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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: 03/2024

Ausgewählte aktuelle Rechtsprechung für die betriebliche Praxis

Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der dritten Ausgabe 2024 die Urteile (1) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 23.08.2023 (5 AZR 349/22) zur Kenntnisnahmepflicht des Arbeitnehmers der ihm vom Arbeitgeber zugeteilten Dienste in seiner Freizeit, (2) des BAG vom 17.10.2023 (1 ABR 24/22) zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anordnung eines Verbots der privaten Handynutzug während der Arbeitszeit, (3) das Urteil des Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein vom 06.07.2023 (5 Sa 185 öD/22) zur Abführung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen als besonderer Erfüllungseinwand des Arbeitgebers, (4) des LAG Köln vom 11.07.2023 (4 Sa 359/23) zur Verrechnung von Stundenguthaben auf Arbeitszeitkonten durch den Arbeitgeber sowie (5) des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 28.11.2023 (C-148/22) zum Verbot des Tragens religiöser Zeichen am Arbeitsplatz in der öffentlichen Verwaltung.

1. Dienstzeiten betreffende Nachrichten via SMS müssen von Arbeitnehmern auch in ihrer Freizeit zur Kenntnis genommen werden (BAG Urt. v. 23.08.2023, 5 AZR 349/22)

In seinem Urteil vom 23.08.2023 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) Gelegenheit zur Beantwortung der Rechtsfrage, ob sich ein Arbeitnehmer auch in seiner Freizeit über die ihm zugeteilten Dienste informieren muss.

Die Parteien stritten in dem zu Grunde liegenden Fall über die Gutschrift von Arbeitszeiten auf dem Arbeitszeitkonto des klagenden Arbeitnehmers, die ihm die beklagte Arbeitgeberin abgezogen hatte, da er nicht zu den eingeteilten Diensten erschienen war. Der Kläger ist bei der Beklagten als Notfallsanitäter beschäftigt. Die Beklagte betreibt in fünf Kreisen in Schleswig-Holstein Rettungswachen. Eine auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Betriebsvereinbarung (BV Arbeitszeitgrundsätze) sieht vor, dass Arbeitnehmer mit einer Ankündigungsfrist von mindestens vier Tagen unter Bekanntgabe der Dienstzeit im Voraus zu sog. „Springerschichten“ eingeteilt werden können. Soweit die Dienstzeit noch nicht präzisiert werden kann, wird der Arbeitnehmer zum Tag-, Spät oder Nachtdienst eingeteilt, der bis spätestens 20 Uhr des Vortages konkretisiert wird. Erfolgt keine Konkretisierung, muss sich der Arbeitnehmer am nächsten Tag bei seiner Stammwache melden. Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt (innerhalb in der Corona-Zeit) reichte eine telefonische Meldung aus. Die Beklagte administrierte die Arbeitszeit der Mitarbeiter über ein in der Betriebsvereinbarung bestimmtes Stundenkonto, auf dem auch Überstunden angesammelt werden können.

Der Kläger wurde in der Ausgangsplanung zu einem Springerdienst am 08.04.2021 eingeteilt. Er hatte am 07.04.2021 arbeitsfrei. Die Beklagte übersendete dem Kläger am 07.04.2021 – nach vorherigen ergebnislosen telefonischen Kontaktaufnahmeversuchen am gleichen Tag – eine SMS mit der Mitteilung zum zwischenzeitlich festgelegten Beginn seiner Schicht am 08.04.2021 um 6 Uhr. Der Kläger reagierte auf diese SMS nicht; er meldete sich am 08.04.2021 erst um 7:30 Uhr bei der Beklagten und erfragte den Einsatzort. Die für den Kläger vorgesehene Schicht wurde zwischenzeitlich mit einem Kollegen aus der Rufbereitschaft besetzt, sodass die Arbeitsleistung des Klägers für den konkreten Tag nicht mehr benötigt wurde. Die Beklagte zog dem Kläger zudem für den am 08.04.2021 nicht angetretenen Dienst 11 Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab und erklärte dem Kläger angesichts der nicht erfolgten Aufnahme seiner Arbeitsleistung zum geteilten Schichtbeginn eine Ermahnung.

