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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: Oktober 2023

Aktuelle Rechtsprechung im Arbeitsrecht

Unsere "Monthly Dose" Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der Oktober-Ausgabe 2023 die Urteile (1) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30.03.2023 zur Haftung eines GmbH-Geschäftsführers gegenüber Arbeitnehmern der GmbH bei unterbliebener Mindestlohnzahlung, (2) des BAG vom 29.06.2023 zur Verwendung von Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung in arbeitsgerichtlichen Kündigungsrechtsstreiten, (3) des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22.06.2023 zur Vereinbarkeit der Personalgestellung im öffentlichen Dienst mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie, (4) des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm vom 15.05.2023 zum Weisungsrecht des Arbeitgebers in einem Prozessbeschäftigungsverhältnis auf Grund der Titulierung eines (Weiter-)Beschäftigungsanspruchs sowie (5) des LAG München vom 22.05.2023 zum Initiativrechtrecht des Betriebsrats bei Einführung einer Arbeitszeiterfassung.

1. (Keine) Persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers gegenüber Arbeitnehmern der GmbH für die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns (BAG Urt. v. 30.03.2023, 8 AZR 120/22)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 30.03.2023 (8 AZR 120/22) entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH gegenüber den Arbeitnehmern der GmbH nicht auf die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) haftet.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt bezog der klagende Arbeitnehmer von der GmbH aus dem seit 1996 bestehenden Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr 2017 eine monatliche Bruttovergütung von 1.780 EUR (auf Basis einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden). Nachdem der Arbeitgeber Anfang 2017 mit der Zahlung der monatlichen Vergütungen in Verzug geraten war, machte der Kläger für den Monat Juni 2017 ein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf die Erbringung seiner Arbeitsleistung geltend. Regulär hätte er im Juni 2017 an 22 Arbeitstagen seine Arbeitsleistung erbracht und mithin 176 Arbeitsstunden gearbeitet. Nachdem der Arbeitgeber nach entsprechender außergerichtlicher Zahlungsaufforderung durch den Kläger die Vergütung für den Monat Juni 2017 nicht gewährte und in der Folgezeit insolvent ging, erhob der Kläger gegen die beklagten Geschäftsführer der GmbH Klage auf Schadensersatz, den er auf die Rechtsgrundlage von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m §§ 21 Abs. 2 Nr. 9, 20 MiLoG stützte, und dessen Höhe er auf 1.555,84 EUR (= 176 x 8,84 EUR (als im Juni 2017 maßgeblicher stündlicher Mindestlohn).

Der Kläger argumentierte, dass es sich bei der gesetzlichen Vorschrift des § 20 MiLoG, nach der eine Gesellschaft zur Zahlung des Mindestlohns verpflichtet ist, um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer handelt. Da die Geschäftsführer einer GmbH bei einem fahrlässigen oder vorsätzlichen Verstoß gegen die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns nach Maßgabe des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG auch persönlich zur Zahlung eines Bußgeldes herangezogen werden können, müssten die Beklagten vorliegend auch den Arbeitnehmern persönlich für nicht gezahlten Mindestlohn haften.

Das BAG hat, wie auch bereits die beiden vorinstanzlichen Gerichte, die Klage abgewiesen und die persönliche Haftung der Geschäftsführer abgelehnt. Bei den Vorschriften des Mindestlohngesetzes, die auch eine Bußgeldpflicht der Geschäftsführer im Falle des Verstoßes zur Folge haben können (§ 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG) handele es sich nicht um Vorschriften, die den Schutz der Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Geschäftsführern bezweckten. Deshalb könnten Arbeitnehmer für nicht gezahlten Mindestlohn nach dem MiLoG keinen direkten Anspruch gegen die Geschäftsführer auf Schadensersatz (§ 823 Abs. 2 BGB) geltend machen. Dieses Ergebnis begründet das BAG wie folgt:
Für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft haftet grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Die Haftung der Geschäftsführer ist – mit Blick auf die Haftung nach Maßgabe des § 43 Abs. 2 GmbHG – prinzipiell auf das Verhältnis zur Gesellschaft begrenzt. Eine Haftung der Geschäftsführer gegenüber Gläubigern, auch gegenüber Arbeitnehmern der Gesellschaft, gibt es daher in der Regel nicht. Zwar umfasst die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die nach § 43 Abs. 1 GmbHG den Geschäftsführern einer GmbH aufgrund ihrer Organstellung obliegt, auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (sog. Legalitätspflicht). Aber auch diese Pflicht besteht grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft und nicht auch im Verhältnis zu den Arbeitnehmern der Gesellschaft.

