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Referentenentwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz II: Gelockerter Kündigungsschutz für alle High Earner-Risikoträger?!

Entwurf vom 20. August 2024

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat am 20. August 2024 den Referentenentwurf für ein „Zweites Zukunftsfinanzierungsgesetz“ (ZuFinG II) veröffentlicht. Das Gesetzesvorhaben verfolgt das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzstandorts Deutschland zu verbessern. Einen Bestandteil des Gesetzespaktes des ZuFinG II bildet die Lockerung des Kündigungsschutzes für alle Risikoträger mit besonders hoher Vergütung („High Earner-Riskoträger“) in Kreditinstituten, Wertpapierinstituten, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Versicherungsunternehmen.

1. Der gesetzliche Ausgangspunkt: Gelockerter Kündigungsschutz für High Earner-Risikoträger in bedeutenden Instituten gemäß § 25a Abs. 5a KWG – und seine bisherige Anwendung in der Praxis

Den Ausgangspunkt für die im Referentenentwurf des ZuFinG II vorgesehene Lockerung des Kündigungsschutzes bildete die vom Gesetzgeber mit dem sog. Brexit-Steuerbegleitgesetz vom 25. März 2019 in § 25a Abs. 5a KWG eingefügte gesetzliche Regelung. Gemäß § 25a Abs. 5a KWG sollen bedeutende Institute das Arbeitsverhältnis mit als Risikoträger im Sinne des § 1 Abs. 21 S. 1 KWG identifizierten Mitarbeitern auch in der Weise beenden können, dass sie in einem Kündigungsrechtsstreit den Antrag nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG auf eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Arbeitsgericht gegen Zahlung einer vom Arbeitsgericht festzulegenden angemessenen Abfindung stellen können sollen, ohne den Antrag nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG (= Auflösung aufgrund von Gründen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht (mehr) erwarten lassen) begründen zu müssen, wenn die jährliche fixe Vergütung des Risikoträgers das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung i.S.d. § 159 SGB VI überschreitet und der Risikoträger damit als High Earner-Risikoträger anzusehen ist.

Die Voraussetzungen für die wirksame gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit einem High Earner-Risikoträger nach Maßgabe des § 25a Abs. 5a KWG inkludieren danach: (1) Der Arbeitgeber ist ein bedeutendes Institut (institutsbezogene Voraussetzung). (2) Der Arbeitgeber hat den betroffenen Mitarbeiter in der aktuellen Risikoträger-Analyse als Risikoträger nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 S. 1 KWG  identifiziert und der Mitarbeiter hat zum Zeitpunkt des Auflösungsantrags mit Blick auf seine Fixvergütung den Status als High Earner-Risikoträger (mitarbeiterbezogene Voraussetzung). (3) Die Kündigung ist sozialwidrig; d. h., allein aus Gründen des § 1 KSchG unwirksam (kündigungsbezogene Voraussetzung). (4) Der Arbeitgeber stellt im Kündigungsrechtsstreit den Antrag auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses (antragsbezogene Voraussetzung). 

Einzelne bedeutende Institute haben in den vergangenen fünf Jahren von der Regelung des § 25a Abs. 5a KWG Gebrauch gemacht und in Kündigungsrechtsstreiten mit High Earner-Risikoträgern entsprechende gerichtliche Auflösungsanträge gestellt. Dies mit durchwachsenen praktischen Erfahrungen, indem einzelne Arbeitsgerichte an die Risikoträger-Eigenschaft im Sinne des § 25a Abs. 5a KWG über die aufsichtsrechtlichen Regelungen des § 25a Abs. 5b KWG i.V.m. der Del.-VO 2021/923 hinausgehende  Anforderungen stellten und etwa für einen nach § 25a Abs. 5b Nr. 1 KWG identifizierten Risikoträger (= Mitarbeiter der unmittelbar der Geschäftsleitung nachgelagerten Führungsebene) zusätzlich zu der generell für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 25a Abs. 5b Nr. 1 KWG ausreichende direkte Berichtspflicht an die Geschäftsleitung mit Managementverantwortung forderten, dass der einzelne Mitarbeiter einen wesentlichen Einfluss auf das Risikoprofil des Instituts hat. Konnte das konkrete Institut dann im Kündigungsrechtsstreit keine zusätzliche Begründung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe des § 9 KSchG aufweisen, wies das Arbeitsgericht den Auflösungsantrag nach § 25a Abs. 5b KWG zurück. Von einem solchen erweiterten – über die Anforderungen des § 25a Abs. 5b KWG hinausgehenden – arbeitsgerichtlichen Verständnis der Risikoträger-Eigenschaft betroffene bedeutende Institute sahen sich dann im Kündigungsrechtsstreit angesichts der substanziellen Fixvergütung der High Earner-Risikoträger einem quantitativ erheblichen Annahmeverzugsvergütungsrisiko ausgesetzt. Insbesondere vor diesem Hintergrund haben bedeutende Institute in der Praxis von dem Auflösungsantrag nach § 25a Abs. 5a KWG bisher tendenziell nur begrenzt Gebrauch gemacht.
 