Im September 2021 ereignete sich eine gleich gelagerte Situation. Der Kläger wurde in der Ausgangsplanung für einen Springerdienst am 15.09.2021 eingeteilt und die Beklagte informierte den Kläger über den Beginn seiner Schicht (6.00 Uhr) in einer am arbeitsfreien Tag des 14.09.2021 an den Kläger versendeten SMS. Der Kläger meldete sich am 15.09.2021 um 7:30 Uhr telefonisch bei der Beklagten, um seinen Einsatz zu erfragen. Die Beklagte teilte ihn für einen Dienst ein, zu dem er aber 1,93 Stunden später erschien als ursprünglich vorgesehen. Auch diese Zeit zog die Beklagte vom Zeitkonto des Klägers ab und erteilte dem Kläger eine Abmahnung für die Nichterbringung der Arbeitsleistung im vorgenannten Zeitraum.

Hiergegen wandte der Kläger sich mit seiner Klage und verlangte, dass die abgezogene Arbeitszeit wieder auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben und die Abmahnung aus seiner Personalakte entfernt wird.

Das BAG wies die Klage ab. Dem Arbeitnehmer sei es zumutbar, in seiner Freizeit die Einteilung zum Dienst zur Kenntnis zu nehmen. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf eine Wieder-Gutschrift der Arbeitszeit für die beiden streitgegenständlichen Zeiträume auf seinem Arbeitszeitkonto, da er seine Arbeitsleistung jeweils nicht ordnungsgemäß angeboten habe und die Beklagte aus diesem Grund jeweils nicht in Annahmeverzug in Bezug auf das jeweilige telefonische Angebot des Arbeitgebers zur Erbringung seiner Arbeitsleistung geraten sei.

Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsleistung so anbieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen bzw. deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO (§ 294 BGB). Ein wörtliches Angebot genügt (nur), wenn der Arbeitgeber ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen (§ 295 BGB). Im streitgegenständlichen Fall habe die Beklagte nicht erklärt, dass sie die Arbeitsleistung in den streitgegenständlichen Zeiträumen nicht annehmen werde; insofern hätte der Kläger seine Arbeitsleistung tatsächlich anbieten müssen. Dies habe er nicht am rechten Ort und zur rechten Zeit getan, da in diesem Fall eine telefonische Anzeige nicht ausreiche. Er hätte sich entsprechend der jeweiligen Weisung der Beklagten um 6 Uhr bei der zugeteilten Wache einfinden müssen und dort seine Arbeitsleistungen anbieten müssen.

Die Arbeitszeit sei von der Beklagten entsprechend der Betriebsvereinbarung wirksam konkretisiert worden. An diese arbeitgeberseitige Weisung sei der Kläger gebunden gewesen. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass er von der Weisung der Beklagten keine Kenntnis gehabt habe. Nach § 241 Abs. 2 BGB sei jede Partei dazu verpflichtet, auf die jeweiligen Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Anderen Rücksicht zu nehmen. Dazu gehöre es auch, die Vorrausetzungen für die Durchführbarkeit des Vertrages zu schaffen. Die sich aus der Betriebsvereinbarung ergebene Pflicht zur Kenntnisnahme der Dienstzeit sei eine solche Nebenpflicht. Die Wahrnehmung dieser Pflicht sei dem Kläger auch in seiner Freizeit zumutbar. Die Ermöglichung der Kenntnisnahme von der konkreten Arbeitszeit inkludiere insoweit nicht, während der relevanten arbeitsfreien Zeit ununterbrochen für den Arbeitgeber erreichbar zu sein. Ausreichend sei, dass der Arbeitnehmer zum maßgeblichen Zeitpunkt (im vorliegenden Fall ab 20.00 Uhr) für einen zeitlich überschaubaren Moment Kenntnis von der konkreten Einteilung der Arbeitszeit nimmt.

