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Update Unter­nehmens­mitbestimmung: SE-Gründung, Schwellen­wert und Status­verfahren

Aktuelle Impulse aus der Rechtsprechung

In mehreren Beschlüssen hat das OLG München die Auffassung vertreten, dass sich das Mitbestimmungsstatut bei der Gründung einer SE sich nicht nach dem „Ist“- sondern nach dem „Soll“-Zustand im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister richtet – zumindest dann, wenn zu diesem Zeitpunkt ein Statusverfahren hätte eingeleitet werden können. Dies beinhaltet eine Verlagerung des Zeitpunkts, bis zu dem der Aufsichtsrat einer SE rechtssicher besetzt werden kann und kann unmittelbare Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis bei der Gründung von SEs haben.

Bei der Gründung einer SE richtet sich das Mitbestimmungsstatut nicht nach dem „Ist“- sondern nach dem „Soll“-Zustand im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Das gilt zumindest dann, wenn zu diesem Zeitpunkt ein sog. Statusverfahren hätte eingeleitet werden können. Dies hat das OLG München in mehreren Beschlüssen vom 26.03.2020 (31 Wx 278/18 bis 280/18) für den Fall einer SE-Gründung durch Formwechsel festgestellt. Es hat damit den Zeitpunkt, bis zu dem der Aufsichtsrat einer SE rechtssicher besetzt werden kann, deutlich nach vorn verschoben. Auch wenn eine Bestätigung dieses Rechtssatzes durch den BGH noch aussteht, dürfte die Entscheidung mit Blick auf die Unternehmensmitbestimmung schon jetzt Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis bei der Gründung von SEs haben.


Ausgangspunkt: Schwellenwert, Statusverfahren und Kontinuitätsprinzip in der Unternehmensmitbestimmung

Unternehmen, die aufgrund ihrer Rechtsform (v.a. AG, GmbH) und der Anzahl von regelmäßig mehr als 500 bzw. 2.000 beschäftigten Arbeitnehmern (Schwellenwert) dem Anwendungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) bzw. des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) unterliegen, haben einen Aufsichtsrat zu errichten, der zu mindestens einem Drittel (DrittelbG) bzw. zur Hälfte (MitbestG) aus Arbeitnehmervertretern besteht.

Die Errichtung des mitbestimmten Aufsichtsrats erfolgt aber nicht unmittelbar und automatisch, sobald der Schwellenwert überschritten wird. Vielmehr hat die Geschäftsleitung, sobald die Voraussetzungen des DrittelbG bzw. des MitbestG vorliegen, ein sogenanntes Statusverfahren einzuleiten. Im Rahmen dieses Statusverfahrens hat die Geschäftsleitung den nunmehr maßgeblichen mitbestimmungsrechtlichen Status der Gesellschaft bekanntzumachen und darauf hinzuweisen, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat danach zusammengesetzt wird. Das Statusverfahren einleiten können neben der Geschäftsleitung auch die Gesellschafter und der Betriebsrat. Werden Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt, ohne dass zuvor ein entsprechendes Statusverfahren durchgeführt wurde, ist ihre Wahl nichtig.

Außerhalb und während des Statusverfahrens gilt das mitbestimmungsrechtliche Kontinuitätsprinzip. Bis zum Abschluss des Statusverfahrens bleibt es bei dem bestehenden („Ist“-) Mitbestimmungsstatut der Gesellschaft.


SE-Gründung und Mitbestimmungsstatut: Vorher-Nachher-Prinzip und der Beschluss des BGH v. 23.07.2019 zum „modifizierten Soll-Zustand“

Das mitbestimmungsrechtliche Kontinuitätsprinzip ist nicht nur mit Blick auf die Pflichten der Organe, sondern gerade auch bei der Gründung einer SE relevant.

Die Gründung einer SE erfolgt in der Praxis typischerweise im Wege (1) der Verschmelzung unter Beteiligung von mindestens zwei Aktiengesellschaften aus verschiedenen Jurisdiktionen der EU, (2) des Formwechsels einer AG mit mindestens einer EU-ausländischen Tochtergesellschaft oder (3) der Verschmelzung einer Gesellschaft auf eine Vorrats-SE. Zwingender Bestandteil der Gründung ist das Verfahren zur Festlegung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsorgan der SE. Die Mitbestimmung soll primär zwischen den Leitungsorganen der an der Gründung beteiligten Gesellschaften und dem dafür einzurichtenden besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer (BVG) in einer Vereinbarung festgelegt werden. Lässt sich eine Einigung hierüber nicht erzielen, beurteilt sich die Mitbestimmung nach den Vorschriften des SE-Beteiligungsgesetzes (SEBG) generell nach dem sog. Vorher-Nachher-Prinzip. Hiernach gilt in der SE die Regelung zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat fort, die im Fall des Formwechsels bei der formwechselnden Gesellschaft und im Fall der Verschmelzung bei mindestens 25% aller Arbeitnehmer bestand, die in von der SE-Gründung betroffenen Gesellschaften und Tochtergesellschaften beschäftigt waren (Mitbestimmungsstatus).

Bisher ungeklärt war, ob sich der Mitbestimmungsstatus nach dem faktischen (Ist-Status) oder nach dem gesetzlich gebotenen (Soll-Status) Zustand der Mitbestimmung für die an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften richtet.

