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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: 03/2025

Ausgewählte aktuelle Rechtsprechung für die betriebliche Praxis

Unsere Monthly Dose Arbeitsrecht zur aktuellen Rechtsprechung behandelt in der dritten Ausgabe 2025 die Entscheidungen

(1) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 26.11.2024 (1 ABR 12/23) zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anpassung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes nach gesetzlichen Vorgaben,

(2) des BAG vom 05.12.2024 (8 AZR 370/20) zu tariflichen Regelungen für Überstundenzuschläge bei Teilzeitbeschäftigten,

(3) des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm vom 27.08.2024 (6 SLa 63/24) zum Anspruch auf Gewährung einer Lohnerhöhung auf Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Nichtunterzeichnung von Neuverträgen,

(4) des LAG Niedersachsen vom 24.09.2024 (10 TABV 18/24) zur Ersetzung der Zustimmung zur Eingruppierung eines Arbeitnehmers in den außertariflichen Bereich sowie

(5) des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19.12.2024 (C-531/23) zur Arbeitszeiterfassungspflicht für Hausangestellte.

1. Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anpassung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes nach gesetzlichen Vorgaben (BAG Urt. v. 26.11.2024, 1 ABR 12/23)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied am 26.11.2024 (1 ABR 12/23), dass bei einer Anpassung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 BetrVG oder § 78 Satz 2 BetrVG dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zusteht.

Sachverhalt

  • Die Beteiligten stritten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Einleitung eines Zustimmungsverfahrens gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG. Die Antragsgegnerin betreibt zwei Autohäuser, für die der antragstellende Betriebsrat zuständig ist.
  • Der freigestellte Vorsitzende des Betriebsrats wurde von der Arbeitgeberin bis Ende Mai 2020 nach der Vergütungsgruppe VI des einschlägigen Vergütungstarifvertrags vergütet. Nachdem er im März 2021 ein Assessment-Center zur Überprüfung seiner Eignung für eine Werkstattleitungsposition erfolgreich durchlaufen hatte, erhielt er rückwirkend ab dem 1. Juni 2020 eine Vergütung nach der höheren Vergütungsgruppe VIII.
  • Der Betriebsrat verlangte daraufhin, an der Eingruppierung beteiligt zu werden, und beantragte, die Arbeitgeberin zur Durchführung eines Verfahrens nach § 99 BetrVG zu verpflichten. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab mit der Begründung, es liege keine mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung vor.
  • Das Arbeitsgericht (ArbG) Leipzig verpflichtete die Arbeitgeberin, die Zustimmungsverfahren einzuleiten. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen wies den Antrag insoweit zurück, als die Durchführung eines Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG verlangt wurde und bestätigte im Übrigen die Entscheidung des ArbG Leipzig. Das BAG wies den Antrag des Betriebsrats insgesamt ab.

Entscheidungsgründe

  • Kein Anspruch auf Mitbestimmung nach § 99 BetrVG bei Vergütungsanpassung nach § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG: Das BAG stellte klar, dass die Erhöhung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds aufgrund gesetzlicher Schutzvorschriften nicht als Ein- oder Umgruppierung im Sinne des § 99 BetrVG anzusehen ist. Eine mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung setzt die Bewertung und Zuordnung der konkret ausgeübten Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu einer Vergütungsgruppe voraus. Bei der Anpassung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds findet jedoch keine solche Tätigkeitseinschätzung statt.
  • Personenunabhängige Bewertung von Arbeitsplätzen oder Tätigkeiten bei Entgeltanpassung: Bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern, deren Arbeitsentgelt nach § 37 Abs. 4 BetrVG oder § 78 Satz 2 BetrVG erhöht wird, erfolgt keine direkte Zuordnung zu einer Vergütungsordnung durch den Arbeitgeber. Vielmehr handelt es sich um eine Vergütungsanpassung auf Grundlage eines Vergleichs mit der hypothetischen beruflichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer (§ 37 Abs. 4 BetrVG) oder zur Vermeidung von Benachteiligung wegen der Betriebsratstätigkeit (§ 78 Satz 2 BetrVG). Diese Anpassung beruht nicht auf einer Zuordnung zu einer tariflichen Vergütungsordnung anhand tatsächlich verrichteter Tätigkeiten. Da die Vergütungsanpassung gesetzlich geboten ist und keiner Ermessensentscheidung des Arbeitgebers unterliegt, scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus.