Hiermit sei keine unzulässige Einschränkung der Freizeit verbunden, da die Kenntnisnahme der SMS mit einem geringen Zeitaufwand verbunden sei, die nicht als Arbeitszeit zu werten sei. Eine Kollision mit den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes und Art 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (welche die Arbeitszeit als Zeitspanne während der Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt, definiert) sei nicht gegeben. Im Streitfall werden durch die Nebenpflicht zur Kenntnisnahme der Konkretisierung des Dienstes die Möglichkeiten des Klägers, seine Freizeit frei zu gestalten, nicht erheblich beeinträchtigt. Der Kläger kann frei wählen, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nimmt. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS stellt sich als zeitlich derart geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausgegangen werden kann.

Das BAG verneinte, unter Anziehung der vorgenannten Argumentation, auch den außerdem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Der Kläger habe mit dem Nichtnachkommen der Weisung seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Sie stellt für die Praxis hilfreich die Abgrenzung klar zwischen Tätigkeiten, die aufgrund ihres erheblichen Eingriffs in die Freizeit des Arbeitnehmers vergütungspflichtige Arbeitszeit inkludieren (z.B. Rufbereitschaften) und nicht vergütungspflichtigen Pflichten mit einem entsprechenden geringen Eingriff in die Freizeit des Arbeitnehmers. Arbeitgeber können dies insbesondere – wie im vorliegenden Fall – nutzen für kurzfristig erforderliche Abstimmungen zum Arbeitsort und/oder die Arbeitszeit an den relevanten Arbeitstagen, solange der Arbeitnehmer die Abstimmung in seiner Freizeitgestaltung autonom durchführen kann.

2. Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Verbot der privaten Handynutzug während der Arbeitszeit (BAG Beschl. v. 17.10.2023, 1 ABR 24/22)

In seinem Beschluss vom 17.10.2023 hatte das BAG Gelegenheit klarzustellen, dass dem Betriebsrat bei einem durch die Arbeitgeberin ausgesprochenen generellen Verbot der privaten Handynutzung während der Arbeitszeit kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zusteht.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt stritten die Betriebsparteien über das Bestehen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nachdem die Arbeitgeberin ein generelles Handyverbot während der Arbeitszeit ausgesprochen hatte. Die Arbeitgeberin stellt Brems- und Kraftstoffsysteme für Fahrzeuge her. Innerhalb betriebsbedingter Wartezeiten (z.B. wegen Maschinenumbauten oder ausstehender Wareneingänge) kommt es gelegentlich zu Leerlaufzeiten, die viele Arbeitnehmer für die Erledigung privater Angelegenheiten mittels ihres Handys nutzten. Mit einer im Betrieb ausgehängten Mitarbeiterinformation vom 18.11.2021 wies die Arbeitgeberin darauf hin, dass „jede Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet“ sei, wobei bei Verstößen mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung zu rechnen sei.

Der Betriebsrat sah durch diese einseitige Anordnung durch die Arbeitgeberin sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verletzt und leitete nach mehrfacher ergebnisloser außergerichtlicher Aufforderung ein Beschlussverfahren mit dem Antrag ein, dem Arbeitgeber aufzugeben, das Verbot der privaten Handynutzung während der Arbeitszeit zu unterlassen.

Das BAG wies den Antrag zurück. Dies mit der Begründung, dass das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Verbot, Mobiltelefone und Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit zu nutzen, nicht vom Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG umfasst sei. Das von diesem Mitbestimmungsrecht erfasste Ordnungsverhalten des Arbeitnehmers sei (nur) berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs abzielt. Die Einbeziehung des Betriebsrats solle dabei gewährleisten, dass die Arbeitnehmer gleichberechtigt in die Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens eingebunden werden. Das Arbeitsverhalten regelnde Maßnahmen; mithin solche, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar abgefordert oder konkretisiert werde, seien hingegen nicht mitbestimmungspflichtig. Sofern sich die fragliche Maßnahme sowohl auf das Arbeits- als auch auf das Ordnungsverhalten auswirkt, sei der überwiegende Regelungszweck entscheidend.

