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Absenkung des Höchstrechnungszinssatzes für versicherungsförmige bAV-Zusagen

Änderungserfordernisse und Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis

Der Gesetzgeber hat in der Fünften Verordnung zur Änderung von Verordnungen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz vom 22. April 2021 die Absenkung des Höchstrechnungszinses für versicherungsförmige Zusagen der betrieblichen Altersversorgung (bAV-Zusagen) auf 0,25 Prozent mit Wirkung zum 1. Januar 2022 bestimmt. Aus dieser Absenkung ergeben sich materielle Implikationen; nicht nur hinsichtlich der Frage, wie man die vom Gesetzgeber geforderte Mindestleistung in der Beitragszusage für Mindestleistung überhaupt darstellen kann. Auch die inhaltliche Ausgestaltung von als beitragsorientierten Leistungszusagen (BOLZ) konzipierten bAV-Zusagen, die der Arbeitnehmer durch Entgeltumwandlung (mit-)finanziert und deren Höhe unter anderem dem betriebsrentenrechtlichen Gebot der Wertgleichheit unterliegen, sind betroffen. Dieser Client Alert erörtert die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich in Bezug auf die Höhe der Versorgungsleistungen aus der Absenkung des Höchstzinssatzes ergeben.

1. Die gesetzliche Ausgangslage im BetrAVG: Keine Vorgabe zur Leistungshöhe

Nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG verpflichtet sich der Arbeitgeber bei einer BOLZ, bestimmte Beiträge in eine Anwartschaft auf Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung umzuwandeln. Die Legaldefinition enthält keine unmittelbaren Angaben zur Höhe der Leistung. Es wird nicht einmal die Zahlung von Beträgen, sondern lediglich deren Umwandlung in eine Anwartschaft auf Leistungen gefordert. Bei der Abbildung der BOLZ im Rahmen der versicherungsförmigen Durchführungswege werden diese Beträge jedoch regelmäßig an den Versorgungsträger gezahlt. Die Versorgungsleistungen resultieren dann aus der versicherungsmathematischen Umrechnung der Beiträge beziehungsweise von deren Sparanteilen. Gegebenenfalls werden diese Leistungen um solche aus zugeteilten Überschüssen erhöht.

Die Verpflichtung des Arbeitgebers gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG inkludiert also eine Doppelverpflichtung als Zusage auf eine Versorgungsanwartschaft, deren Höhe sich nach dem zugesagten Beitrag bemisst. Das BetrAVG enthält keine Vorgaben zu einem Mindestniveau der aus den Beiträgen resultierenden Versorgungsleistung bei der BOLZ. 

2. Die aufsichtsrechtliche Ausgangslage: Das versicherungsrechtliche Vorsichtsprinzip

Auch die aufsichtsrechtlichen Vorschriften enthalten für die versicherungsförmigen Durchführungswege keine Regelungen für eine Mindesthöhe der Versorgungsleistung. Eine mittelbare Vorgabe ergibt sich aus dem aufsichtsrechtlichen Leitsatz des § 138 Abs. 1 S. 1 VAG zur Prämienkalkulation, der eine Konkretisierung des versicherungsrechtlichen Vorsichtsprinzips inkludiert. Nach diesem Leitsatz müssen die Prämien in der Lebensversicherung unter Zugrundelegung angemessener versicherungsmathematischer Annahmen kalkuliert werden und so hoch sein, dass das Lebensversicherungsunternehmen allen seinen Verpflichtungen nachkommen und insbesondere für die einzelnen Verträge ausreichende Deckungsrückstellungen bilden kann. Flankiert wird dieser Leitsatz von den Vorgaben des § 2 Abs. 1 der Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV) zum Höchstzinssatz für die Berechnung der Deckungsrückstellung. Damit sollen die von den Lebensversicherern eingegangenen Verpflichtungen ausreichend berücksichtigt werden. Dieser bilanzielle Höchstrechnungszins und der in die Prämien-/Leistungskalkulation einfließende sogenannte Garantiezins stimmen in Deutschland regelmäßig – aber nicht zwingend – überein. Diese Leitsätze spielen, wie unter Ziffer 4. im Einzelnen aufzuzeigen sein wird, bei der Neuadjustierung der Rahmenparameter für die inhaltliche Ausgestaltung der BOLZ eine elementare Rolle. 

