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Ukraine: Ansprüche deutscher Unternehmen und Investoren

Entschädigung nach deutschem Deliktsrecht und dem Investitionsschutzabkommen

Der russische Angriffskrieg hat zu einer humanitären Katastrophe in der Ukraine geführt und hat massive Auswirkungen auf die internationale Wirtschaft. Vermögenswerte werden vernichtet, Lieferketten unterbrochen, laufende Geschäfte zerstört, Unternehmen in die Insolvenz gezwungen. Erhebliche Kosten fallen für die Schadensbeseitigung an. Hiervon sind nicht zuletzt auch deutsche Unternehmen und Investoren in unterschiedlichster Form betroffen. Es stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang betroffene Unternehmen Ersatz für die erlittenen Verluste vom russischen Staat als Verursacher verlangen können und wie diese Ansprüche durchgesetzt werden können.

Schadensersatzansprüche gegen die Russische Föderation: Wie können deutschen Unternehmen und Investoren erlittene Schäden gerichtlich geltend machen?

Die völkerrechtswidrige Aggression der Russischen Föderation hatte bislang und wird weiterhin immensen Einfluss auf die Weltwirtschaft haben. Auch deutsche Unternehmen, die eine Geschäftstätigkeit in der Russischen Föderation ausüben oder dort Tochtergesellschaften oder Beteiligungen an Unternehmen besitzen, sind betroffen. Sie sind mittelbar aufgrund der gegen die Russische Föderation verhängten Sanktionen geschädigt. Zudem haben sich einige Unternehmen aufgrund der Gesamtsituation entschlossen, sich aus dem russischen Wirtschaftsverkehr zurückzuziehen und Betriebe einstweilen oder dauerhaft zu schließen. Ihnen droht neben dem dadurch entstandenen Schaden die Enteignung durch die Russische Föderation.

In Anbetracht dieser militärischen Eskalation, die das 21. Jahrhundert bislang in keiner vergleichbaren Form kannte, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang die Russische Föderation gegenüber geschädigten Unternehmen haften muss. Trotz vereinzelter - jedoch überwindbarer - Hürden ist eine Inanspruchnahme des russischen Staates sowohl zivilrechtlich vor deutschen nationalen Gerichten (hierzu unter I.) als auch auf Grundlage des Investitionsschutzabkommens zwischen Deutschland und der Russischen Föderation vor internationalen Schiedsgerichten (hierzu unter II.) durchsetzbar und vollstreckbar.

 

I. Zivilrechtliche Entschädigungsansprüche gegen die Russische Föderation und ihre Durchsetzung vor deutschen ordentlichen Gerichten

Die Fragen, ob die Russische Föderation überhaupt unter dem völkerrechtlichen Aspekt der sog. Staatenimmunität vor nationalen Gerichten verklagt werden kann, und ob deutsches Recht Anwendung findet, sind entscheidend für die erfolgreiche Durchsetzung zivilrechtlicher Entschädigungsansprüche.

Einwendung: Staatenimmunität

Die Staatenimmunität ist Dreh- und Angelpunkt der internationalen und völkerrechtlichen Ordnung. Ihrem Grundsatz nach soll der Gleiche über Gleiche keine Herrschaft ausüben können. Bis Ende des Ersten Weltkriegs hieß das nach der Konzeption der absoluten Staatenimmunität, dass Staaten allein dem Völkerrecht unterworfen sind. Insbesondere konnte ein Staat nicht vor nationalen Gerichten eines anderen Staates verklagt werden. Dieses Verständnis hat sich durch die Globalisierung relativiert. Es besteht Einigkeit darüber, dass ein Staat im Falle von rein fiskalischem Handeln als Subjekt des Weltwirtschaftsmarktes auch vor nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden kann.