Ein Geschäftsführer einer GmbH hafte insoweit nur dann persönlich gegenüber den dritten Gläubigern für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wenn ein besonderer Haftungsgrund gegeben sei. Dieser könne sich im Rahmen einer Schadensersatz-Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben, wenn das auf den konkreten Sachverhalt relevante zwingende Recht Drittschutz zugunsten der Arbeitnehmer entfalte. Ein solcher Drittschutz sei den gesetzlichen Regelungen des MiLoG zur Verpflichtung des GmbH-Arbeitgebers zur Zahlung des Mindestlohns (§ 20 MiLoG) sowie zur persönlichen Verantwortung der GmbH-Geschäftsführer im Rahmen des Bußgeldtatbestands der Nicht-Zahlung des Mindestlohns gemäß §§ 20, 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG nicht zu entnehmen. Anderenfalls hätten die Arbeitnehmer schon bei nur leichter Fahrlässigkeit Schadensersatzansprüche in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Geschäftsführern. Dies widerspreche dem vom Gesetz angelegten Haftungssystem der GmbH sowie der grundsätzlichen Stellung der Gesellschaft als Schuldnerin der Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer.

Folgen für die Praxis: 2 Kern-Leitsätze und 2 weitere Sensibilisierungen für die Praxis

Das Urteil des BAG fügt sich in seine Rechtsprechung zur grundsätzlich zu verneinenden persönlichen Haftung des GmbH-Geschäftsführers gegenüber den Arbeitnehmern aus arbeitgeberbezogenen Verpflichtungen der GmbH aus dem Arbeitsverhältnis ein. So hatte das BAG in der Vergangenheit etwa die Haftung des GmbH-Geschäftsführers für eine unterlassene Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeit-Arbeitsverhältnissen (§ 8a ATG) bei anschließender Insolvenz des Arbeitgebers verneint (Urt. v. 23.02.2010, 9 AZR 44/09).

Zugleich sensibilisiert das Urteil GmbH-Geschäftsführer – einmal mehr – für das bußgeldbezogene Haftungsrisiko bei Nichtbeachtung der Vorgaben des MiLoG für die Vergütung der Arbeitnehmer. In diesem Zusammenhang gibt das BAG zwei weitere Impulse für die Praxis: (1) Es lässt anklingen, dass nach seiner Einschätzung der Bußgeld-Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG eine Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers voraussetzt und dieser daher bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht gegeben ist. (2) Es lässt offen, ob der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG auch die Nichtzahlung der Vergütung in Höhe des Mindestlohns für Zeiten ohne Arbeitsleistung erfasst. In der Praxis wird dies von der überwiegenden zutreffenden Auffassung in der Literatur verneint.

2. Datenschutz begründet keinen Tatenschutz oder weiterhin mögliche Nutzung der fruit of the poison tree – Kein beweisbezogenes Verwertungsverbot von Erkenntnissen aus einer nicht DSGVO-konformen offenen Videoüberwachung im Kündigungsrechtsstreit (BAG Urt. v. 29.06.2023, 2 AZR 296/22)

In seinem Urteil vom 29.06.2023 (2 AZR 296/22) hatte das BAG erneut die Gelegenheit, über die zulässige Verwertung von Erkentnnissen des Arbeitgebers aus nicht datenschutzkonformen (Überwachungs-)Handlungen in einem Kündigungsrechtsstreit zu entscheiden. Zudem konnte das BAG in dem Urteil den Rechtssatz aufstellen, dass die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung keine Einschränkung der Verwertung von Daten aus Überwachungshandlungen des Arbeitgebers in einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits bestimmen können.