Folgen für die Praxis

Die für die Praxis hilfreiche Entscheidung stell klar, dass Entgeltanpassungen für freigestellte Betriebsratsmitglieder, die ausschließlich zur – weiteren – Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben der §§ 37 Abs. 4 und 78 Abs. 2 BetrVG vorgenommen werden, nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.

2. Tarifliche Regelungen für Überstundenzuschläge, die bei Teilzeitbeschäftigten das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzen, verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot (BAG Urt. v. 05.12.2024, 8 AZR 370/20)

Das BAG entschied am 05.12.2024 (8 AZR 370/20), dass eine tarifvertragliche Regelung, die den Anspruch auf Überstundenzuschläge auch bei Teilzeitbeschäftigten vom Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten abhängig macht, gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 Abs. 1 TzBfG verstößt, wenn keine sachlichen Gründe vorliegen. Zudem stellt eine solche Regelung eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Sinne von § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1 AGG dar, wenn ein deutlich höherer Anteil an Frauen von der Regelung betroffen ist.

Sachverhalt

  • Die Klägerin war als Pflegekraft in Teilzeit (40 % einer Vollzeitstelle bei einem ambulanten Dialyseanbieter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein zwischen dem Arbeitgeber und der Gewerkschaft ver.di geschlossener Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung.
  • Dieser sah für Vollzeitbeschäftigte einen Überstundenzuschlag von 30 % vor, wenn die monatlich festgelegte Arbeitszeit überschritten und die Mehrarbeit nicht durch Freizeit ausgeglichen wurde (§ 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV).
  • Für Teilzeitbeschäftigte fehlte eine anteilige Reduzierung der Schwelle für Überstundenzuschläge. Der Zuschlag wurde erst gewährt, wenn die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wurde.
  • Die Klägerin leistete etwa 129 Überstunden, für die sie weder einen Zuschlag noch eine entsprechende Zeitgutschrift erhielt.
  • In der Gruppe der unter den MTV fallenden Teilzeitbeschäftigten waren über 90% Frauen vertreten.
  • Die Klägerin klagte – wie zeitgleich viele weitere teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter der Beklagten – auf Zeitgutschrift für Überstundenzuschläge und auf eine Entschädigung in Höhe von 4.485,06 EUR nach § 15 Abs. 2 AGG.
  • Das BAG gab der Klage hinsichtlich der Zeitgutschrift und hinsichtlich der begehrten Entschädigung in Höhe von 250 EUR statt.

Entscheidungsgründe

1. Anspruch aus § 4 Abs. 1 TzBfG i.V.m. §§ 134, 612 Abs. 2 BGB

  • Ein Anspruch des Klägers auf Zeitgutschrift für Überstundenzuschläge bestehe nicht aus Vertrag, sondern ergebe sich aus § 4 Abs. 1 TzBfG in Verbindung mit §§ 134, 612 Abs. 2 BGB.
  • § 10 Ziff. 7 Satz 2 des MTV sei insoweit gemäß § 134 BGB unwirksam, als er keine anteilige Herabsetzung der Arbeitszeit bei in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer vorsieht, ab deren Überschreitung Überstundenzuschläge zu zahlen sind.
  • Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG darf ein Arbeitnehmer, der in Teilzeit beschäftigt ist, nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer Arbeitnehmer, der in Vollzeit beschäftigt ist, es sei denn, es bestehen sachliche Gründe.
  • Solche Gründe sah das BAG nicht. Vielmehr bestehe ein wirtschaftlicher Anreiz für den Arbeitgeber, Überstunden gezielt durch Teilzeitkräfte leisten zu lassen, da diese günstiger seien. Das stelle eine unzulässige Schlechterstellung dar.

2. Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG

  • Die Regelung in § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV führe zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG.
  • Die Norm benachteilige Teilzeitkräfte gegenüber Vollzeitkräften, und da der Anteil weiblicher Teilzeitkräfte deutlich höher sei, treffe die Benachteiligung überwiegend Frauen.
  • Ein sachlicher Grund für diese mittelbare Benachteiligung sei nicht ersichtlich.
  • Die Haftungsprivilegierung des § 15 Abs. 3 AGG greife nicht. Die Klägerin habe daher Anspruch auf eine Entschädigung i.H.v. 250 EUR. Dieser Betrag sei erforderlich, aber – unter Berücksichtigung der Vielzahl betroffener Arbeitnehmerinnen des Beklagten – auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen, und wahrt insoweit die Verhältnismäßigkeit.

Folgen für die Praxis

Arbeitgeber sollten ihre tariflichen und betrieblichen Regelungen zur Überstundenvergütung prüfen und ggf. anpassen, um eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten zu vermeiden. Insbesondere dürfen Überstundenzuschläge nicht erst beim Überschreiten der Vollzeitgrenze gewährt werden, sondern müssen anteilig zur individuellen Arbeitszeit gewährt werden. Andernfalls drohen Entschädigungsansprüche wegen mittelbarer Diskriminierung – vor allem, wenn überwiegend Frauen betroffen sind. Für die Praxis hilfreich hat das BAG in dem Urteil in der Beurteilung zur Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG klargestellt, dass diese nach einer ganzheitlichen Beurteilung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu bestimmen ist und dafür unter anderem auch mögliche parallele Rechtsstreite des Arbeitgebers zum gleichen Sachverhalt mit entsprechenden weiteren Entschädigungsleistungen nach § 15 Abs. 2 AGG zu berücksichtigen sind.

3. Kein Anspruch auf Gewährung einer Lohnerhöhung aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz bei Nichtunterzeichnung von Neuverträgen (LAG Hamm Urt. v. 27.08.2024, 6 SLa 63/24)

Das LAG Hamm entschied am 27.08.2024 (6 Sla 63/24), dass ein Anspruch auf Gewährung einer Lohnerhöhung nicht besteht, wenn der Arbeitgeber eine freiwillige Lohnerhöhung als Anreiz nur den Arbeitnehmern gewährt, die einem überarbeiteten, umfassend geänderten Arbeitsvertrag zustimmen. Ein Arbeitnehmer, der die neuen Vertragsbedingungen – insbesondere wegen einzelnen gegenüber der bisherigen Vertragsfassung rechtlich und/oder wirtschaftlich nachteiligen Klauseln – ablehnt, kann sich in diesem Fall nicht erfolgreich auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen.

