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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: 01/2025
Ausgewählte aktuelle Rechtsprechung für die betriebliche Praxis
Inhaltsübersicht
- 1. Für Feiertagszuschläge ist der regelmäßige Beschäftigungsort maßgeblich
- 2. (Kein) Mitbestimmungrecht des Betriebsrats bei Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy
- 3. Kein tariflicher Inflationsausgleich während der Elternzeit
- 4. Anspruch auf Annahmeverzugslohn bei böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes
- 5. Teilzeitbeschäftigte und Überstundenzuschläge – Keine Benachteiligung ohne sachlichen Grund
Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der ersten Ausgabe 2025 die Entscheidungen
(1) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 01.08.2024 (6 AZR 38/24) zur Maßgeblichkeit des regelmäßigen Beschäftigungsortes für Feiertagszuschläge,
(2) des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg vom 06.08.2024 (21 TaBV 7/24) zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy,
(3) des LAG Düsseldorf vom 14.08.2024 (14 Sla 303/24) zur Gewährung eines tariflichen Inflationsausgleichs während der Elternzeit,
(4) des LAG Baden-Württemberg vom 11.09.2024 (4 Sa 10/24) zum Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn bei böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes (bereits bestätigt vom BAG in seinem Urteil vom 15.01.2025, 5 AZR 273/24) sowie
(5) des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29.07.2024 (C-184/22 und C-185/22 sowie BAG Urt. v. 05.12.2024, 8 AZR 370/20 und 372/20) zu Überstundenzuschlägen bei Teilzeitbeschäftigten.
1. Für Feiertagszuschläge ist der regelmäßige Beschäftigungsort maßgeblich (BAG Urt. v. 01.08.2024, 6 AZR 38/24)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 01.08.2024 erkannt (6 AZR 38/24), dass Arbeitnehmer einen Anspruch auf einen Feiertagszuschlag nach Maßgabe der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tarifvertraglichen Regelung (hier: TV-L) haben, wenn sie ihre Arbeitsleistung an einem Kalendertag erbringen, der an ihrem regelmäßigen Beschäftigungsort ein gesetzlicher Feiertag ist; unabhängig davon, ob sie an diesem Tag ihre Arbeitsleistung an einem Ort erbringen, an dem kein gesetzlicher Feiertag ist.
Sachverhalt
- Eine technische Fachkraft (Kläger) eines Universitätsklinikums (Beklagte) in Nordrhein-Westfalen nahm auf Anordnung des Arbeitgebers ab dem 01.11.2021 an einem fünftägigen Lehrgang in Hessen teil.
- Der regelmäßige Beschäftigungsort des Klägers liegt in Nordrhein-Westfalen.
- Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.
- Der 01.11.2021 (Allerheiligen) ist ein gesetzlicher Feiertag in Nordrhein-Westfalen und kein gesetzlicher Feiertag in Hessen.
- Der Kläger machte den Feiertagszuschlag per E-Mail am 22.11.2021 geltend, wobei er in der E-Mail wörtlich ausführte, dass er “Überstunden mit den dazugehörigen Zeitzuschlägen” geltend mache.
- Die Beklagte verweigerte den Feiertagszuschlag mit der Begründung, dass für Fortbildungen weder Feiertags- noch Überstundenzuschläge gezahlt werden. Zudem habe am Ort der Arbeitsleistung kein gesetzlicher Feiertag bestanden.
- Der Kläger erhob daraufhin am 18.11.2022 Klage auf einen 35%igen Feiertagszuschlag.
- Die Beklagte berief sich im Rechtsstreit neben der vorgenannten Argumentation auch auf eine Verwirkung des Anspruchs wegen des zum Zeitpunkt der Klageerhebung zu verzeichnenden Ablaufs der tariflichen sechsmonatigen Ausschlussfrist. Der Kläger habe die Ausschlussfrist mit seiner E-Mail vom 22.11.2021 nicht gewahrt, da er in dieser den Anspruchsgrundf für den geltend gemachten Feiertagszuschlag nicht hinreichend deutlich gemacht habe.
Entscheidungsgründe
- Der Anspruch auf Feiertagszuschläge (gem. § 8 Abs. 1 Nr. 2 lit. d) TV-L i.d.F. des § 43 TV-L) beurteile sich nach dem regelmäßigen Beschäftigungsort des Arbeitnehmers und nicht nach dem Ort des tatsächlichen Einsatzes. Hiervon abweichende Regelungen müssten deutlich erkennbar sein.
