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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: 02/2024

Aktuelle Rechtssprechung im Arbeitsrecht

Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der zweiten Ausgabe 2024 die Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) (1) vom 22.09.2023 (8 AZR 209/21) zur Vereinbarkeit von § 26 IV BDSG mit der DSGVO, (2) vom 18.10.2023 ( 5 AZR 22/23) zur 20-Stunden-Vermutung für Arbeit auf Abruf, (3) das Urteil des Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern vom 09.05.2023 (2 Sa 146/22) zur Notwendigkeit der Schriftform bei der Ausführung von „Turboklauseln“, (4) das Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 11.07.2023 (2 Sa 150/22) zur Notwendigkeit der Einhaltung des vereinbarten Stichtags für den Abschluss einer Zielvereinbarung, (5) das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.07.2023 (B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R, B 12 BA 4/22 R) zur Sozialversicherungspflicht des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers einer Ein-Personengesellschaft bei weisungsgebundener Tätigkeit für einen Auftraggeber der Gesellschaft (6) sowie das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 19.10.2023 (C-660/20 (Lufthansa CityLine)) zur Mehrvergütung bei Teilzeitbeschäftigung.

1. Vereinbarkeit von § 26 Abs. 4 BDSG mit der DSGVO? – Status Quo des EuGH-Vorlagebeschlusses des BAG (Beschl. v. 22.09.2022, 8 AZR 209/21; C-65/23)

Bereits mit seinem Vorlagebeschluss vom 22.09.2022 (8 AZR 209/21) ersuchte das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Auslegung der Art. 88 Abs. 1 und 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Rahmen einer Vorabentscheidung. Insbesondere sollte geklärt werden, ob § 26 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) Kollektivvereinbarungen (vor allem als Betriebsvereinbarung) über die Datenverarbeitung nur unter Beachtung weiterer datenschutzrechtlicher Voraussetzungen zulässt und ob den Kollektivpartnern bei der Beurteilung der Erforderlichkeit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zugestanden werden kann. Ebenfalls zur Klärung gestellt wurde die Frage, ob bei der Geltendmachung von Schadensersatz nach den Grundsätzen der DSGVO auch ein erlittener Schaden von einigem Gewicht dargelegt werden muss oder ob bereits die Verletzung der Bestimmungen der DSGVO ausreicht. Der EuGH hat die zweite Frage zwischenzeitlich in der Österreichische Post-Entscheidung vom 04.05.2023 (C-300/21, besprochen in unserer Monthly Dosis 11/2023: https://www2.deloitte.com/dl/de/pages/legal/articles/monthly-dose-arbeitsrecht-november-23.html) geklärt.  

Die erste Frage verbleibt weiterhin zur Entscheidung, so dass der Vorlagebeschluss angesichts der höchst praktischen Relevanz an dieser Stelle noch einmal erörtert wird:

In dem der Entscheidung zugrundliegenden Fall stritten die Parteien zuletzt um immateriellen Schadensersatz wegen Verletzung datenschutzschutzrechtlicher Bestimmungen. Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin, einem Unternehmen der Zahnmedizintechnik, als Organisationsprogrammierer beschäftigt. Die Beklagte war Konzerngesellschaft einer Gruppe mit Sitz der Obergesellschaft in Washington D.C. Im Jahr 2017 beabsichtigte die Konzern-Gruppe die Einführung des cloudbasierten Personal-Informationssystems Workday und führte hierzu unter anderem eine Testphase, an der auch die Beklagte mitwirkte. Im Rahmen der Testphase lud die Beklagte im Mai 2017 verschiedene persönliche Daten der einzelnen Mitarbeiter (Name, Gehaltsinformationen, private Wohnanschrift, Geburtsdatum, Familienstand, Sozialversicherungsnummer, Steuer ID-Nummer) auf eine Sharepointseite der Obergesellschaft mit Server-Standort in den USA hoch. Im Nachgang hierzu schloss die Beklagte im Juli 2017 mit dem bei ihr gewählten Betriebsrat eine Duldungs-Betriebsvereinbarung über die Einführung von Workday, die ausschließlich die Testung von Workday erlaubte und bestimmte, dass Workday nicht für die HR-Standardprozesse (u.a. Einstellungen, Leistungsbewertungen, Entlohnung etc.) verwendet werden darf. Zudem bestimmte die Betriebsvereinbarung einen abschließenden Katalog an persönlichen Daten, die die Beklagte in Workday auf den Server in den USA hochladen durfte, der aus den o.g. Daten nicht die Sozialversicherungsnummer und Steuer-ID-Nummer enthielt.