Auch andere Durchbrechungen der Staatenimmunität werden diskutiert. So argumentierte Italien in einem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) 2012 u.a. damit, dass Deutschland sich im streitgegenständlichen Fall eines Italieners, der 1944 nach Deutschland deportiert und dort zur Zwangsarbeit genötigt wurde, nicht auf seine Staatenimmunität berufen könne, da betreffende Handlungen völkerrechtliche Verbrechen darstellen würden.
Grund für die Ablehnung dieser Argumentation, so der IGH, sei vor allem, dass für individuelle Entschädigung in der Staatenpraxis zwischenstaatlicher Entschädigungsabkommen kein Raum wäre. Deutschland habe bereits Verantwortung übernommen und sei seiner Verpflichtung zur Wiedergutmachung im erforderlichen Maße nachgekommen.

Die Situation der Russischen Föderation erweist sich demgegenüber jedoch beinahe als konträr. Die Russische Föderation streitet bislang jegliche Verantwortlichkeit ab. Ein zwischenstaatliches Entschädigungsabkommen zugunsten der Ukraine steht ebenfalls nicht in Aussicht. Die russische Aggression verstößt gegen die fundamentale Werteordnung im Völkerrecht, sodass die Russische Föderation das Privileg der Staatenimmunität schlichtweg verwirkt hat. Aus Sicht geschädigter Unternehmen wird ihre Inanspruchnahme der vorrangige Weg der Rechtsverfolgung sein. Auch allgemeine Legalitätsüberlegungen sprechen demnach gegen die wirksame Einwendung russischer Staatenimmunität.

Der Weg zu deutschen Gerichten

Aufgrund der Tatsache, dass sich Vermögen der Russischen Föderation auf dem Gebiet der Bundesrepublik befindet und viele Schäden nicht in der Ukraine, sondern durch mittelbare Auswirkungen in Deutschland eingetreten sind, ist nach der einschlägigen Zivilprozessordnung auch ein deutsches Gericht für die Beurteilung daraus resultierender Schadensersatzansprüche international zuständig.

Deutsches Deliktsrecht vs. russisches Staatshaftungsrecht

Ob deutsche Gerichte deutsches - alternativ ukrainisches - Deliktsrecht oder russisches Staatshaftungsrecht anzuwenden haben, entscheidet sich maßgeblich nach der rechtlichen Einordnung der fraglichen Handlungen. Nimmt man mit der historischen Rechtspraxis an, dass militärische Handlungen stets die Ausübung hoheitlicher Gewalt darstellen, wäre die Anwendung von russischem Staatshaftungsrecht unumgänglich.

Nach heutigem Verständnis entsteht ein Krieg jedoch - anders als im historischen Zusammenhang - nicht einfach unvorhersehbar und unbeeinflussbar. Schwerpunkt staatlichen internationalen Handelns ist vermehrt privatrechtlicher Natur. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde von der Russischen Föderation in Kenntnis aller möglichen Resultate bewusst als Akteur der modernen Weltengemeinschaft begonnen. Die Russische Föderation muss sich folglich - wie jeder andere nicht-hoheitlich Handelnder - für verursachte Schäden deliktisch verantworten.

Es würde vielmehr dem Kern staatlicher Immunität widersprechen, wenn der Russischen Föderation entsprechende hoheitliche Befugnisse zustünden, obgleich völkerrechtlich der eine Staat keine hoheitlichen Befugnisse gegenüber dem anderen innehaben soll. Davon müsste man jedoch unter der Annahme, dass die exterritorialen Militärhandlungen Ausübung hoheitlicher Gewalt sind, ausgehen.

Unmittelbare und mittelbare Schadenspositionen

Die zerstörerische Aggression der Russischen Föderation verursacht unzählige Schadenspositionen. Das deutsche Deliktsrecht bietet dabei, je nach Fallkonstellation, erfolgversprechende Wege, einen Entschädigungsanspruch gegen die Russische Föderation zu begründen und durchzusetzen.
Die vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigungen sind unseres Erachtens vom russischen Staat verschuldet und ihm rechtlich zuzurechnen. Gleiches gilt im Hinblick auf Verstöße gegen das Völkerstrafrecht; namentlich die völkerrechtswidrige Aggression als eine der sog. Core Crimes. Die Armee der Russischen Föderation zerstört gehäuft und grundlos zivile Ziele sowie die Infrastruktur. Diese militärischen Ausschreitungen werden von den Befehlshabern offensichtlich auch nicht unterbunden. Vielmehr scheinen sie gerade aus historischer Sicht zur militärischen Strategie der Russischen Föderation zu gehören. Nicht zuletzt trifft die Russische Föderation in Zusammenhang mit der Beauftragung anderer (privater) Gruppierungen im Ukraine-Krieg zivilrechtlich relevantes Organisationsverschulden.