- Der Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelung zum Feiertagszuschlag knüpfe insbesondere an die soziale Bedeutung der Feiertagsarbeit am regelmäßigen Beschäftigungsort an, da dort das soziale Umfeld bestehe, in dem der Feiertag typischerweise verbracht wird. Diese Regelung soll sicherstellen, dass Arbeitnehmer für den Verlust der Möglichkeit zur gemeinsamen Gestaltung von Feiertagen mit Familie und Freunden einen besonderen Ausgleich erhalten, auch wenn sie auf Anweisung an einem Ort ohne Feiertag arbeiten müssen.
- Eine vorübergehende Tätigkeit an einem anderen Ort im Rahmen eines Lehrgangs verändere nicht den regelmäßigen Beschäftigungsort.
- Ein Verstoß gegen arbeitszeitrechtliche Regelungen an Feiertagen habe keinen Einfluss auf den Anspruch auf Feiertagszuschläge.
- Der Kläger habe die sechsmonatige tarifliche Ausschlussfrist mit seiner E-Mail vom 22.11.2021 gewahrt. Die Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist setze zwar (auch) die Angabe des Anspruchsgrunds voraus und vorliegend habe der Kläger in der E-Mail nicht explizit auf den tariflichen Feiertagszuschlag verwiesen. Die Beklagte habe jedoch von ihrem Empfängerhorizont hinreichend erkennen können, welchen Anspruch der Kläger geltend gemacht habe.

Folgen für die Praxis
Das Urteil unterstreicht die Bedeutung des regelmäßigen Beschäftigungsorts für die Bestimmung von Feiertagszuschlägen und verpflichtet Arbeitgeber, die Feiertagsregelungen dieses Ortes bei der Einsatzplanung (auch im Fall von Dienstreisen, Schulungen oder ähnlichen Einsätzen) ihrer Mitarbeiter zu berücksichtigen. Arbeitgeber sollten zudem die vertraglichen und unternehmensinternen Richtlinien auf Konsistenz überprüfen, um Konflikte zu vermeiden. Das BAG bestätigt zudem seine tendenziell großzügige Rechtsprechung zur Auslegung von Erklärungen von Arbeitnehmern zu relevanten Ansprüchen zur Wahrung der maßgeblichen Ausschlussfrist.
2. (Kein) Mitbestimmungrecht des Betriebsrats bei Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy (LAG Baden-Württemberg Beschl. v. 06.08.2024, 21 TaBV 7/24)
Das LAG Baden-Württemberg hat sich in der Entscheidung vom 06.08.2024 (21 TaBV 7/24) mit der Rechtsfrage beschäftigt, inwieweit der Betriebsrat bei der Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy mitzubestimmen hat und hat diese Mitbestimmung für Teilbereiche bejaht.
Sachverhalt
- Die Arbeitgeberin wollte ein Arbeitsplatzkonzept einführen, um Desk Sharing und eine Clean Desk Policy umzusetzen. Dabei waren Regelungen zur (1) „Überlagernden Nutzung“ von Flächen, die sowohl Arbeits- als auch Pausenzwecken dienen sollten, (2) zur Mitbringung und Aufbewahrung persönlicher Gegenstände in sog. Lockern (3) zum Desk Sharing und (4) zum Aufräumen des Arbeitsplatzes am Ende des jeweiligen Arbeitstags (Clean Desk Policy) vorgesehen.
- In diesem Zusammenhang sollten die in Großraumbüros bestehenden Arbeitsplätze von festen zu flexiblen, nicht personalisierten Plätzen umgestaltet werden und teilweise bestehende Trennwände zwischen den Arbeitsplätzen entfernt werden. Ein Buchungstool zur Arbeitsplatzreservierung war nicht vorgesehen.
- Der Betriebsrat beantragte die Einsetzung einer Einigungsstelle und berief sich auf Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6, Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Die Arbeitgeberin lehnte die Mitbestimmungspflicht für das Konzept insgesamt ab.
- Eine Gefährdungsbeurteilung für die neuen Arbeitsplätze war noch nicht durchgeführt worden – es bestanden aber Verhandlungen hierüber mit dem Gesamtbetriebsrat.
- Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats ab, der daraufhin Beschwerde einlegte.
Entscheidungsgründe
- Das LAG Baden-Württemberg gab der Beschwerde teilweise statt und setzte eine Einigungsstelle mit den Regelungsgegenständen "Ordnung hinsichtlich von den Arbeitnehmern eingebrachter persönlicher Gegenstände im Zusammenhang mit der Einführung und Umsetzung des Planungskonzepts …spaces" sowie "Ordnung hinsichtlich des Verhaltens auf Flächen mit so genannten überlagernden Nutzungen im Zusammenhang mit der Einführung und Umsetzung des Planungskonzepts … spaces" ein. Für die Einsetzung einer Einigungsstelle sei bereits das Bestehen eines möglichen Mitbestimmungsrechts ausreichend. Ob ein solches wirklich bestehe, sei von der Einigungsstelle genauer zu prüfen.
- Das LAG erkannte, dass die Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliege, da dies allein das nicht mitbestimmungspflichtige Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer betreffen würde; Vorgaben des Arbeitgebers zur Aufbewahrung persönlicher Gegenstände insbesondere solcher Gegenstände vor Beginn und nach Ende der Arbeitszeit würden aber nicht zwingend darauf angelegt sein eine über die Steuerung des Arbeitsverhaltens hinausgehende Ordnung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bzw. eine Beseitigung der Unordnung zu erzielen, die durch am Arbeitsplatz hinterlassene Gegenstände verursacht wird.
- Es sei zudem nicht ausgeschlossen, dass die Einführung einer „überlagernden Nutzung“ von Betriebsflächen (z. B. Nutzung eines Pausenraums für Arbeitszwecke) das betriebliche Miteinander beeinflussen könne und somit dem Ordnungsverhalten zuzuordnen wäre. Diese überlagernde Nutzung würde daher ebenfalls der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegen.
- Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wurde vom LAG abgelehnt, da kein technisches Buchungstool eingeführt wurde. Zudem bestehe auch kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, da konkrete Gefährdungen der Arbeitnehmer nicht festgestellt wurden.

Folgen für die Praxis
Ein „New Work“-Gesamtkonzept zur Art und Weise der Nutzung von Arbeitsplätzen bzw. Arbeitsflächen mit shared/clean desk-Regelungen kann das Ordnungsverhalten der betroffenen Mitarbeiter berühren und daher nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sein. Arbeitgeber haben daher das konkrete Konzept und seine Umsetzung abhängig von der eigenen Positionierung zur etwaigen Beteiligung des Betriebs in der Weise auszugestalten, dass das konkrete Konzept entweder allein oder weit überwiegend das Arbeitsverhalten betrifft oder den Betriebsrat ordnungsgemäß im Rahmen des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beteiligen. Dabei sollten insbesondere Regelungen zur Unterbringung persönlicher Gegenstände und die Nutzung von Betriebsflächen zu unterschiedlichen Zwecken auf § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geprüft werden.
3. Kein tariflicher Inflationsausgleich während der Elternzeit (LAG Düsseldorf Urt. v. 14.08.2024, 14 Sla 303/24)
Das LAG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 14.08.2024 (14 Sla 303/24) entschieden, dass Arbeitnehmer in (Voll-)Elternzeit keinen Anspruch auf einen tariflichen Inflationsausgleich haben, wenn der Inflationsausgleich – neben der Abmildung von inflationsbedingten steigenden Verbraucherpreisen - auch Arbeitsleistung vergüten soll.
Sachverhalt
- Die klagende Arbeitnehmerin war seit 2019 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt und beanspruchte in dem Zeitraum vom 14.06.2022 bis 13.04.2024 Elternzeit, wobei die Elternzeit in dem Zeitraum vom 01.12.2023 bis 13.04.2024 als Elternteilzeit ausgestaltet war.
- Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag bestimmte die Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie für alle Mitarbeiter mit einem am 01.05.2023 bestehenden Arbeitsverhältnis, wenn mindestens an einem Tag zwischen dem 01.01.2023 und dem 31.05.2023 Anspruch auf Entgelt bestanden hat. Zudem sollten auch Mitarbeiter einen Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie haben, die im vorgenannten Bezugszeitraum ausschließlich Kranken- oder Kinderkrankengeld bezogen hatten.