Der Kläger sah in der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bei Workday einen Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Vorgaben der DSGVO; hier insbesondere in Bezug auf die Verarbeitung seiner Sozialversicherungsnummer und seiner Steuer-ID-Nummer, die nicht im Katalog der Duldungs-Betriebsvereinbarung enthalten war. Hierdurch sei ihm ein immaterieller Schaden entstanden. 

Die beiden erstinstanzlichen Gerichte gaben der Klage nicht statt: Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch seien mit dem Einsatz von Workday nicht gegeben. Die von der Beklagten durchgeführte Datenverarbeitung sei zwar nur zum Teil von der Duldungs-Betriebsvereinbarung gedeckt gewesen und die „überschießende“ Verarbeitung sei ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Die Verarbeitung war zudem nicht erforderlich im Sinne von § 26 Abs. 1 BDSG und Art. 6 Abs. 1f DSGVO gewesen, da die Beklagte als milderes Mittel auf die Verarbeitung von fiktiven Daten hätte zugreifen können. Allerdings könne der Kläger keinen Schadensersatz geltend machen, da er nicht dargelegt habe, dass ihm infolge des Verstoßes ein konkreter Schaden entstanden sei. Bloße Befürchtungen, ein Schaden könne eintreten, würden keinen ersatzfähigen Schaden darstellen. 

Das BAG setzte in der Revisionsinstanz das Verfahren aus und legte dem EuGH unter anderem die einleitend genannten Fragen vor. Das BAG vertrat dabei die Auffassung, dass Art. 88 Abs. 1 DSGVO die Mitgliedstaaten nur zum Erlass „spezifischer Vorschriften“ ermächtige und insoweit die allgemeinen datenschutzrechtlichen Vorgaben aus Art. 5, 6 Abs. 1 sowie 9 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO ebenfalls zu beachten sind. Weiterhin hat das BAG Bedenken, ob den Kollektivpartnern bei der Beurteilung der Erforderlichkeit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zugestanden werden kann: Denn wäre bereits die Betriebsvereinbarung als Rechtsgrundlage ausreichend, wären keine weiteren Darlegungen zur Erforderlichkeit der Datenverarbeitung im Verfahren geboten. Müsste die gesetzliche Mindestanforderung der Erforderlichkeit auch als Maßstab für die Datenverarbeitung auf der Grundlage einer Kollektivvereinbarung herangezogen werden, wäre im Zweifel der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet für die Erforderlichkeit der Verarbeitung.

Unabhängig von der Frage zur Darlegungs- und Beweislast der Erforderlichkeit müsste der Betroffene nach Auffassung des BAG darlegen, dass er infolge einer Verletzung der Vorgaben der DSGVO in seinem Rechten verletzt sei. 

Status Quo, auch für die Praxis

Das Vorabentscheidungsersuchen ist unverändert rechtshängig (C-65/23). Die Entscheidung des EuGH wird jedoch dennoch von großer Bedeutung für die zukünftige Praxis der Betriebsparteien sein. Es ist noch offen, ob die bisherige Auffassung des BAG, dass ein kollektivvertraglicher Erlaubnistatbestand die Erforderlichkeitsprüfung von Art. 6 Abs. 1 DSGVO nicht ersetzen kann, bestätigt wird. In diesem Fall würde eine Kollektivvereinbarung keinen (selbstständigen) Erlaubnistatbestand schaffen. Dies dürfte sich mit der bisherigen überwiegenden Auffassung weitgehend decken, wonach Betriebsvereinbarungen der Rechtskontrolle nach § 75 BetrVG unterliegen und unter anderem die Anforderungen des Art. 88 II DSGVO erfüllen müssen. 

In der Praxis sind betrieblich veranlasste Datenverarbeitungsvorgänge weitgehend von einem gesetzlichen Erlaubnistatbestand gedeckt. Die Betriebsvereinbarungen dienen daher lediglich der Konkretisierung. Wie weit diese „Konkretisierung“ aber im Einzelnen reichen darf, werden EuGH und BAG hoffentlich bald klären.

In der betrieblichen Praxis empfiehlt es sich vor Abschluss der kollektiven Vereinbarung ein gemeinsames Verständnis über die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Datenverarbeitung niederzulegen und festzuschreiben, aus welchen Gründen beispielsweise Versuchsdaten nicht mit derselben Zuverlässigkeit Testergebnisse liefern würden oder der Aufwand zur Verwendung von Versuchsdaten unverhältnismäßig gewesen wäre.

