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Mitbestimmungsrechtliche „Einfrierlösung“ – Zukünftig aufgetaut?

Die Verlautbarungen im Koalitionsvertrag zur Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung – und damit korrespondierende Gestaltungsmöglichkeiten

„Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln. (…) Deutschland nimmt bei der Unternehmensmitbestimmung eine weltweit bedeutende Stellung ein. Die bestehenden nationalen Regelungen werden wir bewahren. Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Wir werden die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das DrittelbG übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt“ heißt es im Koalitionsvertrag. In diesem Client Alert erörtern wir die Implikationen und relevante Gestaltungsoptionen, die sich aus diesen Absichtserklärungen für die Praxis ergeben. Wir empfehlen, die weitere Entwicklung zu beobachten und ggf. frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um Bestandsschutz zu erhalten.

1. Die Ausgangslage: Bedarfsgerechtes Mitbestimmungsstatut unter dem Drittelbeteiligungsgesetz und in der SE

Unternehmen, die aufgrund ihrer Rechtsform (v.a. AG, GmbH, KGaA) und einer Anzahl von regelmäßig mehr als 500 bzw. 2.000 beschäftigten Arbeitnehmern (Schwellenwert) dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) bzw. dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) unterliegen, haben einen Aufsichtsrat zu errichten, der zu mindestens einem Drittel (DrittelbG) bzw. zur Hälfte (MitbestG) aus Arbeitnehmervertretern besteht. Die Errichtung des mitbestimmten Aufsichtsrats erfolgt jedoch nicht automatisch, sobald der Schwellenwert überschritten wird. Vielmehr hat die Geschäftsleitung ein Statusverfahren einzuleiten, sobald die vorstehend umschriebenen Voraussetzungen des DrittelbG bzw. des MitbestG vorliegen. In diesem Statusverfahren hat die Geschäftsleitung das nunmehr maßgebliche Mitbestimmungsstatut der Gesellschaft bekanntzumachen und darauf hinzuweisen, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat danach zusammengesetzt wird. Das Statusverfahren können neben der Geschäftsleitung auch die Gesellschafter und der Betriebsrat einleiten. Außerhalb und während des Statusverfahrens gilt das mitbestimmungsrechtliche Kontinuitätsprinzip. Bis zum Abschluss des Statusverfahrens bleibt es beim bestehenden („Ist“-)Mitbestimmungsstatut der Gesellschaft.

Um den bestehenden (Ist-)Mitbestimmungsstatus zu sichern, haben sich Gesellschaften, die erwarten und/oder planen, die Schwellenwerte zu erreichen bzw. zu überschreiten, bislang mitunter in die Rechtsform der SE umgewandelt. Nach aktueller Rechtslage ist bei der Errichtung der SE das gültige Mitbestimmungsregime mit den Mitarbeitern zu verhandeln. Kommt es hierbei nicht zu einer Einigung, findet das Regime Anwendung, das auf die Gesellschaft anzuwenden ist, die in eine SE (etwa im Rahmen des Formwechsels oder einer grenzüberschreitenden Verschmelzung) umgewandelt werden soll („Vorher-Nachher-Prinzip“ oder „Einfrier-Lösung“). Zukünftige Veränderungen der Mitarbeiterzahlen in der Gesellschaft (oder ihrer Tochtergesellschaften) führen dann in der Folge nicht dazu, dass sich das Mitbestimmungsregime ändert oder es verändert werden muss (s. dazu bereits unseren Client Alert). Ausnahmen gelten nur, wenn eine sogenannte Strukturänderung vorliegt; in diesem Fall ist das Mitbestimmungsregime neu zu verhandeln. Wann genau eine solche Strukturänderung vorliegt, ist gesetzlich nicht geregelt. In der Praxis wird die bloße Überschreitung der Schwellenwerte in der SE überwiegend nicht als eine solche Strukturänderung angesehen.

2. Der Status Quo: Praxisgerechte Ausgestaltung der Mitbestimmung durch relevante Unternehmens- und Konzernorganisation

Nach der aktuellen Rechtslage findet das DrittelbG zudem bei GmbHs, AGs und KGaAs (sowie für SEs im Zeitpunkt ihrer Errichtung) nur Anwendung, wenn das Unternehmen selbst mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Nur ausnahmsweise werden Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften der herrschenden Gesellschaft dann zugerechnet, wenn die Tochtergesellschaft eingegliedert ist oder die beherrschende Gesellschaft mit ihr einen Beherrschungsvertrag abgeschlossen hat (§ 2 Abs. 2 DrittelbG). Das bloße Bestehen einer sogenannten faktischen Beherrschung oder ein (isolierter) Ergebnisabführungsvertrag begründen demgegenüber noch keine Zurechnung der Mitarbeiter. Ein (weiterer) in der Praxis zu beobachtender Weg, den mitbestimmungsfreien Status Quo zu konservieren, lag daher darin, die Gruppe in Unternehmen mit jeweils weniger als 500 Mitarbeitern aufzuteilen bzw. jedenfalls dafür Sorge zu tragen, dass kein Unternehmen für sich genommen den Schwellenwert überschreitet und keine Sachverhalte begründet werden, die zu einer Zurechnung führen.

