Perspektiven

Etwas Grösseres als das Unternehmen selbst

Viele Familienunternehmen eint über Generationen hinweg ein gemeinsames Ziel oder ein starker Wertekanon. Doch spätestens in der dritten Generation sind sie oft mit einem existentiellen Problem konfrontiert: Wie gelingt eine erfolgreiche Nachfolge innerhalb der Familie, wenn die Jüngeren eigene Wege gehen wollen? Welche Aufgaben haben sie, und wie kann man sie auf die Ziele des Familienunternehmens verpflichten?

Vor mehr als 20 Jahren veröffentlichte der Schweizer Luxusuhrenfabrikant Patek-Philippe eine bahnbrechende Printanzeige mit dem Slogan: „Du wirst eine Patek Philippe nie wirklich besitzen. Du bewahrst sie nur auf für die nächste Generation“. Die ikonische Werbung machte deutlich, dass es Dinge gibt, die den monetären Wert einer Luxusuhr übersteigen, Dinge, die grösser und wichtiger sind als man selbst. Der Uhrenhersteller – selbst ein Familienunternehmen - hatte damit auch gleichzeitig beschrieben, wie Unternehmerdynastien es schaffen können, ihre Firmen über Generationen hinweg stabil und erfolgreich in Familienbesitz zu halten. Sie brauchen, was auf English gemeinhin als „purpose“ bezeichnet wird, auf Deutsch aber unterschiedlich übersetzt werden kann: Es kann ein Ziel oder Zweck, ein Sinn oder Grund sein, der das ganze Unternehmen und die Familie dahinter über Jahrhunderte hinweg zusammenhält, auf jeden Fall etwas Grösseres und Wichtigeres als der Profit, die Familie und das Unternehmen selbst.

Dieser schon fast philosophische Sinn ist sicherlich auch das Erfolgsrezept des ältesten unabhängigen Familienunternehmens der Wirtschaftsgeschichte, dem japanischen Hotel „Hoshi Ryokan“: Die Identität der Familie und die des Geschäftes sind seit mittlerweile mehr als 1.300 Jahren untrennbar miteinander verbunden. Und seit 50 Generationen funktioniert der Übergang von einer Generation zur nächsten - durch das Alle einende Bekenntnis zum Vermächtnis der Familie und der Kontinuität des Familienunternehmens.1

In asiatischen Gesellschaften mag dies eher vorstellbar sein als in den westlichen. Dort ist die Familie besonders wichtig, und für Familienmitglieder bestehen striktere Regeln. Deren Opferbereitschaft ist hoch, denn ausserhalb der Familie droht der soziale Tod. Zumindest war das bisher so. Globalisierung und Digitalisierung beginnen, diese alten gesellschaftlichen Strukturen aufzulösen. Viele potenzielle Nachfolger in asiatischen Familienunternehmen gehen zum Studieren ins Ausland und kommen mit neuen Prioritäten und Perspektiven nach Hause – wenn überhaupt. Vielleicht gründen sie ihre eigene Firma und lösen sich ganz von der Familie. Der Kronprinz kommt dadurch oft abhanden.

Neue Wege, eigene Ideen

Dies traf bisher nur auf westliche Familienunternehmen zu, wo es eher normal war, dass die folgenden Generationen neue Wege abseits des Familienunternehmens einschlagen, mit eigenen Ideen ein unabhängiges Business aufbauen, und eigene Familien gründen. Doch was für asiatische Familienunternehmen bis heute Pflicht und Ehrensache der Familienmitglieder war, wird auch von westlichen Unternehmen in Familienbesitz wiederentdeckt: Sie wandeln ihre Aktiengesellschaften zurück in unabhängige Familienbetriebe, ohne Druck der Shareholder und kurzfristiges Profitdenken. Die Entscheidungswege werden wieder kürzer – und selbstbestimmter. Man kann auf der Grundlage starker Eigenkapitalquoten wieder langfristige Perspektiven über Generationen hinweg entwickeln, statt kurzsichtig von einer Quartalsbilanz zur nächsten zu agieren.

