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Material Risk Taker @ IFD

Die Identifizierung der Material Risk Taker nach den Technischen Regulierungsstandards für Wertpapierinstitute (VO 2021/2154)

Die Delegierte Verordnung 2021/2154 mit den Technischen Regulierungsstandards zur Ermittlung der Mitarbeiter, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil von Wertpapierinstituten oder die von ihr verwalteten Vermögenswerte auswirkt (Material Risk Taker, MRT), wurde am 7. Dezember 2021 im EU-Amtsblatt veröffentlicht und ist am 12. Dezember 2021 in Kraft getreten (RTS-MRT-IFD). Dieser Client Alert erörtert den wesentlichen Inhalt der aufsichtsrechtlichen Vorgaben der RTS-MRT-IFD.

Die RTS-MRT-IFD sind Teil des Gesamtpakets der überarbeiteten aufsichtsrechtlichen Vorgaben an die Vergütungssysteme von Wertpapierinstituten. Den Ausgangspunkt dafür bilden die Vorgaben des EU-Gesetzgebers in der EU-Verordnung 2019/2033 (IFR) und in der EU-Richtlinie 2019/2034 (IFD) (siehe hierzu Link). Der deutsche Gesetzgeber hatte die Vorgaben der IFD zu den Vergütungssystemen bis zum 26. Juni 2021 in das inländische Recht umzusetzen (Art. 67 Abs. 1 IFD). Der Deutsche Bundestag hat am 12. Mai 2021 das Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG) verabschiedet, das in § 46 WpIG Regelungen zu den Vergütungssystemen der Wertpapierinstitute und eine Verordnungsermächtigung zur Wertpapierinstituts-Vergütungsverordnung (WVV) enthält. Die BaFin hat am 4. Mai 2021 den Entwurf der WVV veröffentlicht (WVV-E). Die finale Fassung der WVV wird für das Ende des ersten Halbjahres 2022 erwartet.

Der EU-Gesetzgeber hat die EBA in Art. 30 Abs. 4 IFD mit dem Entwurf der RTS-MRT-IFD beauftragt, um eine einheitliche Ermittlung der MRT in den einzelnen von der IFD erfassten Jurisdiktionen zu gewährleisten. Die EBA veröffentlichte hierzu am 4. Juni 2020 einen ersten Entwurf, führte anschließend ein Konsultationsverfahren durch, und veröffentlichte am 21. Januar 2021 den finalen Entwurf der RTS-MRT-IFD. Die finale Fassung der RTS-MRT-IFD berücksichtigt einzelne der im Konsultationsverfahren eingebrachten Anmerkungen und Änderungsvorschläge.

 

1. Der teleologische Ausgangspunkt der IFD: Aufsichtsrechtlicher Proportionalitätsgrundsatz und Leitsatz der Sound Compensation-Kohärenz

Der Gesetzgeber koppelt die Vergütungssysteme für Wertpapierinstitute mit den überarbeiteten Vorgaben vom bisher generell anwendbaren Regelungsregime für die Vergütungssysteme von Instituten ab. Die Modifizierung der aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen erfolgt mit der Maxime des aufsichtsrechtlichen Proportionalitätsgrundsatzes, der für viele Wertpapierinstitute angesichts des fehlenden Einlagengeschäfts zum Teil weniger strenge Vorgaben an die inhaltliche Ausgestaltung der Vergütungssysteme erlaubt. Der aufsichtsrechtliche Proportionalitätsgrundsatz bedingt im Ausgangspunkt für das überarbeitete aufsichtsrechtliche Vergütungsregime eine dreigeteilte Regelungssystematik, wobei die IFD und die weiteren überarbeiteten aufsichtsrechtlichen Vergütungsregelungen Mittlere Wertpapierinstitute erfassen (s. dazu bereits unseren Client Alert zum WVV-E).

Zugleich hat der EU-Gesetzgeber in der IFD einen Gleichlauf mit den Vergütungssystemen von Instituten verlautbart und etabliert, demnach bereits für die Vergütungssysteme von Instituten eingeführte Begriffe und Definitionen im Ausgangspunkt auch für die inhaltlichen Vorgaben an die Vergütungssysteme von Mittleren Wertpapierinstituten herangezogen werden sollen (Rdnr. 12 der Erwägungsgründe der IFD; Leitsatz der Sound Compensation-Kohärenz). Der Leitsatz der Sound Compensation-Kohärenz ist auch für die Identifizierung der MRT zu beachten, so dass für die inhaltliche Auslegung der einzelnen Vorgaben der RTS-MRT-IFD (auch) die inhaltlichen Regelungen der Delegierten Verordnung 2021/923 der Kommission zur Identifizierung der Mitarbeiter, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil eines Instituts auswirkt (RTS-MRT 2.0, s. hierzu unseren Client Alert), heranzuziehen sind.