2. Arbeit auf Abruf: Konkludente Festlegung eines Arbeitszeitvolumens von 20 Wochenstunden und Abweichungen bedürfen objektiver Anhaltspunkte (BAG Urt. v. 18.10.2023, 5 AZR 22/23)

In seinem Urteil vom 18.10.2023 (5 AZR 22/23) hatte das BAG zu entscheiden, ob bei Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf ohne ausdrückliche Festlegung der konkreten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit das Abrufverhalten eines Arbeitgebers zu einem konkludent vereinbarten Arbeitszeitvolumen von mehr als 20 Wochenstunden führen kann.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die Parteien unter anderem über die für das Arbeitsverhältnis ab dem Jahr 2020 maßgebliche regelmäßige Arbeitszeit. Die klagende Arbeitnehmerin war seit Juli 2009 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Arbeitgeberin auf Abruf nach § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging zum 01.01.2014 auf die Beklagte über, in deren Betrieb bis Ende 2019 auch samstags gearbeitet wurde. Die Arbeit am Samstag erfolgte grundsätzlich freiwillig und fiel nicht in die wöchentliche Regelarbeitszeit. Zwischen Januar 2017 bis Dezember 2019 zog die Beklagte die Klägerin nach Bedarf in einem unterschiedlichem zeitlichen Umfang mit einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 103,2 Arbeitsstunden heran. Nachdem im Januar 2020 die Samstagsarbeit entfallen war, verringerte sich der Umfang des Abrufs der Arbeitsleistung der Klägerin. Die Klägerin machte mit ihrer Klage geltend, dass sie auch ab Januar 2020 mit einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von 103,2 Arbeitsstunden zu beschäftigen sei. Die Beklagte wendete gegen die Forderung der Klägerin ein, dass mangels anderslautender Vereinbarung nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart gelte. Angesichts der gesetzlichen Fiktion scheide eine ergänzende Vertragsauslegung aus. Das Abstellen auf die durchschnittlichen Arbeitszeitwerte in den Jahren 2017 bis 2019 sei willkürlich und auch die freiwillige Samstagsarbeit dürfe bei der Berechnung einer durchschnittlichen Arbeitszeit nicht berücksichtigt werden.

Das BAG wies die Klage ab. Dies im Kern mit der Begründung, dass bei der Arbeit auf Abruf grundsätzlich eine wöchentliche Arbeitszeit festgelegt werden muss (§ 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG) und der Arbeitsvertrag der Klägerin hierzu keine Regelung enthält. Denkbar wäre zwar auch eine konkludente Vereinbarung; hierfür fehlten im Sachvortrag der Klägerin jedoch jegliche Anhaltspunkte. Das BAG macht deutlich, dass eine fehlende Vereinbarung einer wöchentlichen Arbeitszeit nicht zur Unwirksamkeit der Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf führe. Vielmehr gilt bereits ausweislich des Gesetzeswortlautes in § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Eine über die gesetzliche Fiktion hinausgehende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit ergebe sich im Streitfall nicht. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke für eine ergänzende Vertragsauslegung, da diese durch Heranziehung des dispositiven Gesetzestextes sachgerecht geschlossen werden kann. Für eine nachträgliche, ausdrückliche oder konkludente (Änderungs-)Vereinbarung einer abweichenden wöchentlichen Arbeitszeit gebe es keine objektiven Anhaltpunkte. Die bloße Mehrbeschäftigung durch den Arbeitgeber über die Dauer von 20 wöchentlichen Arbeitsstunden hinaus begründe keine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit – denn einem solchen Verhalten kommt kein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend zu, der Arbeitgeber wolle sich für die Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden. Ebenso wenig rechtfertige die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Zeitraum mehr als geschuldet zu arbeiten, die Annahme, er wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.

Folgen für die Praxis

Das BAG stellt in der Entscheidung klar, dass bei einer fehlenden Arbeitszeitvereinbarung in einem Arbeitsverhältnis mit Arbeit auf Abruf generell die gesetzliche Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG Anwendung findet und eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart gilt. Arbeitgeber sollten zugleich bei Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf den voraussichtlichen regelmäßigen Arbeitsbedarf bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrags sorgfältig bestimmen und im Fall eines regelmäßigen Arbeitsbedarfs von – materiell – weniger als 20 wöchentlichen Arbeitsstunden eine konkrete Arbeitszeitvereinbarung im Arbeitsvertrag abschließen.