Vollstreckung in russisches Vermögen

Bezüglich der Vollstreckung bei erfolgreicher zivilgerichtlicher Inanspruchnahme stellt sich wiederholt die Frage der entgegenstehenden Staatenimmunität. Insofern ist jedoch zu unterscheiden, ob das Vermögen der hoheitlichen Tätigkeit des Staates zuzuordnen ist (eine Vollstreckung wäre völkerrechtswidrig) oder ob es um vollstreckbares Vermögen geht, das der Staat als Fiskus hält.

 

II. Ansprüche aufgrund des Investitionsschutzabkommens zwischen Deutschland und der Russischen Föderation, ihre Durchsetzung und Vollstreckung

Darüber hinaus kommen für deutsche Investoren unter Umständen Ansprüche gegen die Russische Föderation aus dem Bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen der Russischen Föderation und Deutschland (Vertrag der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13. Juni 1989 - „BIT DE-RUS“) in Betracht.

Schutz auf ukrainischem Staatsgebiet

Die Zerstörung oder Beschädigung von Betriebsgebäuden und -mitteln, wie EDV-Anlagen, Maschinen, Fahrzeugen und anderen Gegenständen durch militärische Angriffe stellen eine rechtswidrige, entschädigungslose Enteignung des vom BIT DE-RUS geschützten Eigentums von deutschen Investoren an Kapitalanlagen (Art. 1 Abs. 1 BIT DE-RUS) dar. Auch mittelbare Eingriffe, die zur Beeinträchtigung oder zum Stillstand der Geschäftstätigkeit von Unternehmen in der Ukraine führen, können indirekte, faktische Enteignungen darstellen. Außerdem fallen sog. Portfolioinvestitionen in Form von reinen Kapitalbeteiligungen gleichermaßen in den Schutzbereich des Artikel 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 BIT DE-RUS. Folglich sind auch Wertverluste von Beteiligungen an Unternehmen und anderen Investitionen geschützt, so dass mittelbare oder unmittelbare Eingriffe zu Enteignungen führen können.

Die Anwendbarkeit des BIT DE-RUS dürfte sich - unter Rückgriff auf die Argumentation internationaler Schiedsgerichte im Zusammenhang mit der Annexion der Krim-Halbinsel - auch auf ukrainisches Staatsgebiet erstrecken, in dem die Armee der Russischen Föderation völkerrechtswidrig die Kontrolle ausübt oder auszuüben versucht. Fraglich ist, ob auch Investitionen in Gebieten der Ukraine erfasst sind, die die Armee der Russischen Föderation angreift, um diese unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies dürfte ebenfalls zu bejahen sein, da Investitionsschutzabkommen auch zu Gunsten Dritter (der Investoren) Schutzwirkungen entfalten (Art. 2 BIT DE-RUS).

Schutz auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation

Auch Investoren auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation können unter Umständen Ansprüche auf Entschädigung geltend machen. Insbesondere sind bislang Flugzeug-Leasinggesellschaften und ihre Versicherer betroffen, deren Fluggeräte durch staatliche Dekrete rechtswidrig auf russische Fluggesellschaften umgeschrieben wurden. Auch andere direkte oder indirekte Maßnahmen, mit denen Investoren die Befugnis über das Eigentum an Investitionen entzogen oder beschränkt wurden, dürften dem Enteignungsschutz unterfallen. Insbesondere beim Rückzug zahlreicher Unternehmen vom russischen Markt stellt sich die Frage, in welchem Umfang eine Investition vom BIT DE-RUS geschützt ist. Grundsätzlich unterliegt eine Investition während ihres gesamten Lebenszyklus (von der Gründung bis zur Liquidation - einschließlich dem freien Transfer eines Liquidationserlöses) dem Schutz des BIT DE-RUS. Somit unterliegen Investitionen bis zu ihrer vollständigen Abwicklung dem vollen Schutz des BIT DE-RUS. Etwaige (rechtswidrige) Eingriffe in das Eigentum würden demnach Entschädigungsansprüche begründen. Bislang völlig ungeklärt ist die Frage, ob die Russische Föderation auch für die Auswirkungen auf Investitionen wegen der gegen sie verhängten Sanktionen oder den Ausschluss aus dem SWIFT-Verbund als kausale Folge ihres völkerrechtswidrigen Verhaltens haftet. Dieses hängt davon ab, in welchem Umfang die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des völkerrechtswidrigen Verhaltens insbesondere nach den Grundsätzen der Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR) zugerechnet werden können. Diese sehen eine weitreichende Verantwortung vor.