 

2. Risikoträger und MRT: Art. 30 IFD und RTS-MRT-IFD im Zusammenspiel

Der (EU-)Gesetzgeber differenziert in den Vorgaben für die Identifizierung der MRT – wie bereits auch in den maßgeblichen Vorgaben für die MRT-Identifizierung in Instituten – zwischen Risikoträgern und Identified Staff.

Im Ausgangspunkt bestimmt Art. 30 Abs. 1 IFD, dass die Risikoträger einen Teil der Personengruppe bilden, die vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 30 IFD (mit den besonderen Vorgaben für die Ausgestaltung der (variablen) Vergütungssysteme) erfasst sind. Als weitere von Art. 30 IFD erfassten Personengruppen bestimmt der Gesetzgeber

  • das Senior Management (als Geschäftsleitung, die gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 27 IFD i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 37 der Richtlinie 2014/65/EU (MiFID II) die Mitarbeiter der dem Leitungsorgan unmittelbar nachgelagerten Führungsebene inkludiert),
  • die Mitarbeiter mit Kontrollfunktion und
  • alle Mitarbeiter, deren Gesamtvergütung mindestens der niedrigsten Einkommensstufe der Geschäftsleitung und der Risikoträger entspricht und deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil der Wertpapierfirma oder der von ihr verwalteten Vermögenswerte auswirkt.

In der weiteren inhaltlichen Konkretisierung des Begriffs der Risikoträger sind die einzelnen Sprachfassungen der IFD und der RTS-MRT-IFD uneinheitlich: Während die deutsche Sprachfassung – als Legaldefinition (in Art. 30 Abs. 1 IFD, Erwägungsgrund 10 RTS-MRT-IFD) – alle Personen als Risikoträger bestimmen, die hohe Risikopositionen eingehen können, enthalten nahezu alle sonstigen Sprachfassungen (u.a. die englische, polnische und schwedische Fassung) keine nähergehende Definition der Risikoträger. Für die praktische Anwendung der RTS-MRT-IFD hat dieses uneinheitliche Begriffsverständnis keine Folgen. Die RTS-MRT-IFD bezieht in ihre inhaltlichen Vorgaben sämtliche vorgenannte Personengruppen ein (konkret in den qualitativen Kriterien gem. Art. 3). Sie fasst alle von der RTS-MRT-IFD erfassten Personen als Identified Staff zusammen, die in der praktischen Durchführung der Ermittlung des von der RTS-MRT-IFD erfassten Personenkreises synonym als MRT bezeichnet werden (können).

 

3. Die Ausgangsdefinitionen des. Art. 1 RTS-MRT-IFD: Managementverantwortung, Kontrollaufgabe und Geschäftsbereich

Art. 1 RTS-MRT-IFD definiert die für die Ermittlung der MRT aufgrund der qualitativen Kriterien des Art. 3 RTS-MRT-IFD maßgeblichen Begriffe:

