden Forderungssumme lagen. Markant höher lagen diese Werte im Vergleich hierzu bei Europäischen Grossbanken, die im gleichen Zeitraum durchschnittlich Rückstellungen in Höhe von 0.34% der ausstehenden Forderungssumme gebildet hatten.

Eine weitere Gegenüberstellung mit den USA offenbart dabei ein bekanntes Muster: Im Vergleich zu ihren Wettbewerbern aus den USA reagieren Schweizer und Europäische Grossbanken tendenziell weit weniger konservativ auf Krisen und damit verbundene mögliche Kreditausfälle. So wiesen US-Grossbanken im ersten Halbjahr 2020 neu gebildete Rückstellungen von im Schnitt 0.79% ihrer jeweils ausstehenden Forderungssumme auf. Die getätigten Rückstellungen für Kreditausfälle der US-Banken waren somit mehr als doppelt so hoch wie bei ihren europäischen Pendants – im Vergleich zu den beiden Schweizer Grossbanken lagen sie sogar um den Faktor 7 höher.

Abbildung 3. Internationaler Vergleich gebildeter Rückstellungen für Kreditausfälle

Abbildung 3 zeigt im historischen Verlauf aber ebenfalls anschaulich auf, dass die beiden Schweizer Grossbanken im internationalen Vergleich deutlich konservativere Kreditbücher führten als ihre europäischen und US-amerikanischen Wettbewerber. Es bleibt daher abzuwarten, ob die vergleichsweise niedrigen, neu gebildeten Rückstellungen aus dem ersten Halbjahr 2020 die zu erwartenden Kreditausfälle vollends abfedern können.

Zudem zeigt sich in Abbildung 3, dass Wettbewerber aller drei betrachteten Regionen ihre Rückstellungen im Laufe des dritten Quartals dieses Jahres bereits wieder auf Vorkrisenniveau reduziert haben. Aus pandemischer Sicht war dies sicherlich den vergleichsweise positiv verlaufenden Sommermonaten geschuldet – auch wussten die jeweiligen Volkswirtschaften im gleichen Zeitraum mit überraschend guten Zahlen der Erholung aufzuwarten.

Sowohl die pandemische als auch die volkswirtschaftliche Entwicklung hat sich aber in der westlichen Hemisphäre über die letzten beiden Monate wiederum eingetrübt – wie bereits weiter oben erwähnt, gehen nicht wenige Marktbeobachter von einer einsetzenden Konkurswelle ab November aus. Ein Impfstoff wird nicht vor nächstem Jahr flächendeckend zur Anwendung kommen. Erste, wenn auch für den Moment noch vereinzelte, Kreditausfälle sind am Schweizer Markt bereits beobachtbar.

Banken müssen krisenfest genug sein

Somit bleibt abschliessend festzuhalten: Trotz der weiterhin bestehenden, grossen Prognoseunsicherheiten und trotz der im Durchschnitt guten Krisenvorbereitung sollten Banken ihre Resistenz weiter ausbauen. Wichtig ist für Banken in der Schweiz, ein entsprechendes Monitoring der Kapitaldeckung zu optimieren. Wie die Deloitte Studie «A stress event like no other» ausführt, sollten aktuelle Prioritäten unter anderem folgendes umfassen:

  • Strategieplanung im Fall von sich verschlechternder Kapitalausstattung
  • Massnahmen zur Erhöhung der risikogewichteten Kapitalausstattung
  • Verbesserung der Business- und Technologieplattformen, um volatilere und herausfordernde Marktumstände möglichst reibungslos bewältigen zu können
  • Transformationsprogramme zur langfristigen Erhöhung der Profitabilität und zum Ausnutzen von Wachstumsmöglichkeiten nach der Krise
  • Regelmässiger Austausch mit Regulierungsbehörden und Marktteilnehmern

Dazu gehören sollte auch eine Analyse der Robustheit des bestehenden Kreditportfolios, nicht zuletzt unter Berücksichtigung negativer Szenarien wie einer anhaltenden Wirtschaftskrise und einer abnehmenden Wirksamkeit der staatlichen Krisenmassnahmen. Mittel- und langfristig stellt sich auch die Frage nach der Preisgestaltung von Krediten. Realistische Kreditrisiken sollten bei der Preisgestaltung berücksichtigt werden und Kredite nicht überwiegend an Marktpreisen ausgerichtet sein. Auch wenn es nicht zu grossflächigen Kreditausfällen kommt, was zu hoffen ist, dürfte ein schwierigeres wirtschaftliches Umfeld ein Schlaglicht auf die angemessene Einpreisung von Kreditausfällen werfen und demonstrieren, wie wichtig diese ist.

Nicht nur aus Eigeninteresse gilt es für Banken, die Vorkehrungen gegen eine Kredit- und Finanzkrise zu verstärken. Wie die Finanzkrise 2008 gezeigt hat, greifen Finanzkrisen auf die Gesamtwirtschaft über, kosten Steuergelder, erhöhen die Arbeitslosigkeit, riskieren Kreditknappheit und Investitionshemmnisse. Gerade jetzt in der Corona-Krise muss eine erneute Finanzkrise vermieden werden. Banken sollten mithelfen, die Krise zu bekämpfen, ähnlich wie bei der Vergabe der Corona-Kredite. Dazu gehört auch, krisenresistent genug zu sein, um einem möglichen Anstieg der Kreditausfälle begegnen zu können.

Vielen Dank an Marco Kaeser für seinen wertvollen Input für diesen Artikel. Bitte kontaktieren Sie die Autoren für Fragen rund um das Thema.

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