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Der richtige Implementierungsansatz für HR Cloud-Software

„One size fits all“ vs. Individuelle Konfiguration

Nachdem HR Software jahrelang implementiert und konfiguriert wurde, um allen noch so speziellen Bedürfnisse der Organisation zu genügen, propagieren die Anbieter von HR Cloud-Software seit einiger Zeit vorgefertigte Lösungen, die wie T-Shirts nach Größe gekauft bzw. gemietet werden können. Ähnlich wie beim T-Shirt verhält es sich auch mit der Cloud-Software: Haben Sie Glück, entsprechen Ihre Körpermaße den Vorstellungen des Kunden und Sie können getrost die Mode von der Stange kaufen. Doch bei Abweichungen vom Idealmaß könnte es an der einen oder anderen Stelle zwicken. Erfahren Sie hier, welche Ansätze und Strategien Unternehmen bei der HR Cloud Implementierung berücksichtigen sollten.

Die aktuelle Human Capital Trendstudie zeigt auf, dass nicht alle HR Cloud Implementierungen das gewünschte Ergebnis bringen. Strukturelle Fehler, wie zum Beispiel die Vernachlässigung der Employee Experience oder ein Prozessdesign ohne gesamtheitliche Betrachtung inklusive systemferner Prozesse (End-to-End), lassen sich dabei nicht so einfach bereinigen. Für Bereiche, in denen die implementierte Technologie nicht ausreicht, gibt es aber sehr wohl Lösungen. Einerseits bieten die großen Cloud Vendoren Optionen zur individuellen Erweiterung im Rahmen der Cloud-Lösung selbst, andererseits war die Vielfalt spezieller „Best of Breed“ Anwendungen nie umfangreicher als heute.

Also doch wieder zurück zum alten Ansatz und die Software so konfigurieren und an die eigenen Bedürfnisse anpassen, bis sie passt? Eher nicht. Die angepassten und teilweise umprogrammierten Lösungen der vergangenen Jahre verschlangen nicht nur Unmengen an Ressourcen, Zeit und Nerven. Sie wurden im Lauf der Zeit immer unflexibler und ihre Wartung immer aufwendiger und teurer. Nach der Wahl der für Ihr Unternehmen passenden HR Software spielt somit insbesondere auch die Wahl der passenden Implementierungsmethodik eine entscheidende Rolle.

Die Lösung findet sich in der Kombination klassischer („Wasserfall“) und agiler Methodenelemente sowie des geeigneten Scopings und der Definition entsprechender Design Kriterien. Über HR Prozesse und die dazugehörige Implementierung von HR (Cloud) Systemen existiert ein umfassendes Wissen. Dieses Wissen ist zu einem großen Teil öffentlich verfügbar. In relevanten Publikationen, wie in der Beilage zu einer der letzten Ausgaben des Harvard Business Manager Magazins, finden sich immer wieder Artikel oder ganze Sonderveröffentlichungen zum Thema. Ebenso können interessierte Unternehmen auf dem Markt eine Vielzahl von anderen Unternehmen finden, die gerne Auskunft über gemachte Erfahrungen geben. Für die Kunden der großen Anbieter existieren weiterhin Gruppierungen, die exakt für diesen Austausch ins Leben gerufen wurden, wie zum Beispiel die Global User Group der SAP AG.

Aus diesem Wissen, den gemachten Erfahrungen und den daraus gezogenen Lehren haben sich erfolgsversprechende Ansätze herausgebildet. Statt sich Gedanken zu machen, wie mögliche Zukunftsprozesse in einer neuen HR Cloud Lösung umgesetzt werden können, beginnt man ein bestehendes, auf Erfahrungswerten basiertes Prozessmodell auszutesten. Als Basis hierfür bieten sich so genannte „Best Practice“ oder „Leading Practice“ Referenz-Prozesse an. Diese werden auf die eigenen relevanten Zielgruppen sowie deren tägliche Betriebsabläufe umgesetzt. Hier spielen Design Thinking Ansätze eine große Rolle. Vorhandene Referenzprozesse und -modelle bieten darüber hinaus die Möglichkeit, sehr schnell Prototypen für die angepeilte HR (Cloud) Implementierung zu realisieren. Diese werden so lange ausgetestet und verfeinert, bis sie auf die Unternehmensbelange zugeschnitten sind. In iterativen Testzyklen wird die Konfiguration der Lösung so lange auf Herz und Nieren geprüft, bis sie schließlich abgenommen ist.