Sachverhalt

  • Die Klägerin ist seit Januar 2015 bei der Beklagten angestellt, die über 100 Arbeitnehmer beschäftigt, die über unterschiedliche Arbeitsverträge unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Regelungen verfügen.
  • Im Februar 2022 bot die Beklagte allen Arbeitnehmern neue, einheitliche (und an die aktuelle Rechtsprechung des BAG angepasste) Arbeitsverträge an. Diese beinhalteten eine Erhöhung der monatlichen Fixvergütung von 4 % sowie diverse inhaltliche Änderungen mit einer Verschlechterung der Rechtsposition der Mitarbeiter gegenüber der arbeitsvertraglichen Vorfassung (u.a. erstmalige gleiche Anwendung der Kündigungsfristen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 622 Abs. 2 und 5 BGB, Umsetzung der Rechtsprechung des BAG zur Möglichkeit der abgestuften Regelung des gesetzlichen und des zusätzlichen arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruchs, Einführung einer wirksamen dreimonatigen Ausschlussfrist).
  • Die Klägerin lehnte den neuen Vertrag ab, da sie ihn als benachteiligend empfand, insbesondere wegen der Verfallklauseln und der längeren Kündigungsfrist. Sie erhielt weiterhin ihre bisherige arbeitsvertragliche monatliche Fixvergütung von 2.451 EUR brutto.
  • Die Beklagte gewährte mit Wirkung zum Januar 2023 allen Arbeitnehmern, die den neuen Vertrag unterzeichnet hatten, eine weitere Erhöhung der monatlichen Fixvergütung von 5%.
  • Die Klägerin erhob daraufhin Klage und begehrte eine um insgesamt im Ergebnis 9% höhere monatliche Fixvergütung für den Zeitraum Januar 2023 bis März 2023 sowie die Feststellung, dass ihr eine solche erhöhte monatliche Fixvergütung auch zukünftig zustehe.
  • Sie sah im Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie eine Maßregelung im Sinne von § 612a BGB.
  • Die Beklagte machte geltend, dass die unterschiedliche Gruppenbehandlung durch ihr sachgerechtes Interesse, mit einheitlichen und unter Berücksichtigung gesetzlicher Änderungen und nach Maßgabe der Rechtsprechung aktualisierten Arbeitsverträgen zu arbeiten, gerechtfertigt sei.
  • Das ArbG Dortmund wies die Klage ab. Die Klägerin legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein, wobei sie sich in der Berufungsbegründung inhaltlich nur mit den Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils zur begehrten Vergütungserhöhung auseinandersetzte.

Entscheidungsgründe

  • Feststellungsantrag unzulässig: Der Feststellungsantrag war mangels ausreichender Berufungsbegründung unzulässig, da es sich um einen eigenständigen Streitgegenstand handelt, zu dem die Klägerin keine Berufungsangriffe vorgebracht hatte.
  • Zahlungsantrag unbegründet: Die Klägerin kann aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz keinen Anspruch auf die Lohnerhöhung ableiten. Die beiden Gruppen (Arbeitnehmer mit altem bzw. neuem Vertrag) befinden sich nicht in einer vergleichbaren Lage. Die Unterschiede in den Vertragsinhalten (z. B. Ausschlussfristen, Kündigungsfristen, weitere arbeitsrechtliche Änderungen) rechtfertigen eine differenzierende Behandlung.
  • Kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB: Die Beklagte hat die Klägerin nicht wegen der Ablehnung des neuen Arbeitsvertrags gemaßregelt, sondern aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsvertragsmodelle entschieden, sie von der Lohnerhöhung ab Januar 2023 auszunehmen. Die Nichtgewährung der Lohnerhöhung ist lediglich eine Folge der Entscheidung der Klägerin.
  • Kein Anspruch aus betrieblicher Übung: Es ist kein gleichförmiges, wiederholtes Verhalten der Beklagten erkennbar. Die Klägerin konnte ebenfalls nicht aus der ausschließlich den Arbeitnehmern mit neuen Arbeitsverträgen gewährten Lohnerhöhung schließen, ihr solle auch eine solche Lohnerhöhung gewährt werden.

Folgen für die Praxis

Die für die Praxis hilfreiche Entscheidung kann Arbeitgebern mehr Gestaltungsspielraum bei der Überarbeitung/Anpassung von Arbeitsverträgen an aktuelle Rechtsentwicklungen (und hier vor allem an Fortentwicklungen der AGB-Rechtsprechung) geben, indem die Abschlussbereitschaft der von den Vertragsänderungen betroffenen Arbeitnehmer durch die Zusage einer Gehaltserhöhung oder vergleichbare Vergütungsanreize (z.B. als einmalige Sonderzahlung) erhöht wird. Arbeitgeber sollten dabei die relevanten transparenten und nachvollziehbaren Kriterien dokumentieren, um Diskriminierungsvorwürfen vorzubeugen. Vorliegend ist zu beachten, dass die Klägerin gegen das Urteil die Revision beim BAG eingelegt hat (5 AZR 239/24). Insoweit bleibt der weitere Verfahrensgang des Rechtsstreits abzuwarten.