An die Stelle des shareholder value tritt wieder die Business-Philosophie der Familie – der purpose, das Ziel, das über den reinen Profit hinausgeht: Eine Tradition oder einen Wertekanon beizubehalten, ein Erbe zu bewahren, sich dynamisch und innovativ weiterzuentwickeln wie die EMS-Chemie, oder sich erstklassigem Service oder Handwerk zu verschreiben wie Chopard und Caran d´Ache. Unternehmerfamilien, die schon an der Spitze der Wirtschaftspyramide angekommen sind wie die Familie Roche, sehen es als Ihre Pflicht, die Geschicke einer Stadt oder Region durch Mäzenentum positiv zu beeinflussen. Viele erfolgreiche Schweizer Familienunternehmen eint ein bestimmter Anspruch an ihre Produkte: Hier steht oft die Verpflichtung auf Präzision und Spitzentechnologie im Zentrum der Familienphilosophie.

Fehlt ein Nachfolger, fehlt oft das gemeinsame Ziel

Wie kann man nun die jüngeren Generationen auf diesen Wertekanon verpflichten und eine geregelte Nachfolge organisieren? Hier hakt es oft. Untersuchungen aus den USA zeigen, dass 30 Prozent aller Familienunternehmen schon nach der zweiten Generation diesem schwierigen Problem gegenüberstehen. Bis zur dritten Generation bleiben nur gerade zehn Prozent unter familieninterner Führung. Die Zahlen in der Schweiz sind ähnlich.2 Einer der wichtigsten Gründe dafür: das Fehlen eines gemeinsamen Ziels.

Welche speziellen Rollen und Aufgaben kommen also den jüngeren Generationen in Familienunternehmen zu? Manche Unternehmen haben einzelne Unternehmensbereiche den jungen Generationen als Spielfelder oder Plätze zum Experimentieren eingerichtet oder schicken sie auf innovation trips. Diese kommen mit Innovationen, neuen Technologien und zeitgemässen Managementformen zurück. Carole Hübscher übernahm Caran d´Áche in vierter Generation erst, nachdem sie zuvor u.a. als Marketing-Managerin bei Calvin Klein bewiesen hatte, dass sie auch das eigene Familienunternehmen in die Zukunft führen kann: 2012 löste sie als Präsidentin ihren Vater ab.

Auch Magdalena Martullo-Blocher, Christoph Blochers älteste Tochter, die jetzt die Ems-Chemie führt, hat zuerst im Ausland Erfahrungen in diversen Unternehmen gesammelt, unter anderem zwei Jahre lang bei Johnson & Johnson, bevor sie in die Schweiz zurückkehrte und zunächst bei Rivella als Marketingmanagerin antrat.

Bei der Swatch Group zeigte die Familie Hayek nach dem überraschenden Tod von Nicolas Hayek, dass die nächste Generation bei entsprechender Vorbereitung und Training der Nachfolger schnell in das Unternehmen einsteigen können. Sohn Nick und Tochter Nayla Hayek schafften es sogar, das Produktportfolio um einige Innovationen zu erweitern.

Familienparlament als Forum des Austauschs

Ein geordneter Generationenwechsel gelingt nur durch offene Kommunikation: Familien müssen eine Plattform schaffen, eine Art Familienparlament, das eine stetige Diskussion über den Sinn und Zweck des Familienunternehmens erlaubt, wo persönliche Neigungen und Interessen mit denen des Familienunternehmens abgestimmt werden, in schwierigen Fällen auch mit einem externen Mediator.3

Ungefähr 88 Prozent aller Firmen hierzulande sind familiengeführt. Laut Hochrechnungen wird nach fünf Generationen gerade mal ein Prozent der Schweizer Familienunternehmen noch immer einen eigenen Spross an der Führungsspitze haben. Höchste Zeit also, dass die junge Generation die Schweizer Familienunternehmen neu entdeckt. Immerhin sind die Überlebenschancen eines bestehenden Betriebs rund zehnmal so hoch wie jene eines neu gegründeten.4

1. Deloitte Global Family Business Survey 2019, Deloitte, June 2019, https://www2.deloitte.com/content/ dam/insights/us/articles/r7-12011_long-term-goals-meet-short-term-drive-family-business-survey2019/DI_Long-term-goals-meet-short-term-drive.pdf.

2. http://www.punktmagazin.ch/wirtschaftliches/nachfolge-gesucht/

3. Global perspectives for family businesses: Plans, priorities, and expectations, Deloitte, March 2018, https://www2.deloitte.com/global/en/pages/strategy/articles/global-perspectives-for-family-businesses.html.

4. http://www.punktmagazin.ch/wirtschaftliches/nachfolge-gesucht/
 

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