Heißt das also, Standardprozesse auf individuelle Unternehmensbelange zurechtzuschneiden? Bedeutet das nicht im Umkehrschluss die Rückkehr zu ineffektivem und teurem Customizing (Zurechtbiegen) der eingekauften Lösung? Genau das wollte man mit dem Einkauf einer neuen, standardisierten Lösung verhindern. Das T-Shirt, das ich mir in der Größe L gekauft habe, möchte ich auch nicht zum Schneider bringen und an meine Größe anpassen lassen.
Korrekt und unter Berücksichtigung essentieller Designprinzipien umgesetzt, muss die Software nicht zurechtgebogen werden. Die eingekaufte Software kann sehr wohl angepasst werden, so dass sie auch zur jeweiligen Organisation passt. Ziel ist es dabei, die verwendeten HR Cloud Systeme und deren Systemlandschaft harmonisiert und standardisiert darzustellen sowie dabei nicht den Kunden aus dem Fokus zu verlieren. Eine solche Landschaft folgt einer klar definierten Prozesslandschaft, einer sauberen Architektur und erfüllt die Anforderungen an eine Clean Cloud.

 

Prinzipien der Clean Cloud

Werden die Designprinzipien klar formuliert und bei der Implementierung berücksichtigt, ist man einer auf die Employee Experience fokussierten, performanten und wartungstoleranten HR Cloud, der Clean Cloud, schon sehr nahe. Eine HR Cloud Implementierung gilt dann als Clean Cloud, wenn sie den folgenden Designprinzipien genügt:

  • Intuitiv
    Alle Funktionen lassen sich intuitiv bedienen, sind einfach zu erkennen und folgen keinen langwierigen, verschachtelten Prozessen.
  • Einfach
    Zusammen mit intuitiven Prozessen sollen die Abläufe so einfach wie möglich designt werden. So sind zum Beispiel mehrstufige Genehmigungs-Workflows oder komplexe Ausnahmeregelungen zu eliminieren.
  • Vertrauenswürdig
    Alle Gremien, auch die Mitbestimmung, müssen frühzeitig in das Design eingebunden werden. Alle HR-Kunden müssen die Relevanz ihrer Eingaben kennen und in das System als solches Vertrauen setzen. 
  • Zukunftsfähig
    Die eingeführte HR Cloud soll nicht nur akute Bedürfnisse decken, sondern zukunftsgerichtet sein und als Basis für weitere Verbesserungen dienen.
  • Transparent
    Nicht zuletzt mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wurden immer wieder Diskussionen über die Verwendung der Daten laut. Vollständige Transparenz über die gespeicherten Personaldaten und deren Verwendung ist notwendig. Abläufe und Regeln sind bekannt und greifbar. 
  • Standardisiert
    Standards helfen, unternehmensweite und globale Prozesse sowie Strukturen zu implementieren. Abweichungen sollen nur zugelassen werden, wenn gesetzliche Regelungen oder notwendige betriebliche Regularien dies erfordern.

Die oben genannten Prinzipien klingen einleuchtend, sind aber in der betrieblichen Praxis nicht immer so einfach umzusetzen. Gerade Abläufe wie etwa Genehmigungsschritte, die sich über lange Jahre etabliert haben, sind nicht von heute auf morgen aufzulösen.