Umfassender Schadensersatz

Im Fall von rechtswidrigen Enteignungen, wie kriegsbedingten Enteignungen, erscheint eine Entschädigung nach den Grundsätzen des Art. 4 Abs. 2 BIT DE-RUS nicht angemessen. Internationale Schiedsgerichte greifen deshalb vor allem bei rechtswidrigen indirekten Enteignungen oder Konfiskationen auf die Grundsätze der Chorzów-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (StIGH) bzw. die Grundsätze der Artikel 35 ff. ASR zurück. Die Wiedergutmachungsfunktion des Schadensersatzes rechtfertigt in solchen Fällen umfassenden Wertersatz zu gewähren. Investoren sind finanziell so zu stellen, wie sie ohne das schädigende Ereignis stünden. Dies umfasst auch den entgangenen Gewinn einer Investition (vgl. Art. 36 ASR).

Durchsetzung im Wege eines Investor-Staats-Schiedsverfahrens vor einem internationalen Schiedsgericht

Derartige Ansprüche können im Wege eines Investor-Staats-Schiedsverfahrens vor einem internationalen Schiedsgericht geltend gemacht werden. In Betracht kommen hier insbesondere das Ständige Schiedsgericht des IGH in Den Haag (PCA), das Ständige Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Stockholm (SSC) oder das Ständige Schiedsgericht der internationalen Handelskammer (ICC) in Paris. Obwohl das Schiedsgericht der SCC in Streitigkeiten gegen die Russische Föderation eine angesehene und von allen Beteiligten anerkannte Institution darstellt, wurde dieses in den Krim-Fällen bislang nicht angerufen. Hier ist das Schiedsgericht des PCA führend und deshalb bei eventuellen Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem BIT DE-RUS wegen Enteignungen auf ukrainischem Staatsgebiet vorzugswürdig. Schließlich fielen die bisherigen Entscheidungen von unterschiedlich besetzten Panels überwiegend investorenfreundlich aus. In den Krim-Fällen hat sich die Russische Föderation an den Schiedsverfahren nicht beteiligt. Dennoch konnten die Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden. Erst im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung der Schiedstitel hat sich die Russische Föderation vor den nationalen Gerichten meist erfolglos verteidigt. Deshalb ist in künftigen Verfahren zu erwarten, dass die Russische Föderation ihre Strategie ändert und sich bereits im Rahmen des Schiedsverfahrens verteidigen wird. Angesichts der zahlreichen internationalen Ermittlungsverfahren gegen Präsident Putin und andere Regierungsmitglieder wegen Straftaten nach dem Völkerstrafrecht, dürfte es bei der Wahl des Schiedsorts darauf ankommen, dass die Russische Föderation und deren Repräsentanten ungehindert einreisen und sich an dem Verfahren beteiligen können.

Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche

Schiedstitel werden in den 168 Vertragsstaaten des New Yorker Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New Yorker Übereinkommen) anerkannt und können somit international vollstreckt werden. Allerdings unterliegt auch die Vollstreckung von Schiedssprüchen nach dem New Yorker Abkommen – je nach Vollstreckungsgegenstand und dem Recht des jeweiligen Gerichtsstaats – eventuellen Einschränkungen im Hinblick auf die Staatenimmunität.

 

Stand: April 2022

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