Damit kann jedenfalls bislang durch entsprechende Gestaltung eine bedarfsgerechte Anwendung der gesetzlichen Vorgaben erreicht werden, solange in der Konzernstruktur weniger als 2.000 Arbeitnehmer dauerhaft beschäftigt sind.

Überschreitet die Arbeitnehmerzahl in der Gruppe hingegen die Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern, finden abweichend von vorstehendem die Zurechnungsvorschriften des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) Anwendung. Nach dem MitbestG findet eine Zurechnung der bei Gruppen- oder Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer zu der herrschenden Gesellschaft bereits dann statt, wenn die jeweilige Gruppen- oder Tochtergesellschaft mittelbar oder unmittelbar von der herrschenden Gesellschaft abhängig ist. Das bloße Bestehen einer Mehrheitsbeteiligung bzw. der Mehrheit der Stimmrechte genügt dafür; das Bestehen eines Unternehmensvertrages oder eine Eingliederung sind hierfür nicht erforderlich. Die Anwendung des MitbestG aufgrund der Zurechnung der Arbeitnehmer von Gruppen- oder Tochtergesellschaften kann im Einzelfall gleichwohl in Fallkonstellationen ausgesteuert werden, in denen die herrschende Gesellschafterin nicht Alleingesellschafterin ist und mit der Tochtergesellschaft einen sogenannten Entherrschungsvertrag abschließt. Der Abschluss eines Entherrschungsvertrags kommt bei einer 100%-igen Tochtergesellschaft nicht in Betracht.

3. Neue Welt in der Drittelbeteiligung: Faktische Beherrschung im DrittelbG – und Erweiterung der vom DrittelbG erfassten Rechtsformen?

Gemäß dem Koalitionsvertrag beabsichtigen die Koalitionsparteien nunmehr, die Zurechnungsregeln des Mitbestimmungsgesetzes zukünftig auch auf das DrittelbG zu übertragen. Dies hätte zur Folge, dass an der Konzernspitze ein zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzender Aufsichtsrat bereits dann zu bilden ist, wenn in der Gruppe insgesamt mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt sind (ohne dass es auf das Bestehen eines Beherrschungsvertrages ankommt).

Auch wenn es sich bei diesen Arbeitnehmervertretern um Arbeitnehmer der Gesellschaft bzw. Gruppe handelt – externe Arbeitnehmervertreter, insbesondere Gewerkschaftsfunktionäre, können erst dann in den Aufsichtsrat gewählt werden, wenn dieser aus insgesamt mehr als 6 Personen besteht – würde dies dazu führen, dass der Kreis der von der Mitbestimmung erfassten Unternehmen deutlich ausgedehnt wird, namentlich immer dort, wo es sich bei der Konzernspitze um ein Unternehmen handelt, das in einer der in § 1 DrittelbG genannten Rechtsformen organisiert ist, konkret also eine GmbH, eine AG oder eine KGaA.

Diese Änderung der einschlägigen Zurechnungsregeln alleine dürfte auf die im Mittelstand weit verbreitete Struktur der GmbH & Co. KG als Obergesellschaft noch keine Auswirkung haben, denn bei der GmbH & Co. KG handelt sich nicht um eine bisher vom DrittelbG erfasste Rechtsform. Allerdings ist dem Koalitionsvertrag zu entnehmen, dass es weitere, zusätzliche Änderungen im Bereich der Mitbestimmung geben soll, und hier konkret ein „missbräuchliches Vermeiden von Mitbestimmung“ verhindert werden soll. Diese Aussage im Koalitionsvertrag beinhaltet zwar nicht die explizite Ankündigung, zukünftig auch die GmbH & Co. KG (und vergleichbare Gesellschaftsformen) in den Kreis der vom DrittelbG erfassten Rechtsträger einzubeziehen. Gleichwohl ist in dieser Rechtsform konstituierten Unternehmen dringend anzuraten, die weitere gesetzgeberische Entwicklung genau zu beobachten. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass im Bereich des MitbestG – dessen Zurechnungsregelungen ja auf das DrittelbG übertragen werden sollen – auch bei der GmbH & Co. KG eine Mitbestimmung erfolgt und in der Komplementär-GmbH stattfindet.