Der BGH hatte in seinem Beschluss vom 23.07.2019 entschieden, dass der Soll-Zustand jedenfalls dann maßgeblich ist, wenn vor der SE-Gründung bereits ein Statusverfahren eingeleitet worden war. In dem entscheidungsrelevanten Sachverhalt wurde die SE-Gründung im Wege des Formwechsels am 02.06.2017 durch die Hauptversammlung beschlossen und am 31.07.2017 im Handelsregister eingetragen. Kurz vor der konstitutiven Eintragung am 27.07.2017 leitete ein Aktionär das Statusverfahren ein. Dem Aufsichtsrat der formgewechselten AG gehörten zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Vertreter der Anteilseigner an. Angesichts der über 1.250 Arbeitnehmer, die ihr zuzuordnen waren, hätte der Aufsichtsrat möglicherweise nach dem DrittelbG besetzt sein sollen. Der BGH entschied, dass das Statusverfahren auch noch nach dem Abschluss der Gründung fortzuführen ist und sich der Mitbestimmungsstatus in der SE damit nach dem im Statusverfahren zu beurteilenden Soll-Zustand bestimmt. Er begründete dies im Kern mit dem Zweck des gesetzlichen Vorher-Nachher-Prinzips. Es solle die „Flucht aus der Mitbestimmung“ durch die Gründung einer SE verhindern; ein Mitbestimmungsstatut dauerhaft festzuschreiben sei jedenfalls dann nicht zulässig, wenn es unrichtig sei und seine Übereinstimmung mit den anwendbaren Mitbestimmungsvorschriften durch ein bereits eingeleitetes Statusverfahren auf den Prüfstand gestellt wurde.


Die Beschlüsse des OLG München v. 26.03.2020: „Soll-Zustand“ im konkreten Gründungsvorgang bei Streit bzw. Ungewissheit über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats

Der BGH hatte in seiner Entscheidung allerdings offengelassen, ob der „Soll“-Zustand auch dann relevant ist, wenn in der Gesellschaft zum Zeitpunkt der SE-Gründung noch kein Statusverfahren eingeleitet worden ist. Solche Sachverhalte lagen den drei Beschlüssen des OLG München vom 26.03.2020 zugrunde: Die SE wurde jeweils durch Formwechsel einer AG gegründet und der Aufsichtsrat bestand jeweils nur aus Anteilseignervertretern, obwohl die AGs zum Zeitpunkt der SE-Gründung jeweils konzernweit zwischen 1.851 und mehr als 2.000 Mitarbeiter beschäftigten. Ein Statusverfahren war zum Gründungszeitpunkt jeweils noch nicht eingeleitet worden und die AGs hatte jeweils mit dem BVG eine Beteiligungsvereinbarung abgeschlossen, nach der der Aufsichtsrat der SE nicht mitbestimmt sei und ihm daher jeweils keine Arbeitnehmervertreter angehören würden. Nach der Eintragung der jeweiligen SE in das Handelsregister leitete ein Aktionär jeweils das Statusverfahren ein und machte jeweils geltend, das Aufsichtsorgan in der SE sei mit Blick auf das Vorher-Nachher-Prinzip unter Berücksichtigung des für die AG jeweils maßgeblichen gesetzlichen Mitbestimmungsregimes (DrittelbG bzw. MitbestG) auch mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen.

Das OLG München hat entschieden, dass der für die Zusammensetzung des Aufsichtsorgans objektiv gebotene „Soll“-Zustand SE maßgeblich sei, wenn zum Zeitpunkt der Eintragung der SE-Gründung ein Statusverfahren hätte eingeleitet werden können. Dies setze zumindest voraus, dass zu diesem Zeitpunkt ein Streit (z.B. zwischen dem späteren Antragsteller des Statusverfahrens und der Geschäftsleitung der Gesellschaft) oder eine Ungewissheit über die Zusammensetzung des Aufsichtsorgans bestanden hat. Ist dies der Fall – wofür konkrete Tatsachen im Statusverfahren vorzutragen sind – sei das Aufsichtsorgan der SE mit der entsprechenden Anzahl von Arbeitnehmervertretern zu besetzen und könne eine entgegenstehende Beteiligungsvereinbarung mit dem BVG nach der dem Aufsichtsorgan keine (oder zu wenig) Arbeitnehmervertreter angehören, keine rechtliche Wirkung entfalten.

Das OLG München hat jeweils die Rechtsbeschwerde zugelassen.


Folgen für die Praxis

Es ist zu erwarten, dass der BGH in diesen Statusverfahren, soweit diese in die Rechtsbeschwerdeinstanz kommen, jeweils abschließend entscheiden wird. Die Entscheidungen des OLG München sind aktuell jedenfalls für SE-Gründungen relevant, in denen Unternehmer die Gründung der SE jedenfalls auch in Erwägung ziehen, um den aktuellen Mitbestimmungsstatus „einzufrieren“. Steht zu erwarten, dass der Personalbestand der Gesellschaft in Zukunft die Schwellenwerte überschreitet, so dass dann ein Streit bzw. eine Ungewissheit über die Zusammensetzung des Aufsichtsorgans entstehen und ein Statusverfahren eingeleitet werden könnte, ist es mit Blick auf den Mitbestimmungsstatus – weiterhin – empfehlenswert, rechtzeitig zu reflektieren, ob der Geschäftsbetrieb rechtlich, organisatorisch oder operativ umgestaltet werden könnte – und bejahendenfalls dies auch umzusetzen. Die Modifikationen können neben der Gründung einer SE auch Maßnahmen umfassen, die gerichtet sind (1) auf alternative Rechtsformen, die nicht der gesetzlichen Unternehmensmitbestimmung unterliegen, oder (2) auf operative Änderungen des Geschäftsbetriebs, die dazu führen, dass materielle Schwellenwerte nicht überschritten werden.

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