  • Managementverantwortung bezeichnet gemäß Art. 1 Nr. 1 RTS-MRT-IFD eine Situation, in der ein Mitarbeiter einen Geschäftsbereich leitet oder in leitender Funktion eine Kontrollaufgabe wahrnimmt und dem Leitungsorgan als Ganzem, einem Mitglied des Leitungsorgans oder der Geschäftsleitung unmittelbar rechenschaftspflichtig ist. Die Definition bedingt für die einzelne Funktion zwei Voraussetzungen: Der Mitarbeiter muss (1) in dem konkreten Geschäftsbereich/der konkreten Kontrollaufgabe eine leitende (Führungs-) Funktion ausüben, und (2) unmittelbar gegenüber dem Leitungsorgan oder gegenüber dem Senior Management berichtspflichtig sein.
  • Kontrollaufgaben umfassen alle Aufgaben, die unabhängig von den kontrollierten Geschäftsbereichen wahrgenommen werden und in deren Rahmen eine objektive Bewertung oder eine Überprüfung der Risiken des Wertpapierinstituts vorzunehmen oder über sie Bericht zu erstatten ist. Dazu gehören mindestens die Funktionen Risikomanagement, Compliance und Internes Audit (Art. 1 Nr. 2 RTS-MRT-IFD). Nicht aufgegriffen hat der EU-Gesetzgeber für die Definition der Kontrollaufgabe die Anregung im Konsultationsverfahren, die Aufgaben abschließend auf die drei genannten Funktionen zu beschränken. Wertpapierinstitute haben daher bei der Beurteilung der bei ihnen vorhandenen Kontrollaufgaben-Funktionen zu prüfen, ob neben den drei genannten Funktionen weitere Funktionen Kontrollaufgaben im Sinne des Art. 1 Nr. 2 RTS-MRT-IFD ausüben (und daher als MRT im Sinne des Art. 3 lit. e) RTS-MRTS IFD anzusehen sind), wie z.B. die Funktionen der IT-Sicherheit.
  • Der Begriff des Geschäftsbereichs leitet sich aus der Definition des Art. 142 Abs. 1 Nr. 3 CRR (VO 575/2013 (EU)) ab. Er erfasst jede getrennten organisatorischen oder rechtlichen Einheiten, Geschäftsfelder oder geografischen Standorte. Die für Institute in Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 RTS-MRT 2.0 bestimmte Qualifizierung als wesentlicher Geschäftsbereich hat der Gesetzgeber in Art. 1 RTS-MRT-IFD nicht übernommen – sondern den Zweck der Qualifizierung als materielle Schwelle für den wesentlichen Einfluss auf das Risikoprofil als ein qualitatives Kriterium in Art. 3 lit. d) RTS-MRT-IFD bestimmt.

 

4. MRT aufgrund qualitativer Kriterien (Art. 3 RTS-MRT-IFD) … bei Anwendung auf Einzelbasis und Anwendung auf konsolidierter Basis

Die aufgrund qualitativer Kriterien nach Maßgabe des Art. 3 RTS-MRT-IFD zu ermittelnden MRT lassen sich systematisch in vier Fallgruppen unterteilen:

  • MRT kraft Organfunktion und Senior Management (lit. a) bis c)): Dieser Personenkreis erfasst alle Mitglieder des Leitungsorgans (als Mitglieder mit Managementfunktion und Mitglieder mit Aufsichtsfunktion) und alle Mitarbeiter der ersten Führungsebene unterhalb des Leitungsorgans.
  • MRT kraft Managementfunktion in der konkreten Tätigkeit (lit. d) bis f), h): Dieser Personenkreis erfasst alle Mitarbeiter, die für die in Art. 3 RTS-MRT-IFD angeführten weiteren Tätigkeiten die Managementfunktion ausüben. Die gesetzlichen Regelungen enthalten hierfür eine abgestufte Regelung:
    (a) Alle Wertpapierinstitute haben MRT aufgrund von Managementverantwortung für die Tätigkeiten der Kontrollaufgaben und der Geldwäschefunktion zu bestimmen;
    (b) Wertpapierinstitute, die (1) über eine Zulassung zu mindestens einer der in Anhang I.A Nrn. 2 bis 7 MiFID II bestimmten Dienstleistungen verfügen (= Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten mit (2) Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden, (3) Handel für eigene Rechnung, (4) Portfolio-Verwaltung, (5) Anlageberatung, (6) Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung, (7) Platzierung von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung), haben MRT aufgrund von Managementverantwortung für die in lit. h) angeführten Tätigkeiten zu identifizieren;
    (c) Wertpapierinstitute nach (b) mit einer Gesamtbilanzsumme von mindestens 100 Mio. EUR haben zusätzlich als MRT Mitarbeiter mit Managementfunktion für Geschäftsbereiche zu identifizieren, die mindestens eine der in Anhang I.A. Nrn. 2 bis 7 MiFID II angeführten Dienstleistungen erbringen.
  • MRT aufgrund Management eines wesentlichen Risikos im Wertpapierinstitut (lit. g)) oder der Verantwortung über die Genehmigung der Einführung neuer Produkte (lit. i): Diese Personengruppe erfasst MRT, die nicht bereits aufgrund Managementverantwortung in den maßgeblichen Aufgaben und Tätigkeiten des Art. 3 RTS-MRT-IFD identifiziert wurden, und deren Tätigkeit das Management eines wesentlichen Risikos im Wertpapierinstitut erfasst. Die RTS-MRT-IFD definieren das „wesentliche Risiko“ nach dieser Fallgruppe nicht näher und auch Art. 28 Abs. 3 IFD, auf den lit. g) verweist, enthält hierzu keine nähere Definition. Von dieser Personengruppe erfasst werden zudem alle Mitarbeiter, die Entscheidungen über die Einführung neuer Produkte treffen können (lit. (i)).
  • MRT kraft Mitgliedschaft im relevanten Ausschuss (lit. g) und i): Diese Fallgruppe erfasst alle Personen, die stimmberechtigtes Mitglied in einem Ausschuss ist, der für ein wesentliches Risiko im Wertpapierinstitut zuständig ist (lit. g) oder der Entscheidungen über die Einführung neuer Produkte treffen kann (lit. i)).