3. Notwendigkeit der Schriftform bei der Ausführung von „Turboklauseln“ (LAG Mecklenburg-Vorpommern Urt. v. 09.05.2023, 2 Sa 146/22)

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hatte in seinem Urteil vom 09.05.2023 Gelegenheit, sich mit dem Schriftformerfordernis bei sog. „Turboklauseln“ in gerichtlichen Vergleichen in Kündigungsrechtsstreiten zu beschäftigen und entschied, dass eine Vereinbarung, die ein vorzeitiges Lösungsrecht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis beinhaltet, ein Kündigungsrecht sei, für welches das Schriftformerfordernis des § 623 Bürgerliches Gesetzbuches (BGB) gilt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die Parteien wegen einer Abfindungszahlung über den Zeitpunkt der (formgerechten) Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Nach außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigung durch die beklagte Arbeitgeberin erhob der klagende Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Im Kündigungsrechtsstreit einigten sich die Parteien auf einen Vergleich, der u.a. bestimmte: (1) eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2021, und (2) ein vorzeitiges Lösungsrecht des Arbeitnehmers, unter Einhaltung einer einwöchigen Ankündigungsfrist durch schriftliche Erklärung gegenüber der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Für diesen Fall sah der Vergleich die Zahlung der andernfalls bis zum 30.11.2021 zu gewährenden monatlichen Bruttovergütung als Abfindungszahlung im Sinne des §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vor.

Mit Schreiben vom 20.07.2021 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten namens und in Vollmacht seines Mandanten mit, dass dieser das Arbeitsverhältnis vorzeitig zum 31.07.2021 beende. Dieses Schreiben versah er mit einer qualifizierten Signatur und übersandte es über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an den Beklagtenvertreter. Mit Schreiben vom 30.01.2022 forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung der Abfindung unter Fristsetzung und mit Bezugnahme auf die im gerichtlichen Vergleich enthaltene „Turboklausel“ auf. Da die Zahlungsaufforderung erfolglos blieb, erhob der Kläger Klage. 

Der Kläger vertrat die Auffassung, das Arbeitsverhältnis sei infolge der anwaltlich übermittelten Erklärung seines Prozessbevollmächtigten zum 31.07.2021 vorzeitig beendet worden. Ihm stehe daher die für den Zeitraum vom 01.08.2021 bis zum 30.11.201 zu verzeichnende Brutto-Vergütung als weitere Abfindung zu. Die Erklärung sei in elektronischer Form mit qualifizierter Signatur auch wirksam abgegeben worden (§§ 127, 126a BGB). Die Beklagte entgegnete, dass das Arbeitsverhältnis mangels Einhaltung der Schriftform nicht vorzeitig durch die Erklärung des Prozessvertreters des Klägers beendet worden sei. Es habe zur vorzeitigen Auflösung der Wahrung des zwingenden Schriftformerfordernisses gemäß § 623 BGB bedurft. 

Nachdem das Arbeitsgericht (ArbG) Stralsund der Klage stattgab, hatte die Berufung der Beklagten vor dem LAG Mecklenburg-Vorpommern Erfolg und führte zur klageabweisenden Entscheidung. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern führte aus, dass es sich bei dem im gerichtlichen Vergleich im Kündigungsrechtsstreit mit der „Turboklausel“ vereinbarten vorzeitigen Lösungsrecht des Klägers um ein dem § 12 S. 1 KSchG vergleichbares Sonderkündigungsrecht handele, welches dem Formerfordernis des § 623 BGB unterliege. Der gerichtliche Vergleich enthalte wie ein Abwicklungsvertrag weitere Regelungen zu den Modalitäten der Beendigung, aber keinen anderweitigen Beendigungstatbestand. Um eine vorzeitige Beendigung zu bewirken, wurde vereinbart, dass eine Erklärung des Klägers erfolgen soll. Dabei handelte es sich, auch wenn nicht ausdrücklich als solche bezeichnet, um eine Kündigung, denn es sollte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Klägers zu einem vorzeitigen Termin vor dem 30.11.2021 geschehen und den Beendigungstatbestand in Gestalt der arbeitgeberseitigen Kündigung zum Ablauf des 30.11.2021 ersetzen. Diese Kündigung unterläge der Schriftform, denn die Einräumung eines Rechtes mit einer bestimmten Ankündigungsfrist vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu können, stelle ein gemäß § 12 S. 1 KSchG vergleichbares Sonderkündigungsrecht dar. Das konstitutive Schriftformerfordernis des § 623 BGB könne weder durch vertragliche noch durch tarifvertragliche Regelungen abbedungen werden und auch nicht durch die elektronische Form ersetzt werden, da diese für Kündigungen durch Gesetz ausgeschlossen ist (§ 623 2. Hs. BGB). Dem LAG Mecklenburg-Vorpommern zufolge hatte auch keine teleologische Reduktion zu erfolgen, da die Kündigung über das beA versendet wurde. Die Formvorschriften des bürgerlichen Rechts sind von denen des Prozessrechts strikt zu unterscheiden und können aufgrund der Eigenständigkeit des Prozessrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozesshandlungen angewendet werden. Die Möglichkeit der Nutzung des beA diene der Beschleunigung gerichtlicher Verfahren und verfolge damit eine andere Ziel- und Zweckrichtung als des § 623 BGB (Warnfunktion, Identitätsfunktion, Verifikationsfunktion). 