3. Die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Leistungshöhe der BOLZ: Der Leitsatz der Planungssicherheit

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat Leitsätze zum Mindestniveau bisher nur in seinem Urteil vom 30.08.2016 (3 AZR 361/15) ausgeführt, dem eine arbeitgeberfinanzierte BOLZ im Durchführungsweg der Direktzusage zugrunde lag. Es fordert für das Kriterium der Unmittelbarkeit, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Finanzierungsbeitrag und der Höhe der Leistung gewahrt bleibt. Der Arbeitgeber hat den Leistungsplan so auszugestalten, dass spätestens zum Zeitpunkt der Umwandlung der Beiträge in die Versorgungsanwartschaft unmittelbar feststehen muss, welche Höhe die Versorgungsleistung – mindestens – haben wird. Damit einher gehen formale Anforderungen der Transparenz und eine Verwendungsbezogenheit für die Beiträge: Dem Mitarbeiter muss es nach der Ausgestaltung des Leistungsplans möglich sein, seine Versorgung belastbar zu planen. Zudem ist eine interessengerechte Verteilung des Anlagerisikos für die Beiträge zwischen dem Arbeitgeber und dem Mitarbeiter vorzunehmen. Diese Anforderungen sind nach der Auffassung des BAG (nur) erfüllt, wenn die Höhe der aus den Beiträgen resultierenden Leistung feststeht. Eine Erhöhung der garantierten Leistungen um im Vorhinein nicht bestimmbare Leistungen aus Überschüssen steht dem nicht entgegen.

4. Der Leitsatz der Wertgleichheit – und seine Rezeption durch das BAG

Bei einer BOLZ, die der Mitarbeiter aufgrund von Entgeltumwandlung (mit-) finanziert hat, ist zusätzlich der betriebsrentenrechtliche Leitsatz der Wertgleichheit zu beachten. Das BetrAVG enthält keine gesetzliche Definition der Wertgleichheit, sondern verwendet diese (nur) als Teil der gesetzlichen Definition der Entgeltumwandlung in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG, demnach Entgeltumwandlung bei einer Umwandlung künftiger Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf die relevanten Versorgungsleistungen vorliegt. Aus betriebsrentenrechtlicher Sicht folgt der Leitsatz der Wertgleichheit dem Vergütungscharakter des Entgelts, das der Mitarbeiter für die Entgeltumwandlung einbringt: Er soll im Ausgangspunkt den Mitarbeiter in Bezug auf die Verwendung des eingebrachten Entgelts zum Aufbau von Versorgungsanwartschaften vor einer – nicht (mehr) interessengerechten – wirtschaftlichen Entwertung schützen – und ist insoweit zugleich Ausfluss des allgemeinen Vergütungscharakters von Versorgungsleistungen aus bAV-Zusagen.

Das BAG hat in seinem sog. Zillmerung-Urteil (v. 15.09.2009, 3 AZR 17/09) eine realwirtschaftliche Rezeption vorgenommen und für die inhaltliche Bestimmung der Wertgleichheit drei wesentliche Rechtssätze aufgestellt, die für die inhaltliche Ausgestaltung der bAV-Zusage – unter Berücksichtigung einer Abwägung der berechtigten Interessenpositionen des Arbeitgebers und des Mitarbeiters – maßgeblich sind. 

