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Aktuelle Rechtsprechung zur betrieblichen Altersversorgung 1/2024

Unser Frühjahr 2024-Client Alert zur aktuellen Rechtsprechung behandelt die Urteile (1) des BAG vom 10.10.2023 (3 AZR 250/23) und 21.11.2023 (3 AZR 14/23) zur Abhängigkeit von Leistungen der betrieblichen Invalidenrente von der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, (2) des BAG vom 10.10.2023 (3 AZR 312/22) zur ruhegeldfähigen Beschäftigungszeit, (3) des LAG Hamm vom 27.09.2023 (4 Sa 163/22) zur Ablösung von Versorgungsordnungen und (4) des LAG Niedersachsen vom 24.04.2023 (15 Sa 125/22) zur Einstandspflicht des Arbeitgebers für bAV-Leistungen trotz Verjährung gegenüber dem Versorgungsträger.

1. Die Leistung einer betrieblichen Invaliditätsrente darf von rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht werden (BAG Urt. v. 10.10.2023, 3 AZR 250/22, und v. 21.11.2023, 3 AZR 14/23)

Das BAG hatte in seinen Urteilen vom 10.10.2023 (3 AZR 250/22) und vom 21.11.2023 (3 AZR 14/23) Gelegenheit zu erkennen, dass die in einer Gesamtzusage (3 AZR 250/22) bzw. in einer Betriebsvereinbarung (3 AZR 14/23) für die Gewährung einer Invaliditätsrente bestimmte Voraussetzung der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam ist.

Die Parteien stritten jeweils um den Anspruch des Klägers auf Zahlung einer betrieblichen Invaliditätsversorgung vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In dem der Entscheidung 3 AZR 250/22 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die beklagte Arbeitgeberin dem klagenden Arbeitnehmer in einer Gesamtzusage (ZVO 1981) unter anderem Invaliditätsrentenleistungen zugesagt, wobei die ZVO 1981 als Voraussetzung für die Leistungsgewährung unter anderem den Bezug der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente sowie die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestimmte. Dem Kläger wurde mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) vom 06.01.2021 eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente für den Zeitraum vom 01.11.2020 bis zum 31.08.2022 bewilligt. Er machte daraufhin gegenüber der Beklagten die Gewährung der Invaliditätsleistungen aus der ZVO 1981 geltend, den die Beklagte mit Schreiben vom 15.03.2021 unter Verweis auf die bisher nicht erfolgte rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ablehnte. Der Kläger kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis am 20.08.2021 fristgemäß zum 31.03.2022. Die Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin Invalidenrentenleistungen ab dem 01.04.2022. Der Kläger machte mit seiner Klage Invaliditätsrentenleistungen auch für den Zeitraum vom 01.02.2021 bis zum 31.03.2022 geltend.

In dem der Entscheidung 3 AZR 14/23 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der beklagte Arbeitgeber die Invaliditätsrentenleistungen in einer Betriebsvereinbarung (VR 1979) zugesagt, die mit der ZVO 1981 identische Voraussetzungen für den Invaliditätsrentenbezug vorsah. Dem klagenden Arbeitnehmer wurde mit Bescheid der DRV Bund vom 09.08.2021 rückwirkend ab dem 01.02.2020 eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente zugesagt, er machte gegenüber dem Beklagten die Invaliditätsrentenleistungen mit Wirkung ab dem 07.09.2021 geltend, ohne das Arbeitsverhältnis beendet zu haben.