Streitgegenstand des Kündigungsrechtsstreits war ein vom beklagten Arbeitgeber dem klagenden Arbeitnehmer vorgeworfener Arbeitszeitbetrug. Konkret warf der Beklagte dem Kläger vor, am 02.06.2018 eine Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Dazu habe der Kläger an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung derAufzeichnungen der durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an Tor 5 zum Werksgelände ergab nach dem Vorbringen des Beklagten aber, dass der Kläger dieses vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Der Kläger erhob gegen die Kündigung Klage und behauptete, am besagten Tag gearbeitet zu haben. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften im Kündigungsrechtsstreit nicht berücksichtigt werden. Die Videoüberwachung verstieße gegen die zwingenden datenschutzrechtlichen Vorgaben der DSGVO und des BDSG. Zudem seien die Aufnahmen zu lang gespeichert worden. Hinweisschilder hätten lediglich die Speicherdauer von 96 Stunden ausgewiesen, welche hier überschritten worden sei. Ferner habe im Betrieb zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Sachverhalts eine Betriebsvereinbarung gegolten, nach der Videoaufzeichnungen nicht zur Auswertung personenbezogener Daten verwendet werden dürfen. Die beiden Instanzgerichte folgten dieser Argument zum Beweisverwertungsverbot und gaben der Kündigungsschutzklage statt.

Das BAG gab demgegenüber der von der Beklagten gegen das zweitinstanzliche Urteil eingelegten Revision statt, hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LAG zurück. Zur Begründung führte das BAG aus, dass sich der Arbeitgeber im Kündigungsrechtsstreit zum Beweis eines angeblichen Pflichtverstoßes des Arbeitnehmers auf Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung auch dann berufen könne, wenn bei der Videoüberwachung möglicherweise nicht alle datenschutzrechtlichen Vorgaben beachtet wurden. Ein Verwertungsverbot komme in Betracht, wenn dies wegen einer durch das Grundgesetz geschützten Rechtsposition einer Prozesspartei zwingend geboten sei. Nur wenn eine Überwachungsmaßnahme also einen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß nach sich ziehe, könne im Ausnahmefall ein Verwertungsverbot in Betracht kommen. Im Fall einer offenen Videoüberwachung und wenn – wie im konkreten Fall - ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers im Raum stehe, liege dies aber nicht vor, da dem Arbeitnehmer aufgrund der Erkennbarkeit der Überwachung kein Ausspähungsschutz, sondern ausschließlich ein Schutz hinsichtlich Dokumentation, Verbreitung und der Entfaltung seiner selbst zukomme. Gegenüber dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse des Arbeitgebers die Videoaufzeichnungen als Tatbeweis im Kündigungsschutzprozess zu verwenden, müssten die Schutzzwecke des Arbeitnehmers zurücktreten. In Anbetracht dieser Abwägung sei es auch grundsätzlich irrelevant, wie lange mit der erstmaligen Einsichtnahme in die Videoaufzeichnungen zugewartet und diese gespeichert wurden. Denn ob die Videoaufzeichnung in jeder Hinsicht den Vorgaben der DS-GVO oder des BDSG entspreche, spiele bei der Frage nach der Verwertbarkeit keine Rolle. Das BAG folgt mit diesen Rechtssätzen seiner bisherigen Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von nicht-datenschutkonform erlangten Tatsachen zu einer konkreten vorsätzlichen Verletzung von relevanten Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer in einem Kündigungsrechtsstreit (s. nur Urt. v. 23.08.2018, 2 AZR 133/18).

Das BAG konnte zudem den entscheidungserheblichen Rechtssatz aufstellen, dass die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung kein prozessuales Beweisverwertungsverbot eigenständig begründen könnten – etwa durch die Bestimmung, dass aus Überwachungshandlungen gewonnene Daten ausnahmslos nicht zur Auswertung von relevanten personenbezogenen Daten verwendet werden dürfen. Den Betriebsparteien fehle für einen solchen Komplex der Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens die Regelungsbefugnis, da dessen Ausgestalung ausschließlich dem Gesetzgeber unterliege.