- Die Klägerin beanspruchte die Inflationsausgleichszahlung mit der Begründung, dass die Ausnahme von Beschäftigten in Elternzeit im Tarifvertrag unwirksam sei, da sie gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Zudem forderte sie eine Entschädigung in Höhe von 8.000 EUR brutto aufgrund der Diskriminierung wegen des Geschlechts gemäß § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Entscheidungsgründe
- Das LAG Düsseldorf wies die Klage ab und erkannte, dass die tariflich bestimmte Voraussetzung eines Entgeltbezugs im Bezugszeitraums keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) beinhalten würde.
- Das LAG erkannte, dass ein Inflationsausgleich auch einen Vergütungszweck verfolgen und daher arbeitsleistungsbezogen ausgestaltet sein könne.
- Die in der tariflichen Regelung inkludierte Differenzierung hinsichtlich Beschäftigten, die Krankengeld oder Kinderkrankengeld beziehen und dennoch den Inflationsausgleich erhalten, erfolge aus sozialen Gründen zur Abmilderung besonderer Härten. Die Inanspruchnahme von Elternzeit sei in der Regel planbar, während eigene Erkrankungen oder die von Kindern typischerweise plötzlich und unerwartet auftreten.
- Das Gericht sprach der Klägerin lediglich für den Monat Dezember 2023 einen anteiligen Inflationsausgleich von 220,00 EUR zu, da sie in diesem Monat an mindestens einem Tag Anspruch auf Arbeitsentgelt hatte. Für die Höhe des Inflationsausgleichs sei die am ersten Tag des Bezugsmonats vereinbarte Arbeitszeit maßgeblich, die in diesem Fall noch einer Vollzeitstelle entsprach.
- Der Anspruch der Klägerin auf eine Entschädigung in Höhe von 8.000,00 EUR wegen unzulässiger Geschlechtsdiskriminierung wurde abgelehnt, da keine Diskriminierung festgestellt wurde.

Folgen für die Praxis
Das Urteil zeigt anschaulich die in der Gestaltung der Rechtsgrundlage von einmaligen Sonderzahlungen angezeigte Sorgfalt in der transparenten Formulierung der maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen. Viele Arbeitgeber haben die Gewährung von nach § 3 Nr. 11c EstG steuerbegünstigten Inflrationsausgleichsprämien – wie auch zuvor Corona-Sonderprämien –neben der Kompensation von inflations-/coronabedingten Mehrbelastungen auch von der Erbringung von Arbeitsleistung im Referenzzeitraum abhängig gemacht und diesen Zweck transparent (etwa durch die transparente Ausführung von nicht begünstigten Personengruppen) in der Rechtsgrundlage ausgeführt. Aus Praxissicht ist die inhaltliche Klarstellung des LAG hilfreich, dass diese Sonderzahlungen zulässigerweise auch von der Erbringung von Arbeitsleistungen abhängig gemacht werden können. Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision beim BAG eingelegt (10 AZR 261/24), die aktuell noch rechtshängig ist.
4. Anspruch auf Annahmeverzugslohn bei böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes (LAG Baden-Württemberg Urt. v. 11.09.2024, 4 Sa 10/24)
Das LAG Baden-Württemberg hat am 11.09.2024 (4 Sa 10/24) die jüngere arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zum Anspruch auf Annahmeverzugslohn weiter konkretisiert und erkannt, dass ein Arbeitnehmer sich während eines Annahmeverzugs des Arbeitgebers trotz böswilligen Unterlassens von Bewerbungsbemühungen keinen hypothetischen Verdienst anrechnen lassen müsse, wenn der Arbeitgeber während des Annahmeverzugs (gegenüber dem Arbeitnehmer) keine konkreten Beschäftigungsmöglichkeiten nachgewiesen habe.
Sachverhalt
- Der Kläger, ein Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie, hatte nach Ausspruch einer Kündigung von der Beklagten eine Kündigungsschutzklage erhoben. Das Arbeitsgericht (ArbG) Stuttgart hatte die Kündigung mit Urteil vom 15.09.2021 (15 Ca 1009/21) für unwirksam erklärt.