Das BAG wies jeweils die Klage ab. Es erachtete die Bestimmung der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung für die Gewährung der Invaliditätsrentenleistungen anhand des jeweiligen inhaltlichen Prüfungsmaßstabs (§ 75 BetrVG für die ZVO 1981 als Betriebsvereinbarung und § 307 BGB für die VR 1979 als AGB-kontrollfähige Gesamtzusage) als wirksam. Das BAG stellte zunächst – in Fortschreibung seiner Rechtsprechung – klar, dass sich der Begriff der Invalidität bei fehlender gesonderter Definition in der bAV-Zusage nach den allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Gegebenheiten bestimmt. Bei der Beurteilung der materiellen Wirksamkeit der Voraussetzung des beendeten Arbeitsverhältnisses für die Gewährung der Invalidenleistungen seien im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass auf Seiten des die Versorgung zusagenden Arbeitgebers die berechtigten Interessen bestehen würden, Doppelleistungen an den Arbeitnehmer zu vermeiden und Planungssicherheit für den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers zu gewährleisten, die durch die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses erheblich erhöht werde. Auf der anderen Seite habe der Versorgungsberechtigte ein berechtigtes Interesse daran, autonom zu entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis beibehalten oder aufgegeben werden soll. Dieses Interesse des Arbeitnehmers sei gewahrt, da dieser mit Bewilligung der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente alle relevanten Umstände (insbesondere seine gesundheitliche Situation, die Höhe der gesetzlichen Erwerbsminderungsrentenleistungen) kenne, sodass er auf dieser Grundlage entscheiden könne, ob und wie lange er am Arbeitsverhältnis festhalten möchte. Sofern der Arbeitnehmer den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wünsche, müsse er im Gegenzug hinnehmen, dass in dieser Zeit kein Anspruch auf Zahlung des Ruhegeldes bestehe. Damit seien die widerstreitenden Interessen zumindest gleichgewichtig.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidungen des BAG schaffen für Arbeitgeber Rechtssicherheit für die inhaltliche Ausgestaltung von Invaliditätsleistungen in bAV-Zusagen. Sie bestätigen die geläufige Gestaltungspraxis – Arbeitgeber können bzw. sollten spätestens nach diesen Entscheidungen die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung für die Gewährung der relevanten Invaliditätsleistungen in der bAV-Zusage verankern.

2. Berücksichtigungsfähige ruhegeldfähige Zeiten in einer bAV-Zusage (BAG Urt. v. 10.10.2023, 3 AZR 312/22)

In seiner Entscheidung vom 10.10.2023 (3 AZR 312/22) hatte das BAG die Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur rechtsmethodischen Auslegung von tarifvertraglichen Regelungen zur inhaltlichen Ausgestaltung von bAV-Zusagen fortzuschreiben.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der beklagte Arbeitgeber (BARMER GEK) der klagenden Arbeitnehmerin eine bAV-Zusage über einen mit ver.di abgeschlossenen Firmentarifvertrag (TV BAV) zugesagt, die unter anderem eine dienstzeitabhängige Altersrentenleistung vorsah.

Die Altersrente berechnete sich gemäß Ziffer 3 TV BAV nach der ununterbrochenen Beschäftigungszeit des Versorgungsbegünstigten im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten und betrug der Höhe nach 0,34% der ruhegehaltsfähigen Bezüge für jedes volle Beschäftigungsjahr. Der ebenfalls auf das Arbeitsverhältnis anwendbare von der Beklagten mit ver.di abgeschlossene Manteltarifvertrag (MTV) definierte unter anderem die Beschäftigungszeit als ununterbrochene Beschäftigungs- und Ausbildungszeit und ermöglichte in Ziffer 6.3 MTV Arbeitnehmern, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf eine Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Dienstvereinbarung hatten, dass dieser statt der Zahlung der Abfindung vom Arbeitgeber eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses unter Freistellung von der Arbeitspflicht über den vorgesehenen Beendigungszeitpunkt hinaus verlangen können. Für die Vergütung des Arbeitsverhältnisses während dieses Fortführungszeitraums bestimmte der MTV folgende Regelung:

„Während dieser Fortführung des Arbeitsverhältnisses besteht auf Seiten der Beschäftigten allein ein monatlicher Anspruch auf Bezüge in Höhe des vor dem vorgesehenen Beendigungszeitpunkt maßgeblichen Gehalts […]. Bei einer Beendigung gemäß im Laufe eines Kalendermonats besteht entsprechend der Restdauer des Arbeitsverhältnisses in diesem Kalendermonat ein anteiliger Anspruch auf Bezüge. Das Arbeitsverhältnis endet spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem die Arbeitgeberin für die Weiterzahlung der Bezüge einschließlich der von ihr zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung sowie Beiträgen oder Umlagen zu einer Zusatzversorgungseinrichtung insgesamt einen Betrag aufgewendet hat, der der zu zahlenden Abfindung entsprochen hätte.“