Folgen für die Praxis

Wenn sich der Arbeitgeber in Kündigungsschutzprozessen auf ein unter Umständen nicht in jeder Hinsicht rechtmäßig erlangtes Videomaterial bezieht, müssen die Gerichte eine Interessenabwägung vornehmen. Insofern stehen sich zum einen die Bedeutung der datenschutzrechtlichen Vorschriften, gegen die verstoßen wurde, und zum anderen die Bedeutung der dem Arbeitnehmer vorgeworfenen Pflichtverstoßes gegenüber. Dabei bleibt das BAG bei seiner auch bisher vertretenen verwertungsfreundlichen Auffassung: Datenschutz begründet keinen Tatenschutz. Datenschutzrechtliche Verstöße führen nur zu Verwertungsverboten, wenn die Überwachungsmaßnahme zu einer schwerwiegenden Grundrechtsverletzung führen. Dies wird vor allem bei einer offenkundigen Überwachung zu verneinen sein. Unternehmen sollten bei Videoüberwachungen und anderen Kontrollmaßnahmen daher stets transparent agieren. Für die Praxis hilfreich ist auch die Erkenntnis des BAG, dass sich ein Beweisverwertungsverbot von datenschutzrechtlich etwa unzulässig gewonnenen Daten auch nicht aus einer Betriebsvereinbarung ergeben könne, da den Betriebsparteien für diesen Regelungsgegenstand die betriebsverfassungsrechtliche Gestaltungskompetenz fehle. Vor diesem Hintergrund laufen die in der Praxis noch oft anzutreffenden Regelungen in einer Betriebsvereinbarung über Videowachungen, dass der Arbeitgeber aus den Überwachungsergebnissen keine Auswertung von personenbezogenen Daten vornehmen werde, jedenfalls in Bezug auf die Vewertung relevanter Daten in Kündigungsrechtsstreiten praktisch leer. Dies haben die Betriebsparteien in der Abwicklung solcher Betriebsvereinbarungen und der Arbeitgeber in der Kommunikation gegenüber den Arbeitnehmern zu berücksichtigen.

3. Personalgestellung im öffentlichen Dienst nicht mit EU-Leiharbeitsrichtlinie unvereinbar (EuGH Urt. v. 22.06.2023, C-427/21)

Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 22.06.2023 (C-427/21) die Möglichkeit, die Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/14/EG (EU-Leiharbeitsrichtlinie) auf die Personalgestellung im öffentlichen Dienst nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) zu beurteilen.

Eine Personalgestellung nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 TVöD liegt vor, wenn die bisher vom Arbeitnehmer erbrachten Aufgaben auf einen Dritten ausgelagert werden und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu anweist, im Rahmen des weiter bestehendem Arbeitsverhältnisses die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung bei dem Dritten zu erbringen. Im Faktischen ähnelt diese Konstellation einer Arbeitnehmerüberlassung, indem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung bei dem Dritten auf der Grundlage des fachlichen Weisungsrechts des Dritten erbringt, und für die EU-Leiharbeitsrichtlinie inhaltliche Restriktionen unter anderem in Bezug auf die generell nur zeitlich befristete Durchführung der Arbeitnehmerüberlassung (nur von vorübergehender Dauer) bestimmt hat, die der deutsche Gesetzgeber grundsätzlich im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) umgesetzt hat. Zugleich hat der deutsche Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG bestimmt, dass das AÜG nicht auf die Personalgestellung nach Maßgabe des § 4 Abs 3. TvÖD anwendbar ist. Die EU-Leiharbeitsrechtlinie sieht eine solche Ausnahme von ihrem Anwendungsbereich nicht vor. Die Rechtsprechung hatte bisher keine Gelegenheit, über die Vereinbarkeit der Herausnahme der Personalgestellung vom Anwendungsbereich des AÜG mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie zu entscheiden. In der Praxis wurde dies bisher überwiegend auf der Grundlage der etztlich auch vom EuGH verlautbarten, nachstehend im Einzelnen ausgeführten Argumente, bejaht. Es verblieb allerdings angesichts der bisher fehlenden Klärung in der Rechtsprechung ein rechtliches Restrisiko, dass der EuGH mit seinem Urteil vom 22.06.2023 geschlossen hat.