Da das Arbeitsverhältnis aufgrund formnichtiger Kündigung (§ 125 S. 1 BGB) nicht zum Ablauf des 31.07.2021 beendet wurde, bestand folglich kein Anspruch auf Zahlung der weiteren Abfindung.

Folgen für die Praxis

Das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern stellt klar, dass das in „Turboklauseln“ enthaltene Recht, sich vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis lösen zu können, letztlich eine Kündigung darstellt, auf welche das zwingende Schriftformerfordernis aus § 623 BGB Anwendung findet. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern folgt mit diesem Urteil der Rechtsprechung des BAG zur zwingend zu beachtenden Schriftform bei der Ausübung des vertraglichen Rechts zur vorzeitigen Beendigung von Arbeitsverhältnissen (s. nur BAG Urt. v. 17.12.2015, 6 AZR 709/14). Arbeitgeber sollten vor diesem Hintergrund im Einzelfall darauf achten, dass vorzeitige Beendigungen durch Arbeitnehmer in formwirksamer Weise ausgesprochen werden, da anderenfalls die im Rahmen einer Abfindungszahlung eingesparten Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitnehmer erstattet verlangt werden könnten.

4. Vereinbarter Stichtag für den Abschluss einer Zielvereinbarung für eine variable Vergütung ist zwingend einzuhalten (LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 11.07.2023, 2 Sa 150/22)

Das LAG-Schleswig-Holstein hatte in seiner Entscheidung vom  11.07.2023 (2 Sa 150/22) Gelegenheit darüber zu entscheiden, ob die Nicht-Einhaltung eines in einer Vereinbarung enthaltenen Stichtages für den Abschluss einer Zielvereinbarung für eine variable Vergütung zu einem Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers in Höhe des Zielwertes führt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt bestimmte der zwischen den Parteien vereinbarte Arbeitsvertrag einen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine erfolgsabhängige Tantieme gemäß einer gesonderten Tantiemevereinbarung. Die Tantiemevereinbarung sah einen Zielwert von 70.000 EUR brutto bei einer 100%-Zielerreichung vor und enthielt zur Durchführung der Tantiemeregelung u.a. die folgende Regelung: „Die Kriterien für die Tantieme werden von den Parteien spätestens bis zum 01.03. eines Kalenderjahres für das Kalenderjahr […] neu vereinbart. Wird eine Vereinbarung nach Satz 1 nicht oder nicht fristgerecht erzielt, werden die Kriterien durch den Arbeitgeber im Rahmen billigen Ermessens bestimmt.“

Die Beklagte übersendete in Bezug auf die Tantieme für das Kalenderjahr 2021 am 09.03.2021 einen konkreten Vorschlag für die Kriterien der Tantiemevereinbarung, die der Kläger jedoch ablehnte. Den vom Kläger am 22.04.2021 unterbreiteten Gegenvorschlag ließ die Beklagte unbeantwortet. Die Beklagte zahlte für das Kalenderjahr 2021 schließlich eine Tantieme von 7.000 EUR brutto. Der Kläger machte mit seiner Klage den Differenzbetrag zum Zielwert für das Kalenderjahr 2021 geltend und begründete seine Klage im Kern mit dem von der Beklagten unterlassenen Abschluss der Zielvereinbarung.