- Der Kläger forderte daraufhin Annahmeverzugs-Vergütung für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2022, währenddessen er Arbeitslosengeld bezogen hatte, sich aber keine anderweitige Beschäftigung gesucht hatte.
- Der Kläger hatte der Agentur für Arbeit mitgeteilt, ausschließlich bei der Beklagten weiterarbeiten zu wollen und daraufhin keine Vermittlungsvorschläge erhalten.
- Die Beklagte lehnte die Annahmeverzugs-Vergütung mit der Begründung ab, der Kläger habe böswillig unterlassen, eine zumutbare Arbeit anzunehmen, und hätte sich um freie Stellen bemühen müssen. Sie verwies auf Arbeitsmarktberichte mit freien Stellen in der Region und behauptete, der Kläger hätte einen Verdienst erzielen können.
- Nachdem das ArbG der Klage unter anderem mit der Begründung stattgegeben hatte, dass die Beklagte keine konkreten relevanten Stellenangebote vorgelegt habe, führte die Beklagte „nachermittelte“ Stellenangebote in der Berufungsinstanz ein.
Entscheidungsgründe
- Das LAG erkannte einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß §§ 611a Abs. 2, 615 S. 1 BGB, da die Beklagte den Kläger nach Erlass des erstgerichtlichen Urteils im Kündigungsrechtsstreit tatsächlich nicht beschäftigt habe.
- Der Kläger müsse sich nach § 11 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nur dann einen hypothetischen Verdienst anrechnen lassen, wenn er böswillig eine zumutbare Arbeit nicht angenommen habe.
- Die Beklagte trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger eine konkrete zumutbare Arbeitsgelegenheit gehabt hätte. Der Vortrag der Beklagten, basierend auf allgemeinen Arbeitsmarktberichten und nachträglich ermittelten Stellen, genüge dieser Darlegungslast nicht.
- Eine böswillige Untätigkeit des Klägers wurde zwar festgestellt, jedoch fehlte der Nachweis, dass er bei Bemühungen tatsächlich einen Verdienst erzielt hätte.
- Die vom Arbeitgeber vorgebrachten „nachermittelten“ Stellenangebote wurden dem Kläger während des Verzugszeitraums nicht bekannt gemacht, weshalb sie nicht berücksichtigt werden könnten.
- Eine Schätzung des hypothetischen Verdienstes komme erst in Betracht, wenn konkrete Verdienstmöglichkeiten feststehen – dies war hier nicht der Fall.

Folgen für die Praxis
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg (und wohl auch seine Bestätigung durch das bisher nicht veröffentlichte Urteil des BAG vom 15.01.2025) zeigt anschaulich die für Arbeitgeber in Kündigungsrechtsstreiten zur Vermeidung von Annahmeverzugsvergütungsansprüchen aus dem prozessualen Weiterbeschäftigungsverhältnis bei einer – vom Arbeitgeber regelmäßig bereits aus prozessbezogenen Überlegungen nicht intendierten Prozess-Weiterbeschäftigung – angezeigte Vorgehensweise auf, dem Arbeitnehmer bereits während des Annahmeverzugs regelmäßig entsprechende relevante Stellenanzeigen zuzusenden, auf die sich der Arbeitnehmer zum Erhalt des Annahmeverzugsvergütungsanspruchs zu bewerben hat.
Das LAG weicht mit seiner Entscheidung von der jüngsten Rechtsprechung des BAG (zuletzt 07.02.2024 (5 AZR 177/23)) zum böswilligen Unterlassen anderweitigen Verdienstes ab, in der das BAG die Darlegung konkreter Beschäftigungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber (noch) nicht verlangt hatte und dies damit begründet hatte, dass wenn ein Arbeitnehmer durch sein Verhalten verhindere, dass die Agentur für Arbeit Vermittlungsvorschläge unterbreite, der Arbeitgeber erst nachträglich davon Kenntnis erhalten und dann nicht mehr (re-)agieren könne. In diesem Fall trage der Arbeitnehmer die Beweislast dafür, dass eine Bewerbung erfolglos gewesen wäre. Das BAG hat die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LAG Baden-Württemberg am 15.01.2025 bereits zurückgewiesen (5 AZR 273/24). Die Urteilsgründe oder eine Pressemitteilung stehen noch aus.