 

5. MRT aufgrund quantitativer Kriterien (Art. 4 und 5 RTS-MRT-IFD)

Für Mitarbeiter (1) mit einer Jahresgesamtvergütung von mindestens 500.000 EUR im oder für das vorausgegangene Geschäftsjahr („absolute Hoch-Verdiener“) oder (2) die in Wertpapierinstituten mit mindestens 1.000 Mitarbeitern zu den Top 0,3% der Spitzenverdiener im Wertpapierinstitut gehören („Top-Verdiener“) oder (3) denen im oder für das vorausgegangene Geschäftsjahr eine Gesamtvergütung gewährt wurde, die mindestens der niedrigsten Gesamtvergütung entspricht, die einem MRT gewährt wurde, der eines oder mehrere der in Art. 3 lit. a), c), d) h) oder i) RTS-MRT-IFD bestimmten Kriterien erfüllt („relative Hoch-Verdiener“), bestimmt Art. 4 Abs. 1 RTS-MRT-IFD eine Vermutungswirkung für deren wesentlichen Einfluss auf das Risikoprofil des Wertpapierinstituts. Die jeweilige Vergütung ist dabei auf Vollzeitäquivalent-Basis (FTE) unter Berücksichtigung aller aufsichtsrechtlichen fixen und variablen Vergütungsbestandteile zu ermitteln (Art. 5 Abs. 1 RTS-MRT-IFD), wobei der Bemessungszeitraum für die Ermittlung der Vergütung nach Maßgabe des Art. 5 Abs. 2 RTS-MRT-IFD in den Vergütungsgrundsätzen festzulegen ist.

Das Wertpapierinstitut kann die Vermutungswirkung im Einzelfall nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 2 RTS-MRT-IFD widerlegen (De-Identifikation). Es hat dazu eine umfassende Gesamtwürdigung gemäß den in Art. 4 Abs. 3 RTS-MRT-IFD angeführten Kriterien durchzuführen. Für Top-Verdiener oder absolute Hochverdiener mit einer Gesamtvergütung von mindestens 750.000 EUR bedarf die De-Identifikation der Genehmigung durch die zuständige Aufsichtsbehörde (Art. 5 Abs. 4 RTS-MRT-IFD), die die Aufsichtsbehörde bei einer Gesamtvergütung von mindestens 1.000.000 EUR nur ausnahmsweise (und mit Unterrichtung der EBA) bei außergewöhnlichen Umständen nach Maßgabe des Art. 5 Abs. 5 RTS-MRT-IFD erteilen soll.

 

6. Ausblick und weitere Entwicklung

Die RTS-MRT-IFD sind am 12. Dezember 2021 in Kraft getreten. Sie ist von den Wertpapierinstituten bei der – erstmaligen – Ermittlung der MRT unmittelbar anzuwenden. Für die von den Die EBA-Leitlinien 2021/13 zur soliden Vergütungspolitik von Mittleren Wertpapierinstituten (EBA GSR IFD) erfassten Wertpapierinstitute mit Sitz in Deutschland ist dieser zeitliche Anforderungsrahmen mit dem Status Quo verbunden, dass der deutsche Gesetzgeber das Verfahren zum Erlass der WVV bisher noch nicht abgeschlossen hat. Die BaFin hat hierzu in ihrer Verlautbarung vom 2. November 2021 angekündigt, im ersten Quartal 2022 noch ein weiteres Konsultationsverfahren zum Entwurf der WVV durchzuführen (Link). Eine Finalisierung der WVV ist im Laufe des ersten Halbjahres 2022 zu erwarten. Wir begleiten die weitere aufsichtsrechtliche Entwicklung.

 

Stand: März 2022

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