Das LAG Schleswig-Holstein gab der Klage statt, demnach der Kläger einen (Schadensersatz-)Anspruch auf diesen Betrag aus § 280 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. §§ 283, 252 BGB hat. Zur Begründung verwies das LAG auf die Rechtsprechung des BAG zum Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei unterlassener Zielvereinbarung für erfolgsabhängige variable Vergütungen und erweiterte diese auch auf den Sachverhalt der nach dem vertraglichen Stichtag und damit zu spät vom Arbeitgeber initiierten Zielvereinbarungsgespräche. Denn auch in diesem Fall sei die Festlegung der relevanten Ziele nach Ablauf des vereinbarten Stichtages zur Zielfestsetzung unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB, da dieser Stichtag ausschlaggebend für die Anreizfunktion der Zielvereinbarung sei. Entsprechend dem Leistungs- und Motivationsgedanken des Bonusanspruchs eines Arbeitnehmers könne die Anreizfunktion nur erfüllt werden, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung der Tätigkeit, die von ihm zu verfolgenden Ziele kenne und wisse, auf das Erreichen welcher persönlicher bzw. unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber besonderen Wert lege. Die Beklagte trage dabei mit Blick auf den erst am 19.03.2021 unterbreiteten Tantiemezielvorschlag auch die Verschuldenslast, da sie nicht rechtzeitig einen Tantiemezielvorschlag unterbreitete. Die Beklagte könne sich zudem auch nicht auf ihr ebenfalls aus der Vereinbarung folgendes einseitiges Festsetzungsrecht berufen, da ein solches entsprechend der Regelung nur bestehe, wenn eine Vereinbarung nicht oder nicht fristgerecht erzielt werde. Dafür bedürfe es jedoch Gespräche, den Ausstauch von unterschiedlichen Standpunkten oder Annäherungen im Voraus. Diese Verhandlungsparameter habe die Beklagte nicht vorgetragen.

Die Schadenshöhe basiere auf dem zu erwartenden Gewinn, da die Beklagte keine besonderen Umstände darlegte, weshalb ein solcher nicht zu erwarten sei. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. 

Folgen für die Praxis

Diese Entscheidung zeigt einmal mehr auf, dass Arbeitgeber bei erfolgsabhängiger variabler Vergütung mit fristgebundenen Zielfestlegungen die in der Rechtsgrundlage der variablen Vergütung festgelegten Fristen unbedingt einhalten sollten. Für Arbeitgeber ist es somit ratsam, möglichst frühzeitig in die Zielvereinbarungsprozesse zu treten. Zudem empfiehlt es sich, Verhandlungsgespräche bzw. den Austausch von Zielvorschlägen entsprechend zu dokumentieren, um im Fall eines Dissens die Zielparameter im Rahmen billigen Ermessens zu bestimmen und im Nachgang keinen Beweisschwierigkeiten zu unterliegen.

5. Sozialversicherungspflicht des Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers einer Ein-Personengesellschaft bei weisungsgebundener Tätigkeit für einen Auftraggeber der Gesellschaft (BSG Urt. v. 20.07.2023, B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R, B 12 BA 4/22 R)

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinen Urteilen vom 20.07.2023 (B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R, B 12 BA 4/22 R) entschieden, dass ein alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft bei Tätigwerden für einen Auftraggeber der Gesellschaft sozialversicherungspflichtig ist, wenn die Tätigkeit nach ihrem Gesamtbild eine abhängige Beschäftigung beim Auftraggeber darstellt.

In allen drei Verfahren vor dem BSG waren die Kläger Allein-Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften in der Rechtsform der GmbH bzw. der UG (haftungsbeschränkt). Die Gesellschaften schlossen mit ihren jeweiligen Auftraggebern Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, die in zwei Verfahren Pflegeleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses umfassten, in einem weiteren Fall Beratungsleistungen. In allen Verfahren erbrachten die Geschäftsführer persönlich und ausschließlich die Dienstleistungen, da die Gesellschaften keine weiteren, entsprechend qualifizierten Mitarbeiter beschäftigten.

beschäftigten.Die Deutsche Rentenversicherung stellte bei den Allein-Gesellschafts-Geschäftsführern jeweils die Sozialversicherungspflicht im Rahmen der Statusprüfung fest, wogegen sich die Geschäftsführer mit ihren Klagen wandten.

Das BSG sah in jedem der Fälle eine Sozialversicherungspflicht der Kläger aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit dem jeweiligen Auftraggeber als gegeben an. Die Gesamtabwägung aller Umstände führe jeweils zu einer Eingliederung in die Betriebsorganisation der Auftraggeber und zu einer Bindung an Weisungen. Dem stünde nicht entgegen, dass die Auftraggeber die Verträge mit den Gesellschaften abgeschlossen hatten. Entscheidend seien die tatsächlichen Verhältnisse und die Durchführung der vertraglichen Beziehungen.