Dem Urteil lag ein Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 16.06.2021 (6 AZR 390/20) zugrunde, das folgenden Sachverhalt zum Streitgegenstand hatte: Der in der Rechtsform der GmbH verfasste beklagte Arbeitgeber, dessen alleiniger Gesellschafter der Landkreis Göppingen ist und der in Göppingen ein Klinikum betrieb, gliederte die Bereiche Poststelle, Archiv und Bibliothek auf eine ebenfalls in der Rechtsform der GmbH neu gegründete Tochtergesellschaft aus. Die Ausgliederung inkludierte einen Beriebsübergang nach Maßgabe des § 613a BGB. Die Arbeitsverhältnisse der von der Auslgiederung betroffenen Arbeitnehmer unterlagen dem TvÖD. Einzelne betroffene Arbeitnehmer, darunter auch der klagende Arbeitnehmer, widersprachen dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Tochtergesellschaft gemäß § 613a Abs. 6 BGB. Der Beklagte wies die widersprechenden Arbeitnehmer dazu an, ihre Arbeitsleistung in der Folgezeit für die Tochtergesellschaft im Wege der Personalgestellung nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 TvöD zu erbringen. Der Kläger weigerte sich, seine Arbeitsleistung für die Tochtergesellschaft zu erbringen und begehrte mit seiner Klage die Feststellung, dass er zu dieser Tätigkeit für die Tochtergesellschaft aufgrund der Weisung des Beklagten nicht verpflichtet sei. Zur Begründung führte er aus, dass die Tätigkeit für die Tochtergesellschaft nicht den Anforderungen einer rechtswirksamen Arbeitnehmerüberlassung entspräche und die vom Beklagten angezogene Personalgestellung nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 TVöD und die auf diese verweisende Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG nicht mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie vereinbar sei. Eine solche dauerhafte Personalgestellung sei konkret nicht vereinbar mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie, die lediglich eine Arbeitnehmerüberlassung von vorübergehender Natur für zulässig bestimmt.

Die vorinstanzlichen Gerichte wiesen die gegen die Personalgestellung gerichtete Klage ab. Das BAG legte dem EuGH unter anderem die Frage zur Entscheidung vor, ob eine nach § 4 Abs. 3 TvöD erfolgte Personalgestellung in den Anwendungsbereich der EU-Leiharbeitsrichtlinie falle.

Der EuGH verneinte dies seinem Urteil: Der Anwendungsbereich der EU-Leiharbeitsrichtlinie sei im Ausgangspunkt (nur) auf Arbeitsverhältnisse ausgerichtet, in denen der Arbeitgeber sowohl bei Abschluss des Arbeitsvertrags als auch bei jeder tatsächlich vorgenommenen Überlassung die Absicht haben müsse, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Dies sei aber im entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht der Fall. Der Arbeitnehmer sei ursprünglich dafür eingestellt worden, die Leistungen für den Arbeitgeber vorzunehmen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme der Personalgestellung habe der Arbeitsvertrag nur deshalb weiter fortbestanden, da der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht im Hinblick auf den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Tochtergesellschaft ausgeübt habe.

Die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TvÖD sei auch nicht vom Zweck der EU-Leiharbeitsrichtlinie erfasst, der im Kern – unter anderem mit Blick auf die Beschränkung der Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung auf solche von nur vorübergehende Natur – auf die Flexibilität der Unternehmen ausgerichtet sei, neue Arbeitsplätze zu schaffen und den überlassenen Leiharbeitnehmern nach Ablauf der gesetzlich zulässigen Überlassungshöchstdauer möglichst einen Zugang zu einem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zu verschaffen. Dieser Zweck sei für ein Dauerarbeitsverhältnis, das der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TvÖD generell zugrunde liegt, nicht relevant.

Darüber hinaus blieben einem Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen kann, sämtliche Arbeitsbedingungen bei seinem bisherigen Arbeitgeber erhalten. Es bestehe also in dieser Situation nicht das Bedürfnis eines besonderen Schutzes, der sich aus der Leiharbeitsrichtlinie für Leiharbeitnehmer ergibt.