Statt somit zu versuchen, alle Anforderungen in eine Standardlösung zu pressen, kann es sinnvoll sein, teils auf standardisierte und teils auf individuelle Lösungen zurückzugreifen. Prozesse und Systeme, die einen Wettbewerbsvorteil versprechen, können als separate Lösung (d.h. Best-of-Breed) implementiert und mit einer standardisierten HR Cloud Lösung integriert werden. Kann beispielsweise das raffinierte Employer Branding nicht mit der Recruiting-Lösung innerhalb der standardisierten HR Cloud Suite Lösung umgesetzt werden, könnte ein Drittsystem, das mit der HR Cloud verbunden ist, die Lösung bringen. Auch althergebrachten Learning Management Systemen könnte so der Weg in ein neues Zeitalter geebnet werden.

Hierbei sollte aber immer eine zugrundeliegende betriebswichtige Anforderung vorliegen. Eine betriebswichtige Anforderung kann hier zum Beispiel sein, dass ein implementiertes Bewerberportal nicht im Markt angenommen wird oder damit nicht die richtigen Bewerber gefunden werden. Dieser klar Business Case getriebene und in der Implementierungsmethodik verankerte Ansatz zur Bewertung spezieller Anforderungen ist für viele Unternehmen insbesondere im deutschen Markt eine adäquate Herangehensweise.

Hier bleibt genau abzuwägen, was sinnvoll ist – und was nicht. Sonst findet man sich schnell wieder einer wild gewachsenen Systemlandschaft gegenüber. Diese sollte mit der Einführung einer standardisierten HR Cloud Lösung eigentlich abgeschafft werden. Auch ist es für den Erfolg der gesamten Lösung wichtig, Daten, Systeme und Prozesse integrativ zu betrachten. Dabei stellen konsistente und aktuelle Personalstamm- und Organisationsdaten die Basis aller Prozesse dar.

In einer kompletten HR Cloud Suite-Lösung können diese direkt darin gepflegt werden. Best-of-Breed Systeme dagegen benötigen in der Regel immer Daten aus den zugrundeliegenden Stammdatensystemen. Umgekehrt erzeugen sie aber auch Informationen, die für die zugrundeliegenden Systeme wichtig sein können. Datenströme und Integrationspfade können bei der Nutzung mehrerer, verknüpfter Systeme komplex und unübersichtlich werden.

Auch die Vielfalt der Systeme kann beim Nutzer selbst Verwirrung stiften und für Unmut sorgen. Wenn nicht mehr klar ist, in welchem System welcher Prozess läuft und welche Information hinterlegt oder gefunden werden kann, liegt mindestens ein architektonischer Fehler vor.

 

HR Cloud Implementierung: Was funktioniert heute schon, was bringt die Zukunft?

Umfassende Implementierungslösungen von etablierten Implementierungspartnern wie Deloitte bieten schon heute Ansätze, solche Szenarien umzusetzen. Hier wird der Fokus auf mehr als nur die technische Realisierung und Konfiguration der Systeme gelegt. Mit Hilfe von Leading Practice Modellen werden Rahmenbedingungen geschaffen, die nicht nur Projekte beschleunigen und eine qualitätsgesicherte Umsetzung gewährleisten. Übergreifende Prozess- und Systemarchitekturen schaffen dabei ein Umfeld, in dem sowohl Standard- als auch Best-of-Breed Systeme ideal miteinander agieren.

Anstatt zu versuchen, althergebrachte, über die Jahre hinweg gewachsene – und vielleicht auch gewucherte – Prozesse 1:1 in eine neue Lösung zu übersetzen, sollte besser eine zukunftssichere, harmonisierte Lösung angestrebt werden. Prozessdefinition und Implementierung können so direkt und nahtlos in das vorhanden HR Operating Modell und die bestehende Prozesslandschaft integriert werden.

Neuere Untersuchungen wie die genannte Human Capital Trendstudie von Deloitte zeigen, dass wir zukünftig weniger über die Systeme als solche diskutieren werden. Vielmehr wird die Haptik und die Art, wie wir (HR) Systeme nutzen, in eine allumfassende Employee Experience einzubauen sein.

 

Stefan Kaiser
Senior Manager - Human Capital
stkaiser@deloitte.de
+49 (0)151 5800 2571