Die von den Gesellschaften geschuldete Überlassung einer Person zur Arbeitsleistung begründete eine Dreiecksbeziehung zwischen den Auftraggebern und dem jeweiligen Kläger, die mit einer Arbeitnehmerüberlassung vergleichbar sei. Tatsächlich könne die Frage, ob unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorliege, jedoch offenbleiben, da bei der sozialversicherungsrechtlichen Betrachtung nicht auf die vertragliche Gestaltung, sondern nur auf den Aspekt der Eingliederung in die Betriebsorganisation abzustellen sei. 

Wegen der im Sozialversicherungsrecht herrschenden Eingliederungstheorie stelle sich die Tätigkeit jedes Klägers als abhängige Beschäftigung dar.

Auch die grundsätzliche Trennung zwischen juristischen Personen und ihren Organen als natürliche Personen ändere nichts an der abhängigen Beschäftigung der Geschäftsführer bei dem jeweiligen Auftraggeber. In diesem Kontext verweist das BSG auf die Fiktions-Regelung des § 2 S. 1 Nr. 9 b) Hs. 2 SGB VI, wonach die Auftraggeber der Gesellschaft als Auftraggeber der Gesellschafter gelten. Daraus folgt nach Ansicht des BSG, dass die tatsächlichen Verhältnisse in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht die grundsätzliche Trennung zwischen juristischen Personen und ihren Organen als natürliche Personen überlagern.

Die Vergütungsvereinbarung zwischen dem jeweiligen Auftraggeber und der jeweiligen Gesellschaft stehe der entgeltlichen Beschäftigung des Geschäftsführers beim Auftraggeber nicht entgegen, da die Fiktions-Regelung aus § 2 S. 1 Nr. 9 b) Hs. 2 SGB VI auch für das Vergütungsverhältnis gelte.

Folgen für die Praxis

Das BSG führt mit seinen Entscheidungen vom 20.07.2023 seine jüngere Rechtsprechung zur konsequenten Anwendung der Eingliederungstheorie fort, demnach sich der sozialversicherungspflichtige Status der konkreten Tätigkeit der relevanten Person für den jeweiligen Auftraggeber weitgehend nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu beurteilen habe und betont in den Entscheidungen, dass insbesondere der organbezogene Status der relevanten Person beim Vertragspartner des Auftraggebers für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung keine materielle Rolle spielen würde. Auch wenn die Begründung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht nicht vollständig überzeugt (indem das BSG insbesondere einzelne gesetzgeberische Wertungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status von Gesellschafter-Geschäftsführern nicht in der angezeigten Weise berücksichtigt), ist zu erwarten, dass das BSG diese Rechtsprechung konsequent fortführen wird.

Unternehmen sind damit gehalten, vor Leistungserbringung durch ihre Geschäftspartner genaustens zu prüfen, durch wen die Leistung tatsächlich erbracht wird. Dies gilt auch bei der bisher in der Praxis oft gewählten Gestaltungsoption des Abschlusses des konkreten Dienst-/Werkvertrags mit einer juristischen Person als Vertragspartner und der Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistungen durch den Gesellschafter-Geschäftsführer des Vertragspartners. Diese Gestaltungsoption dürfte allenfalls im Einzelfall möglich sein, wenn der Vertragspartner die vertraglichen Leistungen neben dem Gesellschafter-Geschäftsführer durch weitere Personen erbringt. Ist dies nicht darstellbar, sollte im Einzelfall die gegebenenfalls rechtssichere Beschäftigung aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages oder im Rahmen einer erlaubten Arbeitnehmerüberlassung – auch unter Berücksichtigung ihrer kommerziellen Implikationen – in Erwägung gezogen werden.

6. EuGH bestätigt: Tarifliche Regelungen, die Überstundenzuschläge erst ab Überschreitung einer für Teilzeit- und Vollzeitpiloten gleichermaßen geltenden Gesamtstundenzahl vorsieht, inkludieren eine unzulässige Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten (EuGH Urt. v. 19.10.2023, C-660/20 (Lufthansa CityLine))

Auf Vorlage des BAG hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 19.10.2023 (C-660/20) in Bezug auf einen teilzeitbeschäftigten Piloten zu entscheiden, ob dieser durch die formale Gleichbehandlung von Voll- und Teilzeitkräften in kollektivrechtlichen Normen Teilzeitkräfte unangemessen benachteiligt werden. 