Folgen für die Praxis

Die Personalgestellung-Praxis hat das Urteil des EuGH mit Erleichterung aufgenommen. Arbeitgeber, die auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer den TVöD anwenden, können auch zukünftig nach Auslagerungen Personalgestellungen nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 TVöD durchführen, ohne die Vorgaben des AÜG beachten zu müssen. Mit Blick auf die gesetzlichen Ausnahmeregelungen des § 1 Abs. 3 AÜG weiterhin ungeklärt ist die Vereinbarkeit insbesondere der gesetzlichen Herausnahme der praktisch sehr relevanten Fallgruppen der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG) und der nur gelegentlichen Arbeitnehmerüberlassung nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie, die diese Ausnahmeregelungen ebenfalls nicht vorsieht. Auch wenn für diese beiden Fallgruppen jeweils mit Blick auf den auch hier jeweils nicht unmittelbar einschlägigen Zweck der EU-Leiharbeitsrichtlinie – unverändert – gewichtige Argumente für die Herausnahme aus dem Anwendungsbereich des AÜG sprechen, bleibt die abschließende Rechtssicherheit der gelegentlichen gerichtlichen Klärung vorbehalten.

4. Titulierung eines (Weiter-)Beschäftigungsanspruchs schränkt Weisungsrecht des Arbeitgebers grundsätzlich nicht ein (LAG Hamm Beschl. v. 15.05.2023, 18 Sa 1195/22)

In seinem Beschluss vom 15.05.2023 (18 Sa 1195/22) hat das LAG Hamm die Rechtsprechung des BAG bezüglich des Einwands der Unmöglichkeit von austenorierten Weiterbeschäftigungen fortgeführt.

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte das erstinstanzliche Arbeitgericht der Kündigungsschutzklage des klagenden Arbeitnehmers stattgegeben und die beklagte Arbeitgeberin zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers als Oberarzt in der Psychiatrischen Insititutsambulanz bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits verurteilt.

Die Beklagte bot dem Kläger zur Erfüllung des prozessualen Weiterbeschäftigungsanspruchs die ärztliche Tätigkeit in einer vier Kilometer von seinem arbeitsvertraglichen Arbeitsplatz entfernten psychiatrischen Tagesklinik anhaben. Als Grundlage für diese Weisung führte die Beklagte insbesondere an, dass der Arbeitsanfall in der entsprechenden Tagesklinik vom approbierten Personal (u.a. auf Grund von Personalausfällen) nicht mehr zu bewältigen gewesen sei, hier also Beschäftigungsbedarf bestehe, und dass mit dem Kläger im Arbeitsvertrag ein Versetzungsvorbehalt vereinbart worden sei. Der Kläger lehnte diese Tätigkeit, unter Verweis auf den erstinstanzlichen geurteilten prozessualen Weiterbeschäftigungsanspruch ab und leitet in der Folgezeit die arbeitsgerichtliche Zwangsvollstreckung aus dem erstgerichtlichen Urteil ein. Die Beklagte begehrte in der Berufungsinstanz die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel und führte zur Begründung des Antrags aus, dass dem Anspruch des Klägers auf (Weiter-)Beschäftigung, die nachträglich entstandene Einwendung der Erfüllung entgegenstehe. Der Kläger führte erwidernd aus, dass die ihm per Weisung in der Tagesklinik aufgetragene Aufgabe nicht dem ursprünglich titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch entspreche und die Beklagte damit die Grenze billigen Ermessens, d.h. ihre Befugnisse überschreite. Die Versetzung inkludiere vielmehr eine „Strafversetzung“ und die Mitarbeitervertretung habe dieser nicht zugestimmt.

Das LAG Hamm gab der Berufung und damit verbunden dem Erfüllungseinwand der Beklagten statt. Zur Begründung führte es aus, dass der (Weiter-)Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nicht allein durch die Titulierung in der Weise konkretisiert werde, dass der Arbeitgeber diesen nur noch durch die Zuweisung eines im Urteilstenor beschriebenen Inhalt erfüllen könne, sondern der Arbeitgeber vielmehr auch im Rahmen der Prozessbeschäftigung aufgrund eines prozessualen Weiterbeschäftigungsanspruch sein Weisungsrecht zur Konkreitiserung der Arbeitsleistung nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Maßstäben ausüben könne. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Weiterbeschäftigung „zu unveränderten Arbeitsbedingungen“ tenoriert sei und das Urteil den Arbeitsvertrag in Bezug nehme, der die Zuweisung einer anderen Tätigkeit gestatte, und ergebe sich aus den vom BAG in seiner Rechtsprechung verlautbarten Auslegungsgrundsätze für Vollstreckungstitel und Urteile (etwa in seinem Beschluss vom 05.02.2020, 10 AZB 31/10). Auch wenn andere Schriftstücke bei der Auslegung von Vollstreckungstiteln grundsätzlich nicht zulässig herangezogen werden können, seien bei einem Urteil als Titel der Tatbestand und die Urteilsgründe heranziehbar und könnten die im Urteilstenor _herangezogenen  Dokumente (konkret hier: Arbeitsvertrag in Bezug auf den Inhalt der auf die prozessuale Weiterbeschäftigung bezogenen Arbeitsleistung) als Teil des vollstreckbaren Titels für die Auslegung herangezogen werden.