 

  1. Die Wertgleichheit ist anhand einer objektiven wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu bestimmen. Für die konkrete Beurteilung sind die künftigen Entgeltansprüche einerseits und die durch die Entgeltumwandlung zu erzielende Anwartschaft auf Versorgungsleistungen andererseits miteinander zu vergleichen und deren Wert muss sich bei objektiver wirtschaftlicher Betrachtung entsprechen.
  2. Der Vergleich hat unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die individuelle bAV-Zusage zu erfolgen. Dies inkludiert, dass bei bAV-Zusagen in einem versicherungsförmigen Durchführungsweg die versicherungsförmigen Leistungen aus den gezahlten Beiträgen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu ermitteln sind. Anerkannte versicherungsmathematische Grundsätze sind daher für die inhaltliche Bestimmung des Begriffs der Wertgleichheit zu berücksichtigen. Dies entspricht dem berücksichtigungsfähigen Interesse des Arbeitgebers an einer belastbaren Vorausbestimmung der mit der BOLZ verbundenen (Erfüllungs-) Risiken, die insbesondere aus dem Verschaffungsanspruch gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG folgen.
  3. Die Beurteilung der Wertgleichheit hat zum jeweiligen Zeitpunkt der Entgeltumwandlungsvereinbarung zu erfolgen. 

Das BAG hat vor diesem Hintergrund im Zillmerung-Urteil eine (interessengerechte) Zillmerung der Versorgungsleistungen aus einer bAV-Zusage mit Entgeltumwandlung als mit dem Leitsatz der Wertgleichheit vereinbar erachtet. Entsprechende gesetzliche Regelungen zur Zillmerung bzw. zur Höhe von Rückkaufswerten können der Deckungsrückstellungsverordnung bzw. § 169 Versicherungsvertragsgesetz entnommen werden. Die Praxis hat vor allem den zweiten Rechtssatz für weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten in der Bestimmung einer betriebsrentenrechtlich (noch) zulässigen Höhe der Versorgungsleistungen verwendet und dazu bislang unter den bisherigen versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen eine Mindesthöhe für Versorgungsleistungen aus bAV-Zusagen mit Entgeltumwandlung von 80%, der umgewandelten Beiträge für (noch) rechtswirksam erachtet, wenn dem Mitarbeiter ein Wahlrecht gewährt wird mit einer risikoaverse(re)n Alternativoption und diese im Ergebnis Versorgungsleistungen in Höhe der umgewandelten Beiträge sicherstellt (Client Alert 03/2019).

Aktuell sind in der Praxis Tendenzen erkennbar, dies mit Blick auf die schon lang und mutmaßlich weiter andauernden Niedrigzinsperiode flexibel weiter zu entwickeln. Dies würde der unter (1) aufgeführten „objektiven wirtschaftlichen Betrachtung“ entsprechen.

5. Die Einordnung der Absenkung des Höchstzinssatzes in die rechtlichen Vorgaben: Restriktionen und Gestaltungsmöglichkeiten

Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) bringt in ihrem Ergebnisbericht „Garantien der bAV im Niedrigzinsumfeld“ vom 26.02.2021 transparent zum Ausdruck, dass selbst bei einem Ansatz von 0 % Vertriebskosten – wie man sie beispielsweise bei regulierten Pensionskassen antrifft – und reduzierten Verwaltungskosten eine Laufzeit von fast 40 Jahren benötigt wird, um mit einem Garantiezins von 0,25 % gerade 100 % der Summe der eingezahlten Beiträge erreichen zu können. Bei üblichen Verwaltungskostensätzen verlängert sich die erforderliche Laufzeit sogar auf über 100 Jahre. Der auf 0,25 % reduzierte Rechnungszins bzw. Garantiezins für die Tarifkalkulation, ist Ausfluss der Zinssituation – bildet also ökonomische Realitäten ab – und des Vorsichtsprinzips. In ihrem o. g. Ergebnisbericht weist die DAV zu Recht darauf hin, dass der Aktuar und der Versorgungsträger bei der Tarifgestaltung natürlich auch aufsichtsrechtliche Vorgaben zu beachten haben: 