Die Beklagte führte im Jahr 2014 eine umfassende Reorganisation mit einem Freiwilligenprogramm durch, zu dem sie mit ver.di einen Tarifvertrag abschloss, der unter anderem einen Abfindungsanspruch für die vom Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer bestimmte. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin war von der Reorganisation betroffen und die Parteien schlossen dazu einen Aufhebungsvertrag, der im Ausgangspunkt eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2014 bestimmte und nach dem die Klägerin das o.g. Wahlrecht zum Einsatz der Abfindungsleistung zur Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.05.2018 unter kommerzieller Verwendung der Abfindungsleistungen für die monatliche Vergütung der Klägerin in diesem Verlängerungszeitraum ausübte. Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 01.06.2018 Altersrentenleistungen nach der bAV-Zusage, wobei sie für die Ermittlung der Höhe der Versorgungsleistungen als ruhegeldfähigen Zeitraum nur die Beschäftigungsdauer bis zum 31.12.2014 ansetzte und auf dieser Basis eine monatliche Altersrente in Höhe von 146,04 EUR brutto errechnete. Die Klägerin begehrte auch die Berücksichtigung des Zeitraums vom 01.01.2015 bis zum 31.05.2018 als ruhegeldfähige Zeiten für die Altersrentenleistungen aus der bAV-Zusage und erhob hierauf arbeitsgerichtliche Klage. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, während das zweitinstanzliche Gericht und das BAG die Klage abwiesen.

Das BAG begründete die Klageabweisung im Kern anhand des Ergebnisses seiner Auslegung der Ziffer 6.3 MTV und der Ziffer 3 TV BAV, die es jeweils auf der Basis des von ihm etablierten Katalogs der am Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der Systematik der beiden tarifvertraglichen Regelungen zu orientierenden Auslegung gewinnt. Demnach schließe zwar der Wortlaut der Ziffer 3 TV BAV die Berücksichtigung auch des Zeitraums zwischen dem 01.01.2015 und dem 31.05.2018 nicht von vornherein aus. Die Nichtberücksichtigung dieses Zeitraums ergebe sich aber aus Ziffer 6.3 MTV, die nach seinem Regelungszweck nur von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung betroffenen Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumen solle, anstelle der beanspruchten Abfindung des Arbeitsverhältnisses – bei gleichzeitiger Freistellung – durch eine für den Arbeitgeber kostenneutrale Umwandlung des Abfindungsbetrags in zusätzliche Beschäftigungszeit zu verlängern. Insoweit solle der von der Regelung betroffene Arbeitnehmer für diesen Zeitraum nur seine monatliche Vergütung erhalten. Diese Beschäftigungszeiten sollen nicht – aus Arbeitgebersicht aufwandswirksam – für die Begründung von weiteren Anwartschaften aus der bAV-Zusage berücksichtigt werden können.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG fügt sich im Ausgangspunkt in die Rechtsprechung des BAG zur rechtsmethodischen Auslegung von tarifvertraglichen Rechtsgrundlagen ein, die das BAG vorliegend im Ergebnis mustergültig vornimmt. Zugleich zeigt die Entscheidung aus Arbeitgebersicht auf, dass relevante kollektivrechtliche Regelungen möglichst von vornherein transparente Regelungen zu den maßgeblichen Voraussetzungen und Leistungsparametern für die Versorgungsleistungen enthalten sollten und in diesem Rahmen auch möglichst eindeutige Vorgaben zu den rentenfähigen Anwartschaftszeiten bestimmen sollten.

3. 3-Stufen-Theorie extended: Ablösung einer bAV-Zusage aufgrund einer Konzernbetriebsvereinbarung – falsa demonstratio und wirtschaftliche Lage des Konzerns als Beurteilungsmaßstab für die Wirksamkeit der Ablösung (LAG Hamm Urt. v. 27.09.2023, Sa 163/22).