5. Teilzeitbeschäftigte und Überstundenzuschläge – Keine Benachteiligung ohne sachlichen Grund (EuGH Urt. v. 29.07.2024, C-184/22 und C-185/22 sowie BAG Urt. v. 05.12.2024, 8 AZR 370/20 und 372/20)
Der EuGH hat entschieden, dass nationale Regelungen, die Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nur bei Überschreiten der regulären Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten vorsehen, eine ungerechtfertigte Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten darstellen können. Inzwischen hat auch das BAG in beiden anhängigen Verfahren Urteile im Sinne der EuGH-Entscheidung gesprochen.
Sachverhalt
- Der zwischen dem Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. (ver.di) und dem Beklagten geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) sah gem. §§ 10, 13 Überstundenzuschläge für Arbeitsstunden vor, die die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten (von wöchentlich 38,5 Stunden) überschreiten.
- Zwei Teilzeitbeschäftigte (40 % bzw. 80 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft) klagten gegen ihre Arbeitgeber und forderten Überstundenzuschläge für Stunden, die über ihre vertraglich festgelegte Arbeitszeit hinausgingen, aber unter der regulären Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten lagen sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
- Das LAG Hessen sprach den Arbeitnehmerinnen die begehrten Überstundenzuschläge zu. Das BAG legte dem EuGH in der Revisionsinstanz die o.g. Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidungsgründe
- Nach Auffassung des EuGH sei eine Ungleichbehandlung gegeben, wenn Teilzeitbeschäftigte überproportional viele Stunden arbeiten müssten, um Überstundenzuschläge zu erhalten.
- Diese Praxis verstoße gegen die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG sowie gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gemäß Art. 157 AEUV und der Richtlinie 2006/54/EG, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gleiches Entgelt erhalten müssen.
- Der EuGH stellte durch seine Entscheidung klar, dass Art. 157 Abs. 1 AEUV, § 4 Nr. 1, 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der RL 97/81/EG und die Richtlinie 2006/54/EG Benachteiligungen untersagen, die nicht objektiv und transparent begründet sind. Der EuGH betonte, dass die ihm vorgelegte tarifvertragliche Regelungen nicht durch legitime Ziele gerechtfertigt werden können, da sie nicht geeignet sind, die angestrebten Ziele zu erreichen.
- In der Folge entschied das BAG in der Revisionsinstanz mit Urteilen vom 05.12.2024 (8 AZR 370/20 und 8 AZR 372/20), dass die entsprechende tarifvertragliche Regelung gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten verstoße. Es entschied, dass Teilzeitbeschäftigte Anspruch auf Überstundenzuschläge haben, sobald sie ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit überschreiten, und nicht erst, wenn sie die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten überschreiten.
- Zudem sprach das Gericht den Klägerinnen eine Entschädigung zu, da sie durch die Anwendung der tariflichen Regelung eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren haben.

Folgen für die Praxis
Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern für die Leistung von Mehrarbeit Überstundenzuschläge gewähren, haben ihre Zuschlagsregelungen auf die Vereinbarkeit mit den vom EuGH und dem BAG aufgestellten Rechtssätzen zu überprüfen und zu regeln, dass ein solcher Überstundenzuschlag auch für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer (bereits) für jede Mehrarbeit besteht, die die regelmäßige individuelle Arbeitszeit überschreitet. Dies bedingt zugleich aus personalpolitischer Sicht, dass teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer dann unter Berücksichtigung der geleisteten Mehrarbeit in dem jeweiligen Gesamtvolumen der Arbeitszeit eine höhere Vergütung erzielen als vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter, mit gleichem Arbeitsvolumen – hierzu sollten Arbeitgeber praxisgerechte Lösungen (z.B. durch eine bedarfsgerechte Steuerung der Erforderlichkeit von relevanter Mehrarbeit, sofern dies operativ darstellbar ist) entwickeln.
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Inhaltsübersicht
- 1. Für Feiertagszuschläge ist der regelmäßige Beschäftigungsort maßgeblich
- 2. (Kein) Mitbestimmungrecht des Betriebsrats bei Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy
- 3. Kein tariflicher Inflationsausgleich während der Elternzeit
- 4. Anspruch auf Annahmeverzugslohn bei böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes
- 5. Teilzeitbeschäftigte und Überstundenzuschläge – Keine Benachteiligung ohne sachlichen Grund
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