2. Die konkreten Regelungen im ZuFinG II: Gelockerter Kündigungsschutz für High Earner-Risikoträger in allen Instituten, die nach Maßgabe des § 25a Abs. 5b KWG Risikoträger zu ermitteln haben, sowie in allen Kapitalverwaltungsgesellschaften, Wertpapierinstituten und Versicherungsunternehmen

Der Referentenentwurf des ZuFinG II bestimmt, ungeachtet der bisherigen praktischen Erfahrungen zu § 25a Abs. 5a KWG, nunmehr eine Ausweitung dieses gelockerten Kündigungsschutzes auf alle Unternehmen im Finanz(dienstleistungs-)Sektor, die gemäß den für sie jeweils anwendbaren aufsichtsrechtlichen Vorgaben Risikoträger zu ermitteln haben, konkret für 

  • alle Institute, die Risikoträger nach Maßgabe des § 25a Abs. 5b KWG zu ermitteln haben; also alle CRR-Institute sowie alle bedeutenden Institute im Sinne des § 1 Abs. 3c KWG (s. dazu bereits unseren Client Alert). Hierzu soll der § 25a Abs. 5a KWG eine inhaltliche Erweiterung des Wortlauts erhalten.
  • alle mittleren Wertpapierinstitute, die Risikoträger nach Maßgabe des § 3 WVV zu ermitteln haben (s. dazu bereits unseren Client Alert). Hierzu soll § 46 WpIG um einen neuen Absatz 4 ergänzt werden.
  • alle Kapitalverwaltungsgesellschaften, die Risikoträger nach Maßgabe des § 37 KAGB zu ermitteln haben. Hierzu soll § 37 KAGB um einen neuen Absatz 4 ergänzt werden.
  • alle Versicherungsunternehmen, die Risikoträger nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 S. 2 VersVergV zu ermitteln haben. Hierzu soll § 24 VAG um einen neuen Absatz 5 ergänzt werden.

Der Referentenentwurf führt zur Begründung dieser Ausweitung des gelockerten Kündigungsschutzes auf alle High Earner- Risikoträger von Unternehmen im Finanz(dienstleistungs-)Sektor aus, dass die Risikoträger in allen diesen Unternehmen angesichts ihrer Eigenschaft als Risikoträger in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Unternehmen stünden dieses Vertrauen von besonderer Bedeutung für das einzelne Unternehmen sei, da sich die Tätigkeit der betreffenden Person sich auch auf den Bestand des Unternehmens und letztlich auf die Finanzstabilität auswirken könne. Diese Erwägung stellt der Referentenentwurf im Ausgangspunkt für die Begründung der Erweiterung des § 25a Abs. 5a KWG auf alle CRR-Institute auf und überträgt diese Überlegung jeweils in einer pauschalierten Beurteilung – ohne nähere Erwägungen zu den jeweiligen aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen für die konkrete Risikoträger-Ermittlung – auf die vorgesehenen Erweiterungen der gesetzlichen Regelungen der §§ 46 WpIG, 37 KAGB und 24 VAG für mittlere Wertpapierinstitute, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Versicherungsunternehmen.
 