Das LAG Hamm hatte in seinem Urteil vom 27.09.2023 (4 Sa 163/22) die Gelegenheit, die inhaltlichen Parameter des betriebsrentenrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgrund der Drei-Stufen-Theorie des BAG bei Regelung und Ablösung der bAV-Zusage in einer Konzernbetriebsvereinbarung zu erörtern und sich zudem mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, wie eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel auf eine bAV-Zusage auszulegen ist, die zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung bereits durch eine Folgeregelung abgelöst wurde.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt stritten die Parteien über die Höhe der dem klagenden ehemaligen Arbeitnehmer zustehenden Altersvorsorge. Der am 03.08.1955 geborene Kläger war seit dem 01.04.1986 als Meister in der Schreinerei einer Konzerngesellschaft der Beklagten (A-GmbH) beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war vereinbart worden, dass sich die betriebliche Altersvorsorge nach einer Pensionsordnung aus dem Jahre 1977 (PO 1977) richtet.

Am 01.01.1987 wurde eine Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossen, die vorsah, dass die Pensionsordnung durch eine neue Pensionsordnung (PO 87) abgelöst wird und aufgrund einer veränderten Rentenformel zu niedrigeren Leistungen führte. Der Kläger wechselte am 01.01.1989 innerhalb des Konzerns zur B-GmbH. Zu diesem Zeitpunkt schlossen die B-GmbH und der Kläger einen neuen Arbeitsvertrag, in dem ebenfalls die PO 77 für die betriebliche Altersversorgung in Bezug genommen wurde. Es folgten weitere Betriebsübergänge auf die C-GmbH und schließlich auf die Beklagte. Der Kläger bezieht seit dem 01.09.2020 eine gesetzliche Rente sowie eine betriebliche Altersvorsorge von der Beklagten in monatlicher Höhe von 145,61 EUR Brutto, welche die Beklagte für den Anwartschaftszeitraum bis 1987 auf Grundlage der PO 77 und für den darauffolgenden ruhegeldfähigen Beschäftigungszeitraum nach der PO 87 zahlte.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass seine Pensionszusage sich ausschließlich auf Grundlage der Regelungen der PO 77 berechnen würde und ihm daher eine monatliche Rente in Höhe von 500,85 EUR brutto zustehen würde; dies im Kern mit der Erwägung, dass der Arbeitsvertrag als individualvertragliche Regelung der bAV-Zusage (auch in der im Jahr 1988 abgeschlossenen Neufassung) auf die PO 77 verweise und daher nicht durch die PO 87 abgelöst worden sein könnte. Zudem sei die Ablösung auch materiell-rechtlich nicht möglich gewesen, da der Konzerngruppe im Geschäftsjahr einen bilanziellen Gewinn von mehr als 154 Mio. DM und eine damit verbundene Eigenkapitalrendite von mehr als 15% ausgewiesen hatte. Er machte den Differenzbetrag arbeitsgerichtlich geltend.

Die Beklagte verteidigte ihre Berechnung der Versorgungsleistungen mit der Erwägung, dass in dem am 20.12.1988 mit der B-GmbH geschlossenen Arbeitsvertrag ein Verweis auf die damals zu diesem Zeitpunkt geltende PO 87 gemeint gewesen sei und berief sich hierzu auf den falsa demonstratio-Grundsatz. Die Absenkung der Rentenansprüche, die mit dem Übergang der PO 77 auf die PO 87 einhergegangen seien, seien aufgrund der starken Betroffenheit des Unternehmens von der Stahlkrise zudem sachlich gerechtfertigt. Die Pensionsrückstellungen wären laut einem versicherungsmathematischen Gutachten – mit Blick auf die Personenkohorte der Versorgungsbegünstigten und der sich zu Lasten der Arbeitgeberseite seit der PO 77 geänderten Sterbetafeln – innerhalb von 15 Jahren um etwa das Doppelte von ca. 1,554 Mrd. DM im Jahr 1985 auf ca. 3,1 Mrd. DM im Jahr 2000 gestiegen und für das Unternehmen wirtschaftlich nicht tragbar gewesen.