Das BAG erkannte im vorliegenden Fall, dass das Verbot der privaten Handynutzung während der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber zwar auch das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffe, allerdings in erster Linie auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet sei, da dadurch zügiges und konzentriertes Arbeiten der Arbeitnehmer sichergestellt werden solle, indem Ablenkungen privater Natur unterbunden werden. Unerheblich sei, dass von dem Verbot auch Zeiträume erfasst werden, in denen es aus betrieblichen Gründen zu Arbeitsunterbrechungen komme. Der Arbeitgeberin stehe auch während dieser Zeit das Direktionsrecht gemäß § 106 GewO zu.

Das BAG stellt zudem klar, dass eine mögliche Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Weisung weder ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG begründet noch die Weisung entfallen lasse. Mangels einer dem Arbeits- und Gesundheitsschutz dienenden gesetzlichen Handlungspflicht der Arbeitgeberin bestehe auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG fügt sich in Bezug auf die Abgrenzung zwischen dem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten und dem mitbestimmungsfreien Weisungsverhalten zur Konkretisierung der Arbeitsleistung in seine ständige Rechtsprechung ein. Sie ist für die Praxis hilfreich, indem Arbeitgeber solche – aus empirischer Sicht unverändert nicht selten zu beobachtenden – privaten Mobiltelefonnutzungen während der Arbeitszeit vom Betriebsrat autonom verbieten können, wenn und weil sie den unmittelbaren Bezug der Handynutzung auf die konkret vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung darlegen können.

3. Abführung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen als besonderer Erfüllungseinwand des Arbeitgebers auch bei Streit über Arbeitnehmereigenschaft (LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 07.07.2023, 5 Sa 185 öD/22)

Mit seinem Urteil vom 06.07.2023 hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein die Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 30.04.2008, 5 AZR 725/07) zum besonderen Erfüllungseinwand der Abführung von Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträgen auch für den Fall bestätigt, dass Streit über den Status eines Mitarbeiters als Arbeitnehmer besteht. Der Arbeitgeber kann auch in diesem Fall mit Erfüllungswirkung gegenüber dem Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers Steuern und Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abführen, soweit es für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Abführung nicht eindeutig erkennbar ist, dass eine Verpflichtung zur Abführung tatsächlich nicht besteht.

Der klagende Arbeiternehmer war im streitgegenständlichen Sachverhalt auf der Grundlage eines „Dienstleistungsvertrags“ als Altenpfleger in einem Pflegeheim der beklagten Arbeitgeberin tätig. Die Beklagte, die den Kläger zunächst als freien Mitarbeiter beschäftigt hatte, zweifelte im Nachhinein an der Richtigkeit dieser Entscheidung und behielt daher zunächst 40 % der vereinbarten Vergütung ein. Der Kläger war der Meinung, dass er seine Leistungen bei der Beklagten nicht als Arbeitnehmer, sondern als Selbständiger erbracht habe, und machte für den Leistungszeitraum vom 17.12.2020 bis 30.12.2020 noch ausstehende Vergütungszahlungen in Höhe von 15.787 EUR geltend.

Nach Klageerhebung stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund im Rahmen einer Betriebsprüfung fest, dass der Kläger bei der Beklagten in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig sei. Auch das Finanzamt stufte die Beschäftigung bei einer anschließenden Lohnsteueraußenprüfung als Arbeitsverhältnis ein. Im Verlauf des Rechtsstreits führte die Beklagte für den Kläger daraufhin Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge sowie Solidaritätszuschlag ab und zahlte den noch verbleibenden Restbetrag in Höhe von 2.527,25 EUR an den Kläger aus.

Das Arbeitsgericht (ArbG) Kiel wies die Klage mit Urteil vom 02.09.2022 (6 Ca 245 öD c/22) mit der Begründung ab, dass der Vergütungsanspruch des Klägers durch die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer erfüllt sei (besonderer Erfüllungseinwand der Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträgen). Der Kläger legte gegen die Entscheidung Berufung ein und wandte ein, dass er bei der Beklagten nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die Arbeitsgerichte seien nicht an die Beurteilungen der Sozialversicherungs- und Lohnsteuerbetriebsprüfung gebunden. Weiter hielt es der Kläger für rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagte auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung berufe, obwohl sie mit dem Kläger einen Dienstvertrag abgeschlossen habe und insofern selbst davon ausgegangen sein muss, dass der Kläger nicht als Arbeitnehmer tätig werde.