4. Neue Welt in der SE: Einfrierlösung - Aufgetaut?

Das „missbräuchliche Vermeiden von Mitbestimmung“ wird im Koalitionsvertrag dezidiert auf die Einfrierlösung bei der SE bezogen – sie ist den Koalitionsparteien offenbar ein solcher Dorn im Auge, dass Gesetzesänderungen angestrebt werden. Ob eine solche Änderung überhaupt möglich ist oder als europarechtlich unzulässig anzusehen wäre, ist umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die SE sei europarechtlich determiniert, weshalb eine solche Regelung europarechtswidrig wäre. Zugleich ist jedoch zu konzedieren, dass in der zugrunde liegenden EU-Beteiligungsrichtlinie die Verpflichtung angelegt ist, bei einer Strukturänderung das Mitbestimmungsregime nach dem „Vorher-Nachher“- Prinzip neu zu verhandeln. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang, dass in Österreich seit Jahren eine Regelung besteht, nach der der erhebliche Zuwachs der Mitarbeiter eine Strukturänderung darstellt, die zum Erfordernis einer Neuverhandlung des Mitbestimmungsregimes führt, § 228 Abs. 2 Arbeitsverfassungsgesetz. Vor diesem Hintergrund erscheint jedenfalls eine gesetzliche Regelung, nach der das Überschreiten der Mitbestimmungsschwellen eine Strukturänderung darstellt, auch für Deutschland als gangbarer Weg.

5. Ausblick

Abzuwarten bleibt aktuell, ob zu dem zur Verfolgung des Ziels, missbräuchliche Strukturen zu beseitigen, eingesetzten Instrumentarium auch weitere Maßnahmen fallen, die einzelne Koalitionsparteien in ihrem Wahlprogramm niedergelegt hatten (wie zum Beispiel z. B. eine Reduzierung des Schwellenwerts für die Anwendung der paritätischen Mitbestimmung auf 1.000 Mitarbeiter, o.ä). Mit Blick auf die SE stellt sich die Frage, wie sich ein etwaiges Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung im oben skizzierten Sinne auf die bereits bestehenden SEs auswirken würde. Denn dass eine solche Regelung für zukünftig erst zu errichtende SEs Anwendbarkeit beanspruchen wird, dürfte außer Frage stehen. Für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer solchen Regelung bereits bestehende SEs dürfte – ohne dass Details bereits bekannt sind – demgegenüber Folgendes gelten: Sofern die SE bereits vor Inkrafttreten der vorstehend dargestellten Neuregelung eine entsprechende Mitarbeiterschwelle überschritten hatte, spricht viel dafür, dass sie aus Gründen des Bestandsschutzes nicht verpflichtet sein wird, das Mitbestimmungsregime neu zu verhandeln. Etwas anderes dürfte gelten, wenn eine SE die einschlägige Mitarbeiteranzahl erst nach dem Inkrafttreten der Regelung überschreitet. In diesen Fällen dürfte zukünftig eine Neuverhandlung des Mitbestimmungsregimes erforderlich werden. Und auch mit Blick auf die Unternehmensgruppen, die mehr als 500, aber weniger als 2.000 Mitarbeiter haben, bleibt abzuwarten, ob verstärkt Rechtsformänderungen an der Konzernspitze zu beobachten sein werden. Mit Spannung abzuwarten wird vor allem sein, ob es neben der Anpassung der Zurechnung bei der Drittelbeteiligung und der Änderung bei der Einfrierlösung zu weiteren Maßnahmen kommt, um – vermeintlich – missbräuchliche Gestaltungen zu beseitigen. Noch nicht abschließend beurteilt werden kann, ob sich die gesetzgeberischen Änderungen auch gegen Gestaltungen wie ausländische Kapitalgesellschaft & Co. KG richten werden. Möglicherweise führt die gesamte Diskussion auch zu einer Renaissance der KGaA mit ihrer besonderen Governance und der anderen Rolle, die dem Aufsichtsrat bei dieser Rechtsform zugewiesen ist.

6. Fazit

Eine etwaige Konkretisierung der Verlautbarungen im Koalitionsvertrag zur Fortentwicklung der Mitbestimmung dürfte im Mittelstand erhebliche Reaktionen zur Folge haben und Umstrukturierungen nach sich ziehen. Gerne stehen wir Ihnen für nähere Erläuterungen und eine Diskussion möglicher Auswirkungen anstehender gesetzlicher Änderungen auf Ihr Unternehmen/Ihre Gruppe zur Verfügung.
 

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