Das Arbeitsgericht Dortmund gab der Klage mit der Erwägung statt, dass die arbeitsvertragliche Regelung in der im Jahr 1988 erfolgten Neufassung des Arbeitsvertrags auf die PO 77 verwiesen habe, insoweit eine einzelvertragliche Zusage gebildet habe und bereits aus diesem Grund eine Ablösung der PO 77 durch die PO 87 nicht erfolgt sein konnte.

Das LAG Hamm wies, auf die Berufung der Beklagten, die Klage ab. Es begründete die Klageabweisung im Ausgangspunkt mit der Erwägung, dass im Arbeitsvertrag keine einzelvertragliche Zusage nach der PO 77 erteilt worden sei, sondern – gemäß Auslegung der arbeitsvertraglichen Regelung anhand der Grundsätze der §§ 133, 157 BGB – die Parteien im Arbeitsvertrag auf die PO 87 Bezug nehmen wollten und insoweit der „falsa demonstratio“-Grundsatz Anwendung zu finden habe, der im Kern auf den tatsächlichen Parteiwillen abstellt. Hier sei den Umständen zu entnehmen, dass dem Kläger in der im Jahr 1988 abgeschlossenen Neufassung des Arbeitsvertrags mit Blick auf die bereits neu geltende PO 87 keine Zusage nach der ehemaligen PO 77 gemacht werden sollte und zudem die PO 87 als Konzernbetriebsvereinbarung auch nach § 77 Abs. 3 BetrVG normativ auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sei.

Die inhaltliche Beurteilung der Ablösung der PO 77 durch die PO 87 nahm das LAG Hamm anhand des betriebsrentenrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Grundlage der Drei-Stufen-Theorie des BAG (s. dazu auch zuletzt unseren Überblick über die aktuelle arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in der DPEsche 2/2023: https://www2.deloitte.com/dl/de/pages/legal/articles/rechtsprechung-betriebliche-altersversorgung-2-2023.html) vor: Danach sind die Besitzstände der Arbeitnehmer aus der konkreten bAV-Zusage entsprechend der abgestuften, unterschiedlich gewichteten Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen. Bereits erdiente Anwartschaften können nur aus zwingenden Gründen eingeschränkt oder entzogen werden (Eingriff auf 1. Stufe). Zuwächse, die sich dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben, können nur aus triftigem Grund geschmälert werden (2. Stufe). Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, aber noch nicht erdiente Anwartschaften sind sachlich-proportionale Gründe ausreichend (3. Stufe).

Das LAG Hamm nahm im vorliegenden Fall – aus betriebsrentenrechtlicher Sicht plausibel – einen Eingriff auf der 3. Stufe an. Solche liegen vor, wenn das Unternehmen des Arbeitgebers in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist und dieser hierauf vernünftig reagiert. Werden zunächst Einsparungen durch ein Bündel von Maßnahmen ergriffen und führen diese nicht zum Erfolg, darf mit einer Senkung der betrieblichen Altersvorsorge reagiert werden, um die schwierige wirtschaftliche Situation in den Griff zu bekommen. Der Eingriff darf nur nicht willkürlich erfolgen. Diese Voraussetzungen wurden vorliegend nach Einschätzung des LAG Hamm erfüllt, demnach die erwartete erhebliche Steigung der Rückstellungen für die Pensionszusagen und die damit verbundene erhebliche Belastung, die durch die Fortführung der PO 77 entstanden wäre. Das LAG Hamm stellt dabei die zutreffende Erwägung an, dass die bilanziellen Rückstellungen für sich allein im Ausgangspunkt nur ein Instrument der Innenfinanzierung der Versorgungsverpflichtungen darstellen, ihre perspektive erforderliche Erhöhung allerdings vom Arbeitgeber für die 3. Stufe herangezogen werden kann, wenn die Erhöhung auf belastbaren wirtschaftlichen Parametern beruht, was insbesondere der Fall ist bei Änderung der quantitativen Rahmenparameter gegenüber dem Ausgangszeitpunkt der Erteilung der bAV-Zusage – in diesem Fall können sie den sachlich-proportionalen Grund für einen Eingriff auf der 3. Stufe auch dann bilden, wenn das Unternehmen zum Ablösungszeitpunkt operativ eine positive Eigenkapitalrendite erzielt. Das LAG Hamm führt dabei die Beurteilung aus der Konzernperspektive durch – dies folge bereits aus der Rechtsgrundlage der PO 77 und der PO 87 jeweils als Konzernbetriebsvereinbarung und sei im Übrigen gegeben, wenn und weil im vorliegenden Fall die dafür erforderliche Konzernverflechtung zwischen dem Versorgungsschuldner und den weiteren Konzernunternehmen gegeben sei.