"Bei versicherungsförmiger Durchführung über eine Pensionskasse, eine Direktversicherung oder einen Pensionsfonds ist der Ermessenspielraum durch aufsichtsrechtliche Vorgaben sowie aktuarielle Grundsätze erheblich eingeschränkt, um aus Sicht des Versorgungsträgers die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen jederzeit zu gewährleisten. Die rechnungsmäßigen Annahmen müssen gemäß § 138 Abs. 1 VAG ausreichende Sicherheiten enthalten, damit die zugehörigen Tarife aufsichtsrechtlich genehmigungsfähig (reguliertes Geschäft) bzw. unbedenklich (nicht reguliertes Geschäft) sind. Zudem ergeben sich neben gesetzlichen Vorgaben auch aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Restriktionen im Hinblick auf die Höhe und Verteilung der Abschlusskosten."

Dies bedingt aus betriebsrentenrechtlicher Sicht, dass externe Versorgungsträger bei der Kalkulation der Versorgungsleistungen aus der versicherungsförmigen bAV-Zusage mit oder ohne Entgeltumwandlung – unter Berücksichtigung der abzugsfähigen Zillmerungskosten – einen die Ökonomie reflektierenden adäquaten und den regulatorischen Anforderungen genügenden Garantiezinssatz anzusetzen haben und damit verbunden Leistungen aus der konkreten bAV-Zusage auch generell der Höhe nach die umgewandelten Beiträge unterschreiten können. Die konkrete Höhe der in der bAV-Zusage zuzusagenden garantierten Leistung beurteilt sich – in Fortschreibung der bereits nach der aktuellen Rechtslage maßgeblichen Kriterien – nach der die versicherungsmathematischen Grundsätze gehorchenden Umrechnung der Beiträge in die Versorgungsanwartschaften. Im Ergebnisbericht gelangt die DAV zu der Ansicht, 

"dass aus aktuarieller Sicht eine wertgleiche Umwandlung von Beitrag in
Leistung auf jeden Fall dann gegeben ist, wenn

  1. das Beitrags-/Leistungsverhältnis nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik, insbesondere unter Beachtung des versicherungsmathematischen Äquivalenzprinzips ermittelt wurde,
  2. dabei angemessene Rechnungsgrundlagen verwendet wurden und
  3. bei versicherungsförmiger Durchführung etwaige auf die Versorgungsberechtigten entfallenden Überschussanteile nach den Grundsätzen der Verursachungsorientierung zur Erhöhung der Leistungsanwartschaften oder zur Erhöhung der laufenden Renten verwendet werden.

Es darf davon ausgegangen werden, dass Tarife, die aufsichtsrechtlich genehmigt wurden bzw. gegen die die Versicherungsaufsicht keine Bedenken geltend gemacht hat, dem Wertgleichheitsgebot entsprechen."

Es sprechen dabei nach den vorgenannten Kriterien gewichtige Gründe dafür, unter dem geänderten Höchstzinssatz Versorgungsleistungen bei ausschließlicher Entgeltumwandlung ohne Wahlmöglichkeit des Mitarbeiters mit einer Höhe von weniger als 100% der Beitragssummen, z.B. 80% betriebsrentenrechtlich zulässig zu erachten. Zur Herleitung dieser Höhe lesen Sie unseren Client Alert 03/2019.

6. Ausblick

Versicherungsunternehmen setzen aktuell die gesetzlichen Änderungen zum Höchstzinssatz in ihren Leistungsplänen um. Eine belastbare Rechtssicherheit über den Gestaltungsspielraum, insbesondere zur Höhe der in aufgrund von Entgeltumwandlung vom Mitarbeiter (mit-)finanzierten BOLZ zugesagten Versorgungsleistungen, wird (erst) die Rechtsprechung schaffen. Bis dahin werden Arbeitgeber und Versicherungsunternehmen – abhängig von ihrem Risikoprofil – die inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten in dem ausgeführten rechtlichen Gestaltungsspielraum nutzen (können).

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