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ESG-Kriterien: Pflicht oder Kür für EbAV?
Neunmal tauchen sie in der Bundestagsdrucksache 19/4673, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EbAV-II-Richtlinie, auf: die ökologischen sozialen und die Unternehmensführung betreffenden Belange oder Faktoren, kurz: ESG-Kriterien (ESG = environmental, social and governance-criteria).
In der Kapitalanlage institutioneller Anleger wird den ESG–Kriterien eine immer größere Aufmerksamkeit zuteil. Sind aber diese ESG–Kriterien für die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) verpflichtend oder nicht?
Wie so häufig hilft auch hier ein Blick in das Gesetz. In der Kapitalanlage sind diese Kriterien klar nicht verpflichtend. § 234h (3) VAG ist eine Kannvorschrift:
„Bei ihren Anlageentscheidungen können Pensionskassen im Rahmen des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht den möglichen langfristigen Auswirkungen auf ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Belange Rechnung tragen.“
Bei den ergänzenden allgemeinen Vorschriften zu Besonderheiten in der Geschäftsorganisation (§ 234a VAG) heißt es: „Die Geschäftsorganisation ist darauf abzustimmen, ob und auf welche Weise ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Faktoren in Bezug auf die Vermögenswerte bei Anlageentscheidung berücksichtigt werden.“ In der dazugehörigen Gesetzesbegründung wird nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine Verpflichtung besteht, „ESG Faktoren in der Kapitalanlage zu berücksichtigen.“ EbAV müssen den Umgang mit ESG-Faktoren aber in jedem Fall transparent machen, beispielsweise im Rahmen der Erklärung zu den Grundsätzen der Anlagepolitik nach § 234i VAG ...“.
Exkurs:
Die Grundsätze der Anlagepolitik müssen nunmehr veröffentlicht werden. Neben der Aufsichtsbehörde ist auch die Öffentlichkeit Adressat. Zwei Versionen, eine für die Öffentlichkeit und eine für die Aufsicht, sind nicht vorgesehen.
Im Zusammenhang mit den Anforderungen an das Risikomanagement wird in § 234c (1) Satz 1 VAG formuliert: „Das Risikomanagementsystem einer Pensionskasse muss … auch ökologische und soziale Risiken sowie die Unternehmensführung betreffende Risiken abdecken, soweit diese Risiken mit dem Anlageportfolio und dessen Verwaltung in Verbindung stehen.“ Dies ist erst im Zusammenspiel mit den nachfolgenden Ausführungen aus der Gesetzesbegründung interpretierbar: „Diese Anforderung gilt für alle Pensionskassen; denn die genannten Risiken für das Anlageportfolio und dessen Verwaltung können auch dann bestehen, wenn in den Anlageentscheidungen ESG-Kriterien nicht berücksichtigt werden.“ Angesprochen werden Wertminderungsrisiken, die beispielsweise bei Investitionen in nicht nachhaltige Anlagen entstehen können (sogenannte „stranded assets“).
Auch bei der von den EbAV durchzuführenden eigenen Risikobeurteilung, dem own risk assessment (ORA), wird auf die ESG-Belange eingegangen. Für die EBAV, die bei ihren Anlageentscheidungen ESG-Kriterien berücksichtigen, besteht die Verpflichtung, „die neu hinzugekommenen und die voraussichtlich hinzukommenden Risiken zu beurteilen, die dadurch bedingt sind, dass die Pensionskasse ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Faktoren bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigt.“ In diese Beurteilung „sind unter anderem einzubeziehen Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der Verwendung von Ressourcen und der Umwelt sowie soziale Risiken …“ Für die Durchführung dieser Risikobeurteilung fordert der Gesetzgeber, dass die EbAV entsprechende Methoden zu verwenden hat, anhand derer die Risiken erkannt und beurteilt werden können. Insbesondere müssen die im vorletzten Satz genannten Risiken erfasst werden. Die Methoden zur Erfassung der Risiken sind in der eigenen Risikobeurteilung darzustellen. Dabei ist zu beachten, dass die eigene Risikobeurteilung in die strategischen Entscheidungen der Pensionskasse einzufließen hat.
Fest steht: EbAV müssen im Risikomanagement ESG-Kriterien würdigen
Es bleibt festzuhalten, dass für EbAV keine Verpflichtung zur Anwendung von ESG-Kriterien bei den Anlageentscheidungen besteht.
Allerdings muss die Beurteilung von ESG-Kriterien in das Risikomanagement einfließen.
Die für die Risikobeurteilung entwickelten Methoden müssen auch in der Lage sein, die in der Anlageentscheidung berücksichtigten ESG-Risiken zu umfassen.
Dabei gilt das Proportionalitätsprinzip.
Exkurs:
Auch jenseits der EbAV kommt den ESG-Kriterien eine (immer stärker werdende) Bedeutung zu. Beispielhaft sei hier der folgende Auszug aus drei Erwägungsgründen der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über ein Paneuropäisches Privates Pensionsprodukt (PEPP-Verordnung) angeführt:
Erwägungsgrund 47:
„… Im Rahmen des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht sollte auch explizit berücksichtigt werden, welche Rolle ESG-Kriterien im Rahmen des Anlageprozesses spielen.“
Erwägungsgrund 50:
„… Die PEPP-Anbieter sollten dazu angehalten werden, diese Faktoren bei Anlageentscheidungen und in ihrem Risikomanagementsystem zu berücksichtigen, um die Entstehung „verlorener Vermögenswerte“ (stranded assets) zu vermeiden. Die Informationen über ESG-Kriterien sollten der EIOPA, den zuständigen Behörden und den PEPP-Sparern zur Verfügung gestellt werden.“
Erwägungsgrund 51:
„… Bei Anlagen in private Altersvorsorgeprodukte handelt es sich um langfristige Investitionen, weswegen besonders auf die langfristigen Auswirkungen der Portfoliostruktur geachtet werden sollte. Dabei sollten insbesondere ESG-Kriterien berücksichtigt werden. PEPP-Ersparnisse sollten unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien, wie sie in den Klima- und Nachhaltigkeitszielen der Union gemäß dem Pariser Klimaschutzübereinkommen (Übereinkommen von Paris), in den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und in den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte niedergelegt sind, angelegt werden.“