Folgen für die Praxis

Der Rechtsstreit ist derzeit beim BAG anhängig (3 AZR 255/23) und das BAG hat den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 02.07.2024 anberaumt.

Inhaltlich sind die vom LAG Hamm aufgestellten Rechtssätze insbesondere zur „falsa demonstratio“-Auslegung der vertraglichen Verweisungsklausel auf die PO 77 sowie zur rechtlichen Beurteilung des Eingriffs der PO 87 in die PO 77 auf der Grundlage der 3. Stufe des betriebsrentenrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes plausibel – wobei in Bezug auf die angenommene konzernbezogene Betrachtungsweise die bloße Eigenschaft der Rechtsgrundlage als Konzernbetriebsvereinbarung nicht vollständig überzeugt und daher in jedem Einzelfall generell auch die erforderliche konzernbezogene Verflechtung des Arbeitgebers als Versorgungsschuldner für die konzernbezogene Betrachtung zu fordern ist. Für die Praxis gibt das Urteil einmal mehr Anlass zu der Sensibilisierung, arbeitsvertragliche Verweisungsklauseln auf anwendbare bAV-Versorgungsordnungen transparent und inhaltlich zutreffend zu formulieren.

4. Einstandspflicht des Arbeitgebers für bAV-Leistungen trotz Verjährung gegenüber dem Versorgungsträger (LAG Niedersachsen Urt. v. 24.04.2023, 15 Sa 125/22)

In seinem Urteil vom 24.04.2023 (15 Sa 125/22) hatte das LAG Niedersachsen Gelegenheit, die Rechtssätze zur Einstandspflicht des Arbeitgebers bei bAV-Zusagen über einen mittelbaren Durchführungsweg fortzuschreiben.

Die Parteien stritten um die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente. Der 1965 geborene Kläger war seit dem 01.01.1990 bei der B-Bank AG – der Rechtsvorgängerin der Beklagten – beschäftigt und hatte nach dem Arbeitsvertrag einen Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung (bAV) über die Pensionskasse des BVV. Eine im Jahr 2001 angebotene Umstellung der Altersversorgung von der BVV Pensionskasse auf die BVV Versorgungskasse lehnte der Kläger ab. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2003 wurde seine Versicherung beitragsfrei weitergeführt. Die Versicherung sieht eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 189,29 EUR brutto vor.

Nachdem der Kläger bereits 2002 als teilweise erwerbsgemindert eingestuft wurde, wurde ihm im Januar 2014 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von Dezember 2012 bis einschließlich November 2015 bewilligt. Ab März 2014 ist der Kläger berufsunfähig, sodass seitdem die Voraussetzungen für die Berufsunfähigkeitsrente nach der Satzung des BVV erfüllt sind. Nach einer Ablehnung durch die BVV Pensionskasse im August 2014 erhob der Kläger 2019 gegen die BVV Pensionskasse Klage vor dem Landgericht (LG) auf Zahlung einer monatlichen Rente i.H.v. 189,29 EUR. Das LG wies die Klage ab; dies mit der Begründung, dass der geltend gemachte Anspruch bereits mit dem ablehnenden Schreiben der BVV Pensionskasse im August 2014 fällig geworden sei (§ 14 Abs. 1 VVG), so dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB bereits Ende 2017 abgelaufen war.