3. (Erste) Praktische Fragen in der Anwendung der jeweiligen Regelung der §§ 25a Abs. 5a KWG, 46 Abs. 4 WpIG, 37 Abs. 4 KAGB und 24 Abs. 5 VAG

Ungeachtet der unter Ziffer 1 angeführten faktischen arbeitsgerichtlichen Risiken hätten die relevanten Unternehmen bei der Anwendung des gelockerten Kündigungsschutzes im Einzelfall folgende Erwägungen anzustellen:

  • Risikoträger-Eigenschaft des einzelnen Mitarbeiters zum Zeitpunkt der Stellung des Auflösungsantrags: Diese hat sich grundsätzlich – im Sinne der einheitlichen Rechtsanwendung – allein nach den jeweils für das Unternehmen maßgeblichen aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu beurteilen. Die mit Blick auf den Auflösungsantrag durchzuführende gerichtliche Prüfung hätte dabei eine Beurteilung der aufsichtsrechtlichen Plausibilität der konkreten Analyse zu beinhalten und das Arbeitsgericht keine Richtigkeitsanalyse durchzuführen und insbesondere nicht die beurteilungsrelevante Risikoanalyse durch seine Entscheidung zu ersetzen. Hierzu könnte der Gesetzgeber im weiteren Gesetzgebungsverfahren – vor dem Hintergrund der unter Ziffer 1. angeführten bisherigen praktischen arbeitsgerichtlichen Erfahrungen der bedeutenden Institute in der Anwendung des § 25a Abs. 5a KWG – noch eine entsprechende Klarstellung in den jeweiligen gesetzlichen Regelungen vornehmen.
  • High Earner-Eigenschaft des einzelnen Risikoträgers: Für die Beurteilung der Höhe der Fixvergütung sind sämtliche Vergütungsbestandteile zu berücksichtigen, die nach Maßgabe der jeweiligen aufsichtsrechtlichen Regelungen als fixe Vergütung einzuordnen sind. Der Referentenentwurf enthält in den einzelnen gesetzlichen Regelungen zum Referenzzeitraum für die Höhe der Fixvergütung keine besonderen Vorgaben. Der Gesetzgeber könnte hierzu im weiteren Gesetzgebungsverfahren – in systematischer Anlehnung an die Regelung des § 5 Abs. 5 S. 3 Nr. 3 InstitutsVergV – die Klarstellung aufnehmen, dass maßgeblich für die Ermittlung der Höhe der Fixvergütung das der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag vorangehende Geschäftsjahr ist.
     

4. (Erstes Zwischen-)Resümee und Ausblick

Dem Referentenentwurf liegen – zusätzlich zu den vorgenannten konkreten Begründungen der einzelnen Normen – die allgemeinen Erwägungen zugrunde, dass die Lockerung der Kündigungsregelungen für die High Earner-Risikoträger darauf abzielen sollen, den Finanzsektor flexibler und wettbewerbsfähiger zu machen. Unternehmen sollen durch diesen gelockerten Kündigungsschutz für die High Earner-Risikoträger einen größeren Spielraum erhalten, um Personalentscheidungen schneller und effizienter umzusetzen. Zugleich würde die Neuregelung für betroffene High Earner-Risikoträger in den relevanten Unternehmen – auch unter Berücksichtigung der unter Ziffer 1. ausgeführten bisher tendenziell zurückhaltenden Praxis der bedeutenden Institute – eine faktische erhöhte Unsicherheit in der Durchführung des Arbeitsverhältnisses inkludieren, die diese etwa in relevanten Arbeitsvertragsverhandlungen in der Festlegung der Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist berücksichtigt wissen wollen können. Betroffene Unternehmen werden zudem im Einzelfall bei der Ermittlung der Risikoträger die sich aus der Eigenschaft als (High Earner-)Risikoträger ergebenden weitergehenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen für diesen Personenkreis berücksichtigen.

Das weitere Gesetzgebungsverfahren wird diese Erwägungen zu berücksichtigen haben.

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