4. Ersetzung der Zustimmung zur Eingruppierung eines Arbeitnehmers in den außertariflichen Bereich (LAG Niedersachsen Beschl. v. 24.09.2024, 10 TaBV 18/24)

Das LAG Niedersachsen hat am 24.09.2024 entschieden (10 TaBV 18/24), dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung eines Arbeitnehmers als außertariflicher Angestellter zu ersetzen ist, wenn die Voraussetzungen des Vergütungsrahmentarifvertrags (VergRTV) erfüllt sind.

Sachverhalt

  • Die antragsstellende Arbeitgeberin ist Mitglied im Arbeitgeberverband Tarifgemeinschaft Technischer Überwachungs-Vereine (TÜV) e.V. und unterliegt dem VergRTV. Vom persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags sind Beschäftigte ausgenommen, deren Arbeitsbedingungen einzelvertraglich geregelt sind und deren monatliche Vergütung mindestens 10 % über der höchsten tariflichen Entgeltgruppe liegt.
  • Im April 2023 schrieb die Arbeitgeberin eine neue Stelle aus und beantragte die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung des Bewerbers als außertariflichen Angestellten.
  • Der Arbeitsvertragsentwurf sah eine Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag zwischen der Tarifgemeinschaft TÜV e.V. und ver.di vor. Die Vergütung und Arbeitszeiten wurden individualvertraglich vereinbart.
  • Die wöchentliche Arbeitszeit wurde mit 38,5 Stunden festgelegt. Die vereinbarte monatliche Fixvergütung lag ca. 20% über der monatlichen Fixvergütung der höchsten Tarifstufe des für die Tarifmitarbeiter anwendbaren Vergütungstarifvertrags. Der Arbeitsvertrag sah zusätzlich eine Abgeltung dienstlich notwendiger Mehrarbeit von bis zu 240 Stunden jährlich durch die monatliche Fixvergütung vor. Darüber hinausgehende Mehrarbeit sollte nach Wahl der Arbeitgeberin vergütet oder durch Freizeit ausgeglichen werden.
  • Der Betriebsrat stimmte der Einstellung zu, verweigerte jedoch die Zustimmung zur außertariflichen Eingruppierung; dies mit der Begründung, dass eine tarifliche Eingruppierung erforderlich sei, da unter Berücksichtigung der Mehrarbeit der tarifliche Abstand nicht gewahrt sei.
  • Die Arbeitgeberin beantragte daraufhin die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG.
  • Das ArbG Hannover ersetzte mit Beschluss vom 01.02.2024 (10 BV 6/23) die Zustimmung des Betriebsrats. Es begründete dies damit, dass kein Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 BetrVG vorliege und der persönliche Geltungsbereich des VergRTV rechtswirksam vertraglich ausgeschlossen werden könne.
  • Gegen diesen Beschluss legte der Betriebsrat Beschwerde ein. Er machte geltend, das tarifliche Abstandsgebot sei nicht erfüllt, da bei der Vergleichsberechnung auch die mit dem Grundgehalt abgegoltene Mehrarbeit zu berücksichtigen sei.

Entscheidungsgründe

  • Das LAG Niedersachsen wies die Beschwerde zurück und bestätigte den Beschluss des ArbG Hannover.
  • Die Eingruppierung des Arbeitnehmers als außertariflicher Angestellter sei wirksam, da die Voraussetzungen für einen Ausschluss vom persönlichen Geltungsbereich des VergRTV erfüllt seien: Die Arbeitsbedingungen seien individualvertraglich geregelt, und das monatliche Grundgehalt überschreite die höchste tarifliche Entgeltgruppe um mehr als 10 %.
  • Der Einwand des Betriebsrats, bei der Vergleichsberechnung müsse die pauschal abgegoltene Mehrarbeit berücksichtigt werden, sei unbeachtlich. Maßgeblich sei allein das vertraglich vereinbarte Grundgehalt – nicht eine rechnerische Umlegung geleisteter Arbeitszeit.
  • Das LAG Niedersachsen bestätigte, dass der Tarifvertrag keine weitergehenden Anforderungen an die außertarifliche Eingruppierung stelle und daher kein Verstoß vorläge.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung stellt klar, dass die außertarifliche Eingruppierung auf Basis der Entgelthöhe zulässig ist, wenn die tarifvertraglich vorgesehenen Voraussetzungen für die (monatliche Fix-)Vergütung erfüllt sind und insoweit das tarifliche Abstandsgebot erfüllt ist. Arbeitgeber sollten dabei sicherstellen, dass die vertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen dem auf die Tarifmitarbeiter anwendbaren Tarifvertragssystem eindeutig nicht unterfallen, um Streitigkeiten zu vermeiden.