Im Sommer 2021 erhob der Kläger schließlich die dieser Entscheidung zugrundeliegende Klage gegen die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Klage. Der Kläger berief sich auf die Haftung der Beklagten für die ihm zugesagte Berufsunfähigkeitsrente. Trotz der Durchführung der bAV über die BVV Pensionskasse als mittelbaren Versorgungsträger habe die Beklagte für die Leistung einzustehen, wenn der Kläger seine Ansprüche gegen die BVV nicht durchsetzen könne. Das Arbeitsgericht Hannover wies die Klage mit Verweis auf eine teleologische Reduktion des § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG ab. Dem Sinn und Zweck der Vorschrift laufe es zuwider, wenn die vorrangige Einstandspflicht des Versorgungsträgers nur deshalb nicht zum Tragen komme, weil der Arbeitnehmer seinen Versorgungsanspruch habe verjähren lassen.

Die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung des Klägers vor dem LAG Niedersachsen hatte Erfolg.

Nach Auffassung des LAG Niedersachsen sei die Berufsunfähigkeitsrente entsprechend den Versicherungsbedingungen der BVV Pensionskasse bereits seit dem 01.03.2014 fällig. Auch wenn dem Kläger eine Zusage auf Leistung der bAV erteilt wurde, die über eine Pensionskasse im Sinne von § 1b Abs. 3 BetrAVG und somit durch einen mittelbaren Versorgungsträger durchgeführt werde, habe die Beklagte gemäß § 1 Abs. 3 S. 3 BetrAVG für die Leistung (subsidiär) einzustehen. Eine teleologische Reduktion der Norm sei nicht erforderlich, da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle und Sinn und Zweck der Einstandspflicht des Arbeitgebers sei, die Ansprüche des Arbeitnehmers auf betriebliche Altersversorgung besonders zu schützen. Aus diesem Grund stehe dem Kläger der Anspruch gegen den Arbeitgeber neben dem gegen den externen Versorgungsträger zu.

Die Ansprüche des Klägers auf Rentenzahlungen gegenüber der Beklagten seien insbesondere nicht verjährt. Die Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung auf wiederkehrende Leistungen unterliegen gemäß § 18a S. 2 BetrAVG der regelmäßigen Verjährungsfrist des BGB. Nach § 195 BGB beträgt diese drei Jahre. Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist richte sich nach § 199 Abs. 1 BGB. Nach dieser Bestimmung beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Im vorliegenden Fall könne die Verjährungsfrist nach Maßgabe dieser Rechtssätze gem. § 18a BetrAVG nicht vor dem 31.12.2018 begonnen haben, da der Kläger aufgrund der primären Haftungspflicht des Versorgungsträgers bis zum Ablauf des 31.12.2017 (Eintritt der Verjährung gegenüber dem Versorgungsträger) an der Erhebung der Klage gegen die Beklagte gehindert gewesen sei. Eine gesamtschuldnerische Haftung des Versorgungsträgers und des Arbeitgebers ergebe sich weder aus einer vertraglichen Abrede noch aus gesetzlichen oder allgemeinen Grundsätzen.

Folgen für die Praxis

Der Rechtsstreit ist derzeit beim BAG anhängig (3 AZR 164/23) und das BAG hat den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 07.05.2024 anberaumt.

Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des LAG Niedersachsen vom BAG bestätigt wird. Unabhängig davon kann aus den Rechtssätzen des LAG Niedersachsen die Handlungsempfehlung für Arbeitgeber abgeleitet werden, derartige Sachverhalte oder Konflikte idealerweise vor Ablauf der dreijährigen versicherungsrechtlichen Verjährungsfrist zu klären. Zu beachten ist in diesem Zusammen zudem, dass die regelmäßige Verjährungsfrist des BGB (von drei Jahren) gemäß § 18a S. 2 BetrAVG ausschließlich für Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung auf wiederkehrende Leistungen gilt. Nach § 18a BetrAVG verjähren Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie keine wiederkehrenden Leistungen wie Renten sind, grundsätzlich erst nach 30 Jahren.

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