Das LAG Schleswig-Holstein wies die Berufung des Klägers zurück.

Die Vergütungsansprüche des Klägers seien in voller Höhe durch die Beklagte gemäß § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfüllt worden. Soweit die Beklagte einen Teil der Vergütung einbehalten und als Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern abgeführt habe, greife der besondere Erfüllungseinwand der Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträgen, denn sowohl die Lohnsteuer als auch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung seien aus dem Vermögen des Arbeitnehmers zu erbringen (§ 38 Abs. 2 Einkommenssteuergesetz (EstG) bzw. § 28e Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 28g Sozialgesetzbuch IV (SGB IV)) und der Arbeitgeber sei zum Einbehalt und zur Abführung verpflichtet. Daher erfülle der Arbeitgeber mit der Abführung seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Dieser besondere Erfüllungseinwand gelte auch dann, wenn streitig sei, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliege.

Nur in den Fällen, in denen für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Abführung eindeutig erkennbar sei, dass eine Verpflichtung zur Abführung nicht bestehe, könne sich der Arbeitgeber nicht auf den besonderen Erfüllungseinwand berufen. Im vorliegenden Fall sei dies aber nicht gegeben, da die Beklagte auf die Richtigkeit der Bescheide der Sozialversicherungsträger sowie des Finanzamtes vertrauen durfte, da diese jedenfalls nicht offenkundig unrichtig seien. Im Übrigen müsse der Arbeitnehmer Einwendungen gegen die Richtigkeit der abgeführten Beiträge im Wege der sozial- und steuerrechtlichen Rechtsbehelfe geltend machen; zu einer entsprechenden Überprüfung seien die Arbeitsgerichte nicht befugt.

Es sei von der Beklagten auch nicht rechtsmissbräuchlich, sich auf den Erfüllungseinwand durch die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sowie der Lohnsteuer zu berufen, da die Abführung nicht aus einem freien Entschluss der Beklagten und nicht zu deren wirtschaftlichem Vorteil, sondern aufgrund der Aufforderung durch die entsprechenden Behörden erfolgte und bei einer Nichtbefolgung der Beklagten eine Strafbarkeit drohte.

Folgen für die Praxis

Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein sensibilisiert Arbeitgeber, die während und kurz nach Abschluss eines Dienst- oder Werkvertrages Zweifel an der zutreffenden statusrechtlichen Einordnung eines freien Mitarbeiters haben, dafür, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge mit Erfüllungswirkung einzubehalten und abzuführen. Arbeitgeber haben bei einer solchen Vorgehensweise zu beachten, dass ein nachträglicher Einbehalt nur in den Grenzen des § 28g S. 3 und 4 SGB IV möglich ist. Danach darf ein unterbliebener Abzug grundsätzlich nur für die nächsten drei Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden; darüber hinaus nur, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Dies verdeutlicht, dass Arbeitgeber bei Unsicherheiten hinsichtlich des Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht nur wegen potenzieller strafrechtlicher Risiken frühzeitig, möglichst vor Beginn der Beschäftigung, den steuer-, sozialversicherungs- und arbeitsrechtlichen Status prüfen lassen bzw. ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung einleiten sollten.

4. Verrechnung von Stundenguthaben auf Arbeitszeitkonten nicht ohne Zustimmung des Arbeitnehmers rechtmäßig (LAG Köln Urt. v. 11.07.2023, 4 Sa 359/23)

In seinem Urteil vom 11.07.2023 befasste sich das LAG Köln mit der Frage, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, die für den Arbeitnehmer geführten Zeitkonten, ohne dessen Zustimmung, miteinander zu verrechnen.