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall klagte der als Pilot in einem Teilzeitarbeitsverhältnis (0,9 FTE) beschäftigte Mitarbeiter auf Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für geleistete Mehrarbeit. Nach den auf das Arbeitsverhältnis bei der beklagten Arbeitgeberin anwendbaren Tarifverträgen erhalten Piloten zusätzlich zu ihrer Grundvergütung eine Mehrflugdienststundenvergütung (im Folgenden „Mehrvergütung“), wenn sie eine bestimmte Anzahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit bestimmte Schwellenwerte („Auslösegrenzen“) überschritten haben. Hierbei handelt es sich um zusätzliche Entgeltbestandteile. Die Schwellenwerte für die relevante Anzahl der Flugdienststunden gelten gemäß der tariflichen Regelung für Teil- und Vollzeitbeschäftigte gleichermaßen.

Der Kläger sah in dem einheitlichen Schwellenwert eine unzulässige Benachteiligung von Arbeitnehmern in einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis. Er vertrat die Auffassung, die Anzahl der erforderlichen Flugstunden zur Auslösung der Mehrvergütung müsse für Teilzeitbeschäftigte proportional zur Arbeitszeit niedriger angesetzt werden und machte mit seiner Klage die Differenz zwischen der bereits gezahlten Vergütung und der auf Grundlage der entsprechend herabgesetzten Auslösegrenzen erhöhten Vergütung für die von ihm geleistete zusätzliche Flugzeit geltend. 

Das BAG hatte Zweifel, ob die Weigerung der beklagten Arbeitgeberin, die Auslösegrenzen proportional zur Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten herabzusetzen, mit den Bestimmungen der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG zum Diskriminierungsverbot vereinbar ist und hatte dem EuGH den Sachverhalt zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der EuGH führte in seiner Entscheidung aus, dass die tarifliche Regelung dazu führe, dass teilzeitbeschäftigte Flugzeugführer unter diesen Bedingungen den Anspruch auf Mehrvergütung aufgrund der identischen Auslösegrenzen nur mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als Vollzeitbeschäftigte erreichen. Daher sei davon auszugehen, dass ein teilzeitbeschäftigter Flugzeugführer gegenüber vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Flugzeugführern eine unterschiedliche Behandlung erfährt, die nach der Rahmenvereinbarung verboten ist, sofern sie nicht durch einen sachlichen Grund im Sinne der Vorschrift gerechtfertigt ist. 

Ein entsprechender sachlicher Grund kann nur dann bejaht werden, wenn es aufgrund konkreter Umstände einen tatsächlichen Bedarf für die Ungleichbehandlung gibt. Dies habe das BAG im konkreten Fall abschließend zu prüfen. Hierzu führt der EuGH ergänzend aus, dass soweit die beklagte Arbeitgeberin ausführe, die Schwellenwerte würden dazu dienen, eine besondere Arbeitsbelastung und damit einhergehende Gesundheitsgefahren zu vermeiden sowie eine übermäßige Heranziehung der Flugzeugführer zu verhindern, gebe es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, ab welchem Schwellenwert an Flugdienststunden eine höhere Arbeitsbelastung und Gesundheitsgefahr bestehe im Gegensatz zur Ableistung weniger Stunden. Darüber hinaus zweifelt der EuGH, ob zum Schutz vor übermäßiger Arbeitsbelastung die Festlegung einheitlicher Schwellenwerte geeigneter ist als andere Maßnahmen, zumal flugspezifische Zwänge und individuelle Auswirkungen der Arbeitsbelastung auf den jeweiligen Flugzeugführer nicht berücksichtigt würden. Insbesondere würden auch die für die Beschäftigungsform der Teilzeitarbeit charakteristischen Gründe wie außerberufliche Belastungen nicht berücksichtigt.

Folgen für die Praxis

Nachdem das BAG bereits in seinem Urteil vom 19.12.2018 (Az. 10 AZR 231/18) entschieden hatte, dass ein Tarifvertrag § 4 Abs. 1 TzBfG verletze, wenn dieser Ansprüche auf Mehrarbeitszuschläge erst begründet, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird, hat nun auch der EuGH diese Rechtsauffassung bestätigt. Soweit kollektivvertragliche Regelungen also formal gleiche Schwellenwerte für eine zusätzliche Vergütung für Mehrarbeit von Voll- und Teilzeitkräften vorsehen, sind diese in der Regel europarechtswidrig, da sie gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen und damit mit den Bestimmungen der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG nicht vereinbar sind. Arbeitgeber sollten gegebenenfalls prüfen, ob bestehende Regelungen vor dem Hintergrund dieser Entscheidung unzulässig sind und angepasst werden müssen. Sollten etwaige rechtfertigende Umstände für eine Ungleichbehandlung in Frage kommen, empfiehlt es sich, diese niederzulegen und konkret zu bezeichnen. Zudem sollten sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein.

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