Legal Tech

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Legal Tech: Aufbruch in der Rechts­abteilung

Mehr Effizienz, höhere Qualität, neue Leistungen: digitale Tools verändern das juristische Arbeiten

Anwaltsarbeit automatisieren? Das erschien lange als ein Ding der Unmöglichkeit. Kaum ein wirtschaftlicher Bereich ist so komplex wie das Recht. Kein Wunder, dass juristische Dienstleistungen nach wie vor größtenteils von spezialisierten Experten in hoch bezahlter „Handarbeit“ erbracht werden. Doch neue digitale Technologien setzen jetzt auch in der Rechtsabteilung erhebliche Potenziale frei. Vernetzte Tools, Big Data, dynamische Dokumente und neue Analytics-Ansätze machen es möglich. Ein Überblick über aktuelle Trends im Bereich Legal Tech.

Die Digitalisierung kommt in der Rechtsabteilung an. Und dabei geht es um viel mehr als nur inkrementelle Verbesserungen im alltäglichen Workflow oder um marginale Kosteneinsparungen. Auch wenn das Schlagwort vom „Ende der Anwälte“ eine pointierte Überspitzung ist: Die neuen Ansätze bringen für das Arbeiten von Juristen tiefgreifende Veränderungen mit sich. Richtig angepackt entstehen mit den neuen, digitalen juristischen Tools auch neue Rollen, neue Geschäftsfelder und neue Dienstleistungen. Vorausgesetzt, die digitale Transformation hin zu Legal Tech wird mit einer ganzheitlichen strategischen Vision umgesetzt. Dann hilft sie mit, den anstehenden Rollenwandel der Rechtsabteilung zu gestalten – vom „ewigen Bedenkenträger“ zum strategischen Partner im Unternehmen.

Ein qualitativer Sprung

Die Automatisierung setzt ihren Siegeszug derzeit auf einer neuen Ebene fort. Nach dem Shop Floor erfasst sie jetzt auch „White Collar“-Berufsfelder. Ermöglicht wird das von vielen Faktoren – Big Data, KI, Analytics. Wichtig sind dabei auch die neuen Fähigkeiten digitaler Lösungen im Umgang mit natürlicher Sprache. Daten und Dokumente können jetzt massenhaft ausgewertet werden. Selbstlernende Analysetools, künstliche Intelligenz und vernetztes Dokumentenmanagement ziehen in den Kanzleien und Rechtsabteilungen ein, eröffnen neue Dimensionen des juristischen Arbeitens. Innovative Dienstleistungen werden Wirklichkeit – und zwar zu ganz anderen Kostenprofilen. Das kommt heutzutage sogar schon beim Endverbraucher an. Eine bekannte und publikumswirksame Erfolgsgeschichte von Legal Tech ist die des Start-ups Flightright, einem Flugentschädigungs-Dienstleister. Die erfolgreiche Firma spezialisiert sich auf eine exakt definierte Nische mit standardisierten Vorgängen und hoher Datentiefe. Durch die Verknüpfung mit Datenpools, etwa zu Flugdaten und Wettermessungen, kann ein individueller Anspruch viel effizienter geklärt werden, als dies eine einzelne Kanzlei leisten könnte. Damit wird der juristische Schritt für den Mandanten attraktiver – und der Anbieter generiert automatisiert Umsatzchancen. Immer mehr juristische Teilaufgaben können heute ähnlich zielgenau automatisiert werden. Die durch Legal Tech ermöglichte weitreichende digitale Arbeitsteilung bedingt Änderungen in der Aufstellung von Rechtsabteilungen größerer Unternehmen und Law Firms. Dies sind die wesentlichen Einsatzbereiche digitaler Technologie im Bereich Recht:

Juristische Dokumente erstellen

Texte sind das Metier des Juristen, rechtliche Dokumente sein konkretes Produkt. Und ihre Verfassung gestaltet sich längst effizienter als mit einem Diktat. Schon heute arbeiten viele Anwälte bei ihrer umfangreichen Produktion von Schriftstücken mit Hilfsmitteln wie Text-Templates oder „speech to text“-Funktionalität. Und es geht noch besser: Bei den neuen Legal-Tech-Methoden im Dokumentenmanagement arbeitet der Schriftsatz automatisiert Kontextdaten ein, berücksichtigt regionale Besonderheiten, generiert nötige verbundene Schriftstücke, Aktionen und Compliance-relevante Abfragen. Eine Beispielanwendung sind Non-Disclosure-Agreements. Sie werden von Unternehmen in großer Menge benötigt, haben teils repetitive, aber auch teils sehr individuell zugeschnittene Aspekte und sind somit ein idealer Kandidat für smarte Automatisierung. Der Vorteil: die benötigte Zeit für die Erstellung sinkt dramatisch, die Anfälligkeit für Ausführungsfehler ebenso. Für intelligentes Contract Lifecycle Management bietet Deloitte das umfangreiche Tool dTrax, eine Komplettlösung für komplexe Verträge. dTrax erstellt erste Entwürfe selbsttätig und bietet einen Workflow z.B. für Genehmigungen. Durch detaillierte „Playbook“-Vorlagen erleichtert dTrax dem Anwender außerdem das Verhandeln des Entwurfs. Die Microversion Control der Applikation trägt zur Verringerung von Risiken bei und erlaubt einen vollständigen Audit Trail. Und auch nach Unterzeichnung wird der Vertrag vom Tool verwaltet, etwa durch Alerts bei bestimmten Meilensteinen wie etwa Vertragsablauf. Zudem liefert dTrax durch eingebaute Analytics-Funktionen weiterführende Insights in die „Vertragslandschaft“ – z. B. durch Informationen darüber, welche Klauseln besonders oft überarbeitet werden. Das Resultat: schnellere Erstellung, höhere Qualität durch niedrigere Risiken und effizientere Verwaltung von Verträgen über ihren gesamten Lebenszyklus.

Juristische Prozesse managen

Die effiziente Verwaltung und Steuerung von rechtlich relevanten Vorgängen in global aufgestellten Unternehmensgruppen gestaltet sich of als recht komplex und kann mit erheblichen Ineffizienzen verbunden sein. Mit fortschrittlichen Tools wie der von Deloitte entwickelten Applikation „Entity Management“ wird die Erledigung von Routineaufgaben rationalisiert. Dabei werden spezifische Anforderungen der relevanten Jurisdiktion berücksichtigt. So hilft das Tool weltweit aufgestellten Unternehmen, nationale und supranationale Compliance-Bestimmungen im Blick zu behalten. Die Veröffentlichung von Quartalsberichten und anderen Finanzdokumenten ist dabei nur ein Beispiel. Entity Management erzeugt jeweils passende Standarddokumente für unterschiedliche Anwendungen. Daten können direkt aus vorhandenen Datenbanken generiert werden, eine manuelle Übertragung von Daten entfällt. Alerts und grafische Prozess-Charts erleichtern die Arbeit und machen die Bedienung intuitiv. Eine andere attraktive Legal Tech-Anwendung sind sogenannte Expertensysteme, die auch schon in simpler Ausführung eine große Hilfe sein können. Deloitte hat auf diesem Feld modellhaft ein Online-Tool zum Thema Brexit entwickelt. Im „Brexit Navigator“ können sich Firmen über mögliche Auswirkungen, die der Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union auf ihr Unternehmen haben wird, informieren – und zwar in auf den eigenen Fall bezogener individualisierter Form. Insbesondere bei Themen mit länderübergreifender Bedeutung können solche Systeme manch kostspielige Rechtsberatungsleistung externer Anbieter ersetzen.

Juristische Dokumente auswerten und analysieren

Dies ist wohl schon heute die Königsdisziplin von Kollege Roboter: Die intelligente, effiziente Analyse von Rechtsdokumenten im großen Maßstab. Zur juristischen Arbeit gehören natürlich genauso grundlegend das Lesen und Auswerten von Texten wie deren Erstellung. Bei den auszuwertenden Schriftstücken – Verträgen, Verordnungen, Schriftsätzen – handelt es sich aber in technischer Hinsicht vielfach um unstrukturierte Daten. Durch innovative Ansätze wie etwa Textmining können auch in natürlicher Sprache verfasste Schriftstücke verarbeitet werden. Sie werden damit gewissermaßen maschinenlesbar. Aus auf Wahrscheinlichkeiten basierenden Algorithmen ergeben sich vielfältige Analysemethoden und Anwendungen bis hin zu Predictive Analytics. Die Einsatzgebiete für diese Technik sind äußerst weitreichend. Data Extraction ist z.B. im Rahmen der Legal Due Diligence Prüfung bei Unternehmensübernahmen das Mittel der Wahl. So können von dem zu erwerbenden Unternehmen geschlossene Verträge auf bestimmte problematische Klauseln untersucht werden, etwa sogenannte change of control-Klauseln. Darüber hinaus können Ergebnisse der Due Diligence in Form nunmehr strukturierter Daten auch in andere Systeme des Erwerbers eingespeist werden, etwa in das ERP. Damit das alles gelingt, muss die Software allerdings vorab zielführend trainiert werden. In diesem Vorbereitungsschritt müssen übersehene Fälle und fehlerhafte Einschätzungen der Software in einem regelbasierten Prozess durch einen menschlichen „Trainer“ korrigiert werden. Erst dadurch wird das System sicher genug in der Anwendung der Kriterien der Textanalyse und kann fortlaufend verbessert und verfeinert werden. Im Bereich Audit erzielte Deloitte hier schon große Erfolge, etwa mit der eigens entwickelten Anwendung Argus, mit der Wirtschaftsprüfer sehr große Mengen von Dokumenten analysieren können, oder mit D-Ice, einem Consulting-Tool für die Analyse einer Vielzahl von Verträge auf einmal. Die Experten von Deloitte USA haben - basierend auf der Standardlösung Kira - schon mehr als eine Million Dokumente analysiert. An der Durchführung der Analysen waren 3.000 Mitarbeiter beteiligt; dies hat naturgemäß zu einer großen Genauigkeit und Vielfalt der verfügbaren Analyse-Kategorien geführt. Zwischenzeitlich kann die Software insgesamt 200 verschiedene Informationstypen in Dokumenten aufspüren. Da sich die diversen Standardapplikationen am Markt in ihren Profilen im Detail unterscheiden, arbeitet Deloitte, je nach den Bedürfnissen des Kunden, mit unterschiedlichen Tools unterschiedlicher Anbieter (neben Kira auch Leverton, ABBYY Flexicapture, Seal u.a.). Oft sind die vollständige Erfassung oder inhaltliche Zusammenfassung vorliegender Dokumente aber gar nicht nötig. Gesucht wird in manchen Fällen vielmehr die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen: das eine relevante Dokument unter vielen. Hier kommen e-Discovery Lösungen zum Einsatz, die Deloitte insbesondere im Bereich Legal nutzt. Mit Anwendungen wie Relativity können dabei Tausende von Terabytes an Dokumenten analysiert werden. Bei TRA-Ansätzen (Technology Assisted Review) wiederum arbeitet das System dem menschlichen Analysten zu, indem es irrelevante Dokumente und Passagen aussortiert, etwa auf Grundlage vorhergegangener Überarbeitungen und Aktivitäten.

Juristische Leistungen messen

Einerseits machen digitale Tools die Arbeit der Anwälte durch die Einsparung bestimmter umständlicher „manueller“ Schritte effizienter. Andererseits gehen mit der Automatisierung zugleich auch neue Ansätze zur Leistungsmessung einher. Denn Legal Tech ermöglicht in der Rechtsabteilung aussagekräftige, realitätsnahe KPIs, die beim Ressourcen-Management helfen. Sie sollten allerdings strategisch eingebettet sein, sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigen und an einen sich verändernden Workflow anpassbar sein. Nützliche Kennzahlen bieten sich dabei in vielen Bereichen an. So kann die prozentuale Zeitersparnis bei Vertragsverhandlungen automatisch erfasst werden. Der Anteil von Verträgen mit Fehlern oder Ungenauigkeiten kann ebenso aufgezeichnet werden wie der von Verträgen in strukturierter Formatierung oder mit dynamischen Elementen (wie etwa Auto Notification bei Vertragsablauf). Der Zuwachs der Produktivität einer Arbeitskraft wird messbar. Ein Feedback von Anwendern zu ihrer Zufriedenheit kann auf digitalem Weg viel einfacher eingeholt werden und erzeugt unmittelbar aussagekräftige Zahlen. Das ist nicht zuletzt auch hilfreich beim internen Reporting und Executive Information Management. Dashboards und grafische Aufbereitungen erleichtern dabei den Zugriff auf die Daten für ein effizienteres Management-Reporting.

Juristische Arbeit strukturieren

Keine Frage: Legal Tech hat das Zeug, die Arbeit von Anwälten in Unternehmen und Kanzleien zu verändern. Doch wie auch in anderen Bereichen der Digitalisierung ist der Effekt der Automatisierung viel weitreichender als eine bloße Effizienzsteigerung. Während Legal Tech in einigen juristischen Arbeitsbereichen zu geringerem Arbeitsaufwand führt, setzt es zugleich anwaltliche Kapazität für die wirklich kniffligen Einzelfälle frei. Vor allem aber schafft Legal Tech auch ganz neue Tätigkeitsfelder, etwa für die Programmierer und Experten der zugrundeliegenden intelligenten Tools. Es entstehen neue juristisch-technologische Rollen mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen und Leistungsbeschreibungen:

  • Legal Technologists beschaffen die passenden Anwendungen und kümmern sich um Testing sowie Implementierung der Software
  • Legal Analysts wenden Big-Data-Konzepte auf juristische Spezialfragen an
  • Legal Process Manager arbeiten an der Gestaltung von Workflows und Prozessoptimierung
  • Legal Designer widmen sich der grafisch-visuellen Aufarbeitung der gewonnenen Insights
  • Legal Engineers sind universell einsetzbare Generalisten in Sachen Legal Tech
  • Legal Project Manager koordinieren die Projekte in der Abteilung.

Damit Unternehmen und Kanzleien allerdings in Zukunft ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen und der juristische Nachwuchs zugleich dem Rechtsmarkt von Morgen gewachsen ist, muss sich in der Ausbildung noch einiges tun. Erst allmählich rückt Legal Tech in das Blickfeld der Universitäten. In Deutschland hat etwa die private Hamburger Bucerius Law School eine Vorreiterrolle, z.B. mit der Summer School zum Thema „Legal Technology and Operations“ und vergleichbaren Veranstaltungen. Diskutiert wird derzeit die Ausweitung des US-amerikanischen Legal-Tech-Hochschul-Index „Law School Innovation Index“ u.a. auf europäische Universitäten und Law Schools. Deren individuelle Aufstellung in diesem Bereich wäre dann leichter objektiv zu beurteilen, was die Entwicklung unterstützen dürfte.

Mit Legal Management Consulting in die digitale juristische Zukunft

Juristerei goes digital – ein Widerspruch in sich? Ganz im Gegenteil. Wenn man sich nur klar macht, dass Digitalisierung kein Allheilmittel ist, und dass es nicht darum geht, Anwälte durch Maschinen zu ersetzen. Tatsache ist: Der Bedarf an Rechtsberatung wird immer größer, während die regulatorischen Vorgaben immer komplexer werden. Mit traditionellen Arbeitsweisen sind die Anforderungen kaum mehr zu bewältigen – und Legal Tech weist den Weg in die Zukunft. Der digitale Syndikus bleibt natürlich Science-Fiction. Dafür wird aber der von vielen lästigen Routineaufgaben befreite Corporate Lawyer Realität, der sich umso mehr auf die wirklich anspruchsvollen Aspekte anwaltlicher Arbeit konzentrieren kann. Der Legal Technologist, der juristisches Fachwissen cross-disziplinär mit IT-Expertise verbindet und so zu ganz neuen Rechtsaspekten einen Mehrwert fürs Unternehmen schafft. Der General Counsel, der die interne Struktur seines Bereichs mit der Gesamtstrategie des Unternehmens harmonisiert und messbare Benefits zum Ergebnis beiträgt. Aktuelle Studien von Deloitte belegen: Die Zeit ist reif für einen systematischeren, strukturierteren Ansatz in der Rechtsabteilung. Angebote wie Deloitte Legal Management Consulting mit seinem Zugriff auf das weltweite Deloitte Netzwerk aus Experten, Wissen und Infrastruktur helfen Unternehmen, die nicht die Ressourcen und das IT-Fachwissen für die technische Umsetzung mitbringen, um diesen Trend strategisch weitsichtig umzusetzen. Dank Legal Tech eröffnet sich so ein neues Level rechtlicher Arbeit – effizient und innovativ.

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