Dies gelte auch ohne Rückgriff auf eine arbeitsvertragliche Versetzungsklausel, sofern sich der Arbeitgeber innerhalb seines Direktions- und Weisungsrechts  gem. § 106 Gewerbeordnung (GewO) halte. Insoweit sei durch das Gericht lediglich eine Evidenzkontrolle vorzunehmen. Der Erfüllungseinwand (bzgl. des titulierten Weiterbeschäftigungsanspruches) greife nur dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber die Grenzen des Weisungsrechts offenkundig überschreite.

Folgen für die Praxis

Diese für die Prozesspraxis hilfreiche Entscheidung fügt sich in die bisherige Rechtsprechung des BAG (neben der vorzitierten Entscheidung u.a. in seinem Urteil vom 21.03.2018, 10 AZB 560/16) ein, wonach das Direktionsrecht nicht durch einen Weiterbeschäftigungstitel auf den darin benannten Arbeitsplatz eingeschränkt wird, sodass dem Arbeitgeber die Erfüllbarkeit des Weiterbeschäftigungsanspruchs durch Zuweisung eines anderen vertragsgerechten Arbeitsplatzes ermöglicht wird. Arbeitgeber können daher auch weiterhin eine durch den Arbeitnehmer eingeleitete Zwangsvollstreckung aus einem titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch durch die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes abwehren, wenn der konkret zugewiesene Arbeitsplatz vom Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst ist.

5. Initiativrecht des Betriebsrats zur Mitbestimmung bei der Ausgestaltung eines Zeiterfassungssystems steht Abwarten des Arbeitgebers auf Gesetzesnovellierung nicht entgegen (LAG München Urt. v. 22.05.2023, 4 TaBV 24/23)

Im seinem Urteil vom 22.05.2023 (4 TaBV 24/23) hatte das LAG München Gelegenheit, sich mit dem Initiativrecht des Betriebsrats zur Mitbestimmung bei der Einführung eines Zeiterfassungssystems nach Maßgabe des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unter dem Eindruck des Beschlusses des BAG vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG zu befassen. Das BAG hatte in seinem Beschluss vom 13.09.2022 ein solches Initiativrecht hinsichtlich der Einführung eines Zeiterfassungssystems abgelehnt und nur beim “Wie” der Zeiterfassung – der Auswahl der Technik und ihrem Einsatz – die Mitbestimmung zugelassen.

Im konkreten Fall hatte der für den lokalen Betrieb gewählte Betriebsrat den Arbeitgeber zu Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung der Zeiterfassung der Beschäftigten im Außendienst aufgefordert. Vorgaben für die Zeiterfassung bestanden ausschließlich für Innendienstmitarbeiter, die in Konzernbetriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit und deren Erfassung in einem SAP-System geregelt waren. Der Arbeitgeber lehnte die Mitbestimmung unter Verweis auf die Unzuständigkeit des lokalen Betriebsrats und die bereits grundsätzlich getroffene Entscheidung für ein System zur elektronischen Arbeitszeiterfassung ausschließlich für den Innendienst ab und verschloss sich daher den vom Betriebsrat begehrten Verhandlungen für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung. Zudem wandte der Arbeitgeber – mit Verweis auf den Beschluss des BAG vom 13.09.2022 –  ein, dass im Hinblick auf eine zu erwartende gesetzliche Regelung zur Zeiterfassung und eine geplante Tariföffnung in dieser Hinsicht derzeit abgewartet werden solle, da ein Unterfallen der Außendienstmitarbeiter unter die vom BAG bestimmte Aufzeichnungspflicht noch nicht entschieden sei.

Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht München eine Einigungsstelle ein. Die gegen die erstgerichtliche Entscheidung gerichtete Beschwerde des Arbeitgebers hatte vor dem LAG München keinen Erfolg. Das LAG München begründete seine Entscheidung unter Verweis auf den gesetzlichen Wortlaut des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, wonach der Betriebsrat Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften mitzubestimmen hat. Das LAG München verneinte im Ausgangspunkt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrat über die Einführung eines Zeiterfassungssystems, weil Arbeitgeber dazu nach § 3 II Nr. 1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet seien und mithin kein Gestaltungsspielraum bestehe. Den für das Mitbestimmungsrelevanten Gestaltungsspielraum erkannte das LAG München in Bezug auf die Ausgestaltung des zu verwendenden Zeiterfassungssystems. Dieser Gestaltungsspielraum sei auf die Art und Weise der Arbeitszeiterfassung gerichtet, wobei sowohl über die Frage einer elektronischen oder analogen Zeiterfassung zu entscheiden sei, ob die Zeiterfassung gegebenenfalls getrennt nach Beschäftigungsgruppen durchgeführt werden solle und welche Software zu nutzen sei. Dem Betriebsrat stehe hierzu nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ein Mitbestimmungs- und daher auch ein Initiativrecht zu. Dem Initiativrecht stehe nicht der Einwand des Arbeitgebers entgegen, dass bereits konzernweit ein einheitliches System der Zeiterfassung entschieden wurde, denn ohne vorherige Mitbestimmung sei die einseitige Festlegung nicht möglich. Eine mit dem Betriebsrat nicht abgestimmte Festlegung auf ein elektronisches Erfassungssystem genüge nicht dem Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, nach dem die vorhandenen Spielräume im Interesse der Arbeitnehmer und ihrem Gesundheitsschutz möglichst effizient umzusetzen seien. Der Arbeitgeber könne sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf etwaige zukünftige Aktivitäten des Gesetzgebers berufen, da für die rechtliche Beurteilung des Initiativrechts der gesetzliche Status Quo zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich sei.

Hinsichtlich der Zuständigkeit der Einigungsstelle sei schließlich zu unterscheiden zwischen der Einführung einer Software, welche vom Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG umfasst ist, und der Frage des Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Insofern sei nicht zwingend dasselbe Gremium für alle im Zusammenhang mit der Zeiterfassung sich stellenden Fragen zuständig; vielmehr seien regelmäßig Fragen des Gesundheitsschutzes Gegenstand der Mitbestimmung des örtlichen Betriebsrats, da dieser aufgrund seiner Kenntnisse der konkreten Umstände sachnäher ist.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des LAG München zeigt anschaulich die unsichere Rechtslage auf, der Arbeitgeber mit Blick auf die vom Gesetzgeber bereits kurzzeitig nach dem Beschluss des BAG vom 13.09.2022 angekündigte und bisher nicht umgesetzte gesetzliche Fortschreibung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Arbeitszeiterfassung ausgesetzt sind. Es bliebt abzuwarten, ob das BAG bei Gelegenheit die Rechtsposition des LAG München übernehmen wird – im vorliegenden Beschlussverfahren hatte es dazu keine Gelegenheit, da der Arbeitgeber die zunächst gegen den Beschluss des LAG München eingelegte Rechtsbschwerde zurückgenommen hat. Arbeitgeber werden sich insoweit tendenziell bis zur Einführung der derzeit als Referentenentwurf vorliegenden gesetzlichen Regelung zur Arbeitszeiterfassung nicht davor schützen können, wenn der Betriebsrat Regelungen über die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung initiiert, auch wenn durch die Einführung der gesetzlichen Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung bereits verhandelte Betriebsvereinbarungen mit dem Betriebsrat hinfällig werden können. Im Hinblick auf die zu erwartenden gesetzlichen Regelungen sollte bei der Gestaltung der Betriebsvereinbarungen jedoch darauf geachtet werden, dass kurze Kündigungsfristen vereinbart werden und eine etwaige Nachwirkung – im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten nach Maßgabe des § 77 BetrVG – ausgeschlossen wird.

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