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Kein Entgelt während coronabedingter Betriebsschließung
Das BAG beschränkt das Risiko von Arbeitgebern in Pandemien
Knapp zwei Jahre nach dem ersten coronabedingten Lockdown und der Zwangsschließung verschiedener Betriebe (Grundlage im konkreten Fall war die Allgemeinverfügung der Freien Hansestadt Bremen vom 23.03.2020) lehnt das BAG einen Entgeltfortzahlungsanspruch eines Arbeitnehmers für diesem Zeitraum ab.
Als sich Anfang 2020 das Corona-Virus in Deutschland verbreitete, gehörten Betriebsschließungen zu den ersten Maßnahmen, mit denen größere Menschenansammlungen verhindert werden sollten. In einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26.02.2020 hieß es noch, dass der Arbeitgeber bei einer Betriebsschließung zur Entgeltfortzahlung nach § 615 BGB verpflichtet sei.
Grundsatze des Betriebsrisikos
§ 615 S. 1, 3 BGB regelt, dass beim so genannten “Betriebsrisiko” der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist, wenn er ohne eigenes Verschulden die Belegschaft aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann und den Betrieb ganz oder teilweise schließen muss.
Typische Fälle des Betriebsrisikos sind die Unterbrechungen der Strom- oder Gasversorgung, Mangel an Rohstoffen, Brand, Überschwemmung, Frost und andere Naturkatastrophen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste sich in der Entscheidung vom 13. Oktober 2021 – 5 AZR 211/21 mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Arbeitgeber, der seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen musste, seinen Beschäftigten trotzdem Vergütung zu zahlen hat.
Konkreter Fall des BAG
Im April 2020 war das Ladengeschäft des Arbeitgebers aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23. März 2020 geschlossen worden. Deshalb konnte die Klägerin, eine im Verkauf tätige Arbeitnehmerin, nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung. Die Besonderheit war, dass sie als geringfügig Beschäftigte kein Kurzarbeitergeld beziehen konnte. Die Klägerin meinte, die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung ist ein Fall des vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos, so dass ihr der Entgeltfortzahlungsanspruch zusteht.
Das Arbeitsgericht Verden folgte ihrer Ansicht und sah § 615 BGB auch bei staatlich angeordneten Betriebsschließungen in einer Pandemie als einschlägig an. Die dagegen eingereichte Berufung des Arbeitgebers bleib ohne Erfolg. Das LAG Niedersachen bestätigte das Urteil und erkannte in der coronabedingten Betriebsschließung ein Kostenrisiko, das sich zulasten des Arbeitgebers realisiert hat.
Entscheidung des BAG: Pandemie ist kein Betriebsrisiko
Die Revision vor dem BAG brachte die Wende für den Arbeitgeber: Das Risiko des Arbeitsausfalls durch öffentliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Krankheiten, bei denen alle nicht-notwendigen Einrichtungen geschlossen werden, trägt nach Ansicht des BAG nicht der Arbeitgeber. Das BAG begründet dies damit, dass sich bei einer Pandemie kein im Geschäftsbetrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die fehlende Inanspruchnahme der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber ist in diesen Fällen vielmehr die Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer Gefahrenlage. Insoweit hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Zeit der pandemiebedingten Schließung kein Entgelt zu gewähren.
Konsequenzen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Der Fall ist gesondert gelagert gewesen, weil die Arbeitnehmerin von einer Lücke im sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem betroffen war. Arbeitsverhältnisse außerhalb des 450-EUR-Bereichs wurden in der Pandemie in solchen Fällen regelmäßig über Kurzarbeitergeld sozial abgefedert, was bei geringfügig Beschäftigten nicht möglich ist.
Die Entscheidung ist zu begrüßen und präzisiert für die Zukunft die Fälle des Betriebsrisikos.
Während diese Rechtsprechung künftig die Handhabung vergleichbarer Situationen erleichert, stellt sich die Frage nach rückwirkenden Folgen. Sofern nicht bereits Ausschlussfristenregelungen eingreifen, kann der Arbeitgeber bis zum Verjährungseintritt grundsätzlich grundlos gezahlten Arbeitslohn vom Arbeitnehmer zurückfordern. In der Praxis wird er sich aber in den meisten Fällen mit der Einreide der Entreicherung durch den Arbeitnehmer konfrontiert sehen. Dies muss für jeden Einzelfall individuell geprüft werden.
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