5. Arbeitszeiterfassung auch für Hausangestellte (EuGH Urt. v. 19.12.2024, C-531/23)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 19.12.2024 in der Rechtssache C-531/23, dass auch private Haushalte zur objektiven Arbeitszeiterfassung von Hausangestellten verpflichtet sind.

Sachverhalt

  • Eine Hausangestellte war in Spanien in Vollzeit beschäftigt und wurde entlassen. Sie klagte gegen die Kündigung und forderte ausstehenden Lohn, konnte jedoch mangels systematischer Arbeitszeiterfassung ihre tatsächlichen Arbeitsstunden nicht nachweisen.
  • Nach spanischem Recht waren Arbeitgeber von Hausangestellten nicht verpflichtet, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzurichten.
  • Das zuständige spanische Gericht bezweifelte die Vereinbarkeit dieser nationalen Regelung mit dem Unionsrecht und legte dem EuGH eine entsprechende Vorlagefrage vor. Es wollte wissen, ob Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie), in Verbindung mit den Richtlinien 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrahmen) und 2010/41/EU (selbstständige Erwerbstätige) sowie mit Art. 20, 21 und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einer nationalen Regelung entgegenstehen, die Hausangestellte von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausnimmt.

Entscheidungsgründe

  • Arbeitszeiterfassung als zentrales Schutzinstrument: Der EuGH betonte, dass ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung erforderlich ist, um die effektive Einhaltung von Ruhezeiten sowie der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeit sicherzustellen.
  • Verpflichtung der Mitgliedstaaten: Sowohl die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG als auch Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta verpflichten die Mitgliedstaaten dazu, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften zu gewährleisten.
  • Schutzzweck der Regelung: Die Erfassung der Arbeitszeit dient nicht nur der Kontrolle, sondern insbesondere dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch Begrenzung der Arbeitszeit und Sicherstellung von Erholungszeiten.
  • Keine generelle Ausnahme für Hausangestellte: Zwar erlaubt Art. 17 der Richtlinie 2003/88/EG Ausnahmen, diese sind jedoch eng auszulegen. Eine generelle Ausnahme für Hausangestellte widerspricht dem Zweck der Richtlinie und führt zu einer unzulässigen Aushöhlung des Arbeitnehmerschutzes.
  • Mögliche mittelbare Diskriminierung: Der EuGH wies darauf hin, dass eine solche Ausnahme vor allem Frauen benachteiligen könne, da Hausangestellte überwiegend weiblich sind. Dies könne eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts im Sinne von Art. 21 der Grundrechtecharta darstellen.

Folgen für die Praxis

Das EuGH-Urteil bestätigt, dass auch Arbeitgeber in privaten Haushalten zur objektiven Arbeitszeiterfassung von Hausangestellten verpflichtet sind. Das Urteil erhöht den Druck auf den – deutschen – Gesetzgeber, die spätestens seit dem Beschluss des BAG vom 13.09.2022 (im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 14.05.2019 (Rs. 55/18) in von der Praxis geforderten klarstellenden Regelungen hierzu im ArbZG umzusetzen; aus praktischer Sicht am besten im aktuell noch in den Verhandlungen befindlichen Koalitionsvertrag.

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