Im dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt arbeitet der Kläger seit dem 01.04.2015 als Leitstellendisponent bei der Beklagten, einer Flughafenfeuerwehr, deren Mitarbeiter in 24-Stunden Diensten tätig sind. Die Berechnung und Verbuchung der Arbeitszeiten auf unterschiedliche Arbeitszeitkonten regelt unter anderem die „Betriebsvereinbarung 01/2013 über die Arbeitszeitgestaltung für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen K/B GmbH“ (BV Arbeitszeit). Die Beklagte führte danach für die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitarbeiter ein Sollkonto, ein Stundenkonto, ein Lebensarbeitszeitkonto, ein Feiertagskonto und ein Jahressollkonto. Auf dem Sollkonto werden zu Beginn des Kalenderjahres die jährlich von jedem Mitarbeiter geschuldeten 120 Schichten als Minus abgebildet, die über das Kalenderjahr abgebaut werden müssen. Die Schichten werden arbeitgeberseitig auf die Mitarbeiter verteilt, wobei Frei- und Tauschwünsche nach Bewilligung beachtet werden können. Fortbildungen und Tagesdienste werden nicht auf die Sollkonten gebucht, sondern auf dem Stundenkonto erfasst. Guthaben aus diesem Stundenkonto können in das Lebensarbeitszeitkonto übertragen werden, die den Mitarbeitern den vorzeitigen Ruhestand ermöglichen sollen.

§ 4 Abs. 5 BV Arbeitszeit BV bestimmt hierzu: „Werden auf dem Stundenkonto 16 Stunden angesammelt, können diese als eine Schicht vom Sollkonto abgezogen werden oder in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden.“ Eine Verrechnung etwaiger Guthaben auf dem Stundenkonto mit ausstehenden Zeitschulden auf dem Sollkonto zum Ende eines Jahres fand seit Inkrafttreten der Arbeitszeit BV am 01.01.2013 statt.

Die Beklagte buchte fehlende Sollschichten ab dem Jahreswechsel 2015/2016 nahezu jährlich zum Jahreswechsel vom Stundenkonto des Klägers auf dessen Sollkonto um und verrechnete so insgesamt 1.776 Stunden miteinander. In der Spitze wurden beim Kläger bis zu 560 Stunden (Jahreswechsel 2020/2021) umgebucht. Die Zustimmung zu den Verrechnungen holte die Beklagte zu keinem Zeitpunkt ein.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte ohne seine Zustimmung nicht zur Umbuchung und Verrechnung berechtigt gewesen sei. Insbesondere hätte die Beklagte ihm ermöglichen müssen seine 120 Sollschichten tatsächlich abzuleisten. Sofern die Beklagte die Ableistung der Schichten nicht anbiete, befinde sie sich im Annahmeverzug. Zudem habe die Beklagte Mitarbeiter mit hohen Stundenkonten bei der Einteilung der Schichten weniger berücksichtigt.

Die Beklagte ist der Ansicht, eine Zustimmung des Klägers sei nicht erforderlich gewesen. Die Möglichkeit der Verrechnung von Zeitguthaben des Stundenkontos mit den Zeitguthaben des Sollkontos ergebe sich aus den betrieblichen Regelungen.

Nachdem das ArbG Köln die Klage abgewiesen hat, hatte die Berufung des Klägers teilweise Erfolg. Das LAG Köln vertritt die Auffassung, die Beklagte könne nicht einseitig und ohne Zustimmung eine Verrechnung der Zeitguthaben der Arbeitszeitkonten vornehmen. Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die den Arbeitgeber dazu berechtigen würde, Verrechnungen zwischen dem Stunden- und dem Sollkonto einseitig vorzunehmen, sei unwirksam. Eine solche einseitige Verrechnung würde das Betriebsrisiko des Arbeitgebers in unrechtmäßiger Weise auf die Belegschaft übertragen. Die Beklagte würde so ohne Weiteres berechtigt, arbeitsfähige und arbeitswillige Mitarbeiter nicht mehr einzusetzen. Dies hätte zur Folge, dass der Arbeitsausfall - also die Realisierung des Betriebsrisikos - keine finanzielle Konsequenzen für die Beklagte hätte. Sie müsste hiernach ausschließlich die Stunden vergüten, die der Mitarbeiter in der Vergangenheit abgeleistet hat. Betriebsbedingte Arbeitsausfälle sind jedoch nach § 615 BGB vom Arbeitgeber unter Zahlung des vereinbarten Lohns zu vergüten. Auch wenn die Regelung des § 615 BGB grundsätzlich abdingbar ist, so kann der Arbeitgeber jedoch nicht generell das ihn treffende Arbeitsentgeltrisiko auf den Arbeitnehmer verlagern. Dies habe die Beklagte vorliegend jedoch getan.

Nach Auslegung von § 4 Abs. 5 Arbeitszeit BV liege es nahe, dass der Mitarbeiter die Entscheidung treffen dürfe, ob die Stunden verrechnet würden oder nicht, da diese Entscheidung unmittelbare Auswirkung auf seine finanzielle Situation habe. Im Falle der Verrechnung erhalte der Mitarbeiter Freizeit, aber keinen Lohn. Falls keine Verrechnung vorgenommen werde, müsse der Mitarbeiter – obwohl sein Stundenkonto ein Guthaben aufweist – dennoch sämtliche 120 Schichten pro Jahr erbringen.

Die Kammer stellte zudem fest, dass die Umbuchung von Stunden in erheblichem Umfang zum Ende des Jahres auch keine allgemein anerkannte bzw. gelebte Praxis war. In den Jahren bis 2020 betrug die Zahl der umgebuchten Stunden lediglich bis zu 176 Stunden pro Jahr. Zum Jahreswechsel 2020/2021 wurden beim Kläger jedoch 560 Stunden verrechnet.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des LAG Köln stellt klar, dass Arbeitgeber eine Verrechnung von Stundenguthaben auf Arbeitszeitkonten nicht ohne Weiteres ohne die Zustimmung des Arbeitnehmers durchführen können. Insbesondere ist die eigenmächtige Umbuchungs- oder Verrechnungspraxis unzulässig, wenn hierdurch eine Verlagerung des Betriebsrisikos vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer stattfindet. Arbeitgeber, die in ihrer betrieblichen Praxis Umbuchungen oder Verrechnungen zwischen Arbeitszeitkonten einseitig vornehmen, sollten daher genau prüfen, ob diese Vorgehensweise zu einer solchen Risikoverlagerung führt, die in der Folge zu einer unwirksamen Verrechnung der Arbeitszeitguthaben führt. Dies könnte aus Sicht des Arbeitgebers im schlimmsten Fall dazu führen, dass Arbeitnehmer große Arbeitszeitguthaben anhäufen, die vom Arbeitgeber ggf. monetär abzugelten wären.

5. Ein Verbot des Tragens religiöser Zeichen am Arbeitsplatz kann in der öffentlichen Verwaltung zur Schaffung eines neutralen Arbeitsumfelds rechtmäßig sein (EuGH Urt. v. 28.11.2023, C-148/22)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 28.11.2023 (C-148/22) zum Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts Lüttich (Belgien) über die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a und b RL 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) entschieden, dass eine interne Regel einer Gemeindeverwaltung zum allgemeinen und undifferenzierten Verbot zum Tragen von sichtbaren Zeichen am Arbeitsplatz, die unter anderem weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, damit gerechtfertigt werden kann, dass die Gemeindeverwaltung unter Berücksichtigung ihres spezifischen Kontexts ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld schaffen möchte, sofern diese Regel im Hinblick auf diesen Kontext und unter Berücksichtigung der verschiedenen betroffenen Rechte und Belange geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist.

In dem der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Klägerin, die als Büroleiterin für die Gemeinde Ans (Belgien) mit einem Minimum an Bürgerkontakt beschäftigt war, beantragt, ein muslimisch-religiöses Kopftuch am Arbeitsplatz tragen zu dürfen. Das Gemeindekollegium lehnte diesen Antrag ab und untersagte der Klägerin vorläufig bis zum Erlass einer allgemeinen Regelung das Tragen des Kopftuches als religiöses Erkennungszeichen. Kurze Zeit später änderte der Gemeinderat der Gemeinde Ans die Arbeitsordnung der Gemeinde und führte eine Verpflichtung zur „exklusiven Neutralität“ ein, die es allen Arbeitnehmern der Gemeinde unabhängig davon, ob sie Bürgerkontakt haben oder nicht, verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare religiöse oder weltanschauliche Erkennungszeichen zu tragen.

Die Klägerin erhob daraufhin Klage vor dem Arbeitsgericht Lüttich auf Feststellung, dass die Entscheidungen der Gemeinde sowie die Änderung der Arbeitsordnung sie wegen ihrer Religion diskriminieren und in ihrer Religionsfreiheit verletzt würden.

Das Arbeitsgericht entschied für den Zeitraum bis zur Änderung der Arbeitsordnung zugunsten der Klägerin, setzte das Verfahren jedoch aus und ersuchte den EuGH in Hinblick auf die Änderung der Arbeitsordnung um Vorabentscheidung, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78/EU dahin auszulegen ist, dass er der öffentlichen Verwaltung erlaubt, ein vollständig neutrales Arbeitsumfeld zu gestalten und folglich dem gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Bürgerkontakt besteht, das Tragen von Erkennungszeichen bestimmter Überzeugungen zu verbieten.

Der EuGH beantwortete die Frage dahingehend, dass eine von einem öffentlichen Arbeitgeber aufgestellte interne Regel, die das sichtbare Tragen jedes Zeichens religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die diese Regel enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Eine solche Ungleichbehandlung führt aber nicht zwingend zu einer Diskriminierung, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind. Ein solches sachliches Ziel kann die Neutralität des öffentlichen Dienstes sein. Die Mitgliedstaaten der Europäisches Union haben, einschließlich ihrer unteren Verwaltungsebenen, einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, welche sie am Arbeitsplatz fördern möchten. Diese Zielsetzung muss jedoch tatsächlich in einheitlicher und systematischer Weise verfolgt werden, was zur Folge hat, dass entsprechende Regelungen allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal angewandt werden und sich auf das absolut Notwendigste beschränken müssen. Die Überprüfung, ob dies der Fall sei, obliegt im jeweiligen Einzelfall den nationalen Gerichten.

Folgen für die Praxis

Mit dem Urteil entschied der EuGH erstmalig, dass auch öffentliche Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern untersagen können, religiöse oder weltanschauliche Erkennungszeichen am Arbeitsplatz zu tragen, wenn die konkreten Regelungen so ausgestaltet sind, dass diese für jegliche Erkennungszeichen sowie unterschiedslos und allgemein für das gesamte Personal gelten und sich auf das absolut Notwendigste beschränken.

Aus der Sicht der deutschen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ist in der Rezeption dieses EuGH-Urteils in die betriebliche Praxis jedoch Vorsicht geboten: Das BAG ist in seiner Rechtsprechung strenger, indem es die Anforderungen an der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung von betroffenen Mitarbeitern nach Maßgabe der §§ 1, 7 und 8 AGG höher ansetzt und in der konkreten Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Mitarbeiters an der relevanten Ausübung des Glaubensbekenntnisses und dem Interesse der staatlichen Institution an der Einhaltung des religionenbezogenen Neutralitätsgebot der Glaubensfreiheit ein so hohes Gewicht beimisst, dass der Arbeitgeber das Neutralitätsgebot uneingeschränkt nur dann durchsetzen können soll, wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Neutralität besteht (s. zuletzt etwa das Urteil des BAG v. 27.08.2020, 8 AZR 62/19, zur verfassungskonformen Auslegung des § 2 des Berliner Neutralitätsgesetzes zum Verbot des Tragens von sichtbaren glaubensbezogenen Zeichen unter anderem in Schulen, Polizei, Rechtspflege und Justizvollzug). Vor diesem Hintergrund würde im vorliegenden Kontext die Bewertung des Aspektes, dass kein Bürgerkontakt bestehe, deutlich schwerer